Die Suchmaschine Google hat einen Weltmarktanteil von über 90 Prozent, das hauseigene Betriebssystem Android besitzt einen Markanteil von 84,1 Prozent. Die Konkurrenten, Apple mit iOS und Microsoft mit Windows Phone, sind abgehängt. Ob Smartphone, Tablet oder Smartwatch – Google spielt auf allen Kanälen. Doch die Vielzahl an Geräten, auf denen Android installiert ist (Handys, Kameras, Uhren etc.), reicht den Entwicklern nicht aus. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf interne Quellen berichtet, will der kalifornische Internetkonzern nun auch ein Betriebssystem für Autos entwickeln.
Google und Apple entwickeln bereits Betriebssysteme für Autos, mit denen über die in das Dashboard eingebauten Bildschirme das Smartphone steuern kann. Per Sprachsteuerung kann man so etwa E-Mails versenden, Musik abspielen oder Kartenmaterial anfordern. Diese Systeme, Android Auto respektive CarPlay, erfordern jedoch eine Verbindung zwischen dem Smartphone und Armaturenbrett. Das neue System Android M, das Google plant, soll ohne Plug-in auskommen. Der Fahrer müsste nur die Zündung starten und der Bildschirm würde automatisch eine Version des Android-Betriebssystems herunterladen. Via Touchscreen oder Sprachkontrolle könnte das Fahrzeug dann gesteuert werden.
Aus Fahrersicht macht es durchaus Sinn, das Auto mit dem Smartphone oder Tablet zu synchronisieren. Die Abhängigkeit vom Smartphone würde verringert, das System würde sich nicht abschalten, wenn der Handy-Akku zur Neige geht. Und auch für Google lohnt sich das Geschäft.
In den Anfängen fertigten die Autohersteller jede Komponente des Fahrzeugs selbst: Getriebe, Karosserie, Sitze. Über die Jahre wurde die Produktion an Zulieferer outgesourct, die Teile werden just-in-time geliefert und in den Werken nur noch zusammengebaut. Bei manchen Modellen wird lediglich der Motor vom Autohersteller gebaut. Doch das Fahren in der Zukunft wird immer computerisierter.
Die Autoindustrie arbeitet mit Hochdruck an vernetzten und selbstfahrenden Fahrzeugen. Auf der CES in Las Vegas hat Daimler seinen futuristisch anmutenden F015 präsentiert, ein High-Tech-Haifisch aus Stahl, Glas und LEDs, der wie von Zauberhand gelenkt dahincruist.
Bei diesem Wettrennen ist die IT-Branche Partner und Rivale zugleich. Der südkoreanische Elektronik-Riese LG kündigte an, dass er 3D-Kameras für automatisiert fahrende Mercedes-Autos liefern wird. Selbstfahrende Autos benötigen hochentwickelte Navigationssoftware. Google will seine autonomen Fahrzeuge schon in diesem Jahr auf öffentliche Strassen bringen. Wenn künftig auch die Bordelektronik von Google kommt, verlieren die Autohersteller eine entscheidende Komponente an den Tech-Giganten. Zwar stammt die Hardware dann immer noch von Daimler oder BMW. Doch die Software kommt von Google. Die Software ist das Schmieröl der Digitalwirtschaft.
Mark C. Boyadjis, Analyst bei der Beratungsfirma IHS Automotive in Minnesota, sagt im Gespräch mit watson: «Googles Ziel ist es, die Kontrolle über das Dashboard zu gewinnen und Smartphone- und Tablet-Nutzer in ihre Applikationen und Dienstleistungen einzubeziehen.» Autos sind für Tech-Giganten besonders attraktiv, weil die Leute darin viel Zeit verbringen, vor allem Pendler.
Laut einer Studie des Centre for Economics and Business Research werden britische Pendler im Jahr 2030 18 Arbeitstage im Auto sitzen. Mit einer automobilen Android-Version könnte Google wertvolle Einsichten in das Fahrverhalten gewinnen: Wo befindet sich der Fahrer, wo hält er regelmässig an, wohin fährt er, wo tankt er? Diese Informationen könnten Googles datenhungrige Anzeigenmaschinerie weiter antreiben. Denkbar wäre etwa, dass Android dem Fahrer via GPS-Ortung kurz vor dem gewöhnlichen Tankstellenhalt einen Rabattgutschein offeriert. Die Frage ist, was mit diesen Daten passiert und ob sie womöglich an Dritte, beispielsweise Versicherungen, weitergegeben werden.
«Der Datenschutz ist eine wichtige, wenngleich noch genauer zu detaillierende Komponente», konstatiert Automobilexperte Boyadjis. «Es gibt im Moment keinerlei Rechtsvorschriften.» Dass Google die Daten kapitalisieren will, ist offenkundig. Allein, die Frage nach dem Datenschutz läge dann nicht mehr in der Hand der Autobauer, sondern im Silicon Valley.
Ein technisches Problem besteht darin, dass Google eine Android-Version liefern müsste, die sofort und nicht erst nach 30 Sekunden wie bei manchen Smartphones anspringt. So lange will der Fahrer nicht warten. Dem Vernehmen nach plant der Konzern die Android-Version für Autos nächstes Jahr herauszubringen. Google drückt mächtig aufs Gaspedal. «Google wird einer der wenigen grossen Player sein, die halb- oder vollautomatisiertes Fahren ermöglichen werden», schätzt Boyadjis. Mit Android M könnte Google den Autobauern zur Abgrenzung von der Konkurrenz die Möglichkeit bieten, die Oberfläche des Betriebssystems individuell anzupassen. Gut möglich, dass bald das Betriebssystem über den Autokauf entscheidet.