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Britischer FBI-Hacker unter Druck: Jetzt soll der Anonymous-Aktivist sein Passwort herausrücken

Britischer FBI-Hacker unter Druck: Jetzt soll der Anonymous-Aktivist sein Passwort herausrücken

Kann man von einem Richter gezwungen werden, seine Festplatten zu entschlüsseln, damit Ermittler die Daten lesen können? In Grossbritannien droht das einem Hacker – und dann die Auslieferung an die USA.
10.05.2016, 11:1710.05.2016, 11:33
Fabian Reinbold
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Lauri Love geht wieder zur Uni, er wohnt bei seinen Eltern im beschaulichen Stradishall in der Grafschaft Suffolk. Lauri Love ist aber auch einer der von den USA meistgesuchten Hacker. Dem Briten wird vorgeworfen, sich in die Netze der Nasa, der Notenbank und des FBI eingehackt und dabei massenhaft Daten kopiert zu haben.

Die Anschuldigungen sind nicht neu, schon seit knapp drei Jahren wird gegen Love ermittelt. Jetzt bekommt sein Fall neue Aufmerksamkeit: zum einen, weil die Amerikaner auf seine Auslieferung drängen, zum anderen, weil ihn die britischen Behörden zwingen wollen, die Passwörter zur Entschlüsselung seiner Geräte preiszugeben.

Lauri Love: Die USA wollen ihn hinter Gitter bringen und machen Druck auf Grossbritannien.
Lauri Love: Die USA wollen ihn hinter Gitter bringen und machen Druck auf Grossbritannien.Bild: Frank Augstein/AP/KEYSTONE

Der 30-Jährige tritt immer mal wieder im britischen Fernsehen als IT-Experte auf. Er hat das Asperger-Syndrom und leidet laut seinen Unterstützern an einer schweren Depression. Er war in der fast schon wieder vergessenen Occupy-Bewegung in Glasgow aktiv und mischte mit bei einer Hackeraktion, die ganz und gar nicht vergessen ist: die Anonymous-Operation «last resort» – darum geht es in den aktuellen Verfahren. Die National Crime Agency (NCA), das britische Pendant zum FBI, will Love per richterlicher Anordnung zur Entsperrung diverser Geräte zwingen. Die Entscheidung soll am Dienstag fallen.

Der Kampf um die Verschlüsselung von Daten wurde zuletzt vom Fall Apple vs. FBI in die breite Öffentlichkeit getragen – es ging um einen Richterbeschluss, nach dem der Konzern beim Entsperren des Telefons eines Terroristen helfen sollte. In Grossbritannien spielt nun die nächste Episode dieser Auseinandersetzung.

Hilfe aus dem WikiLeaks-Snowden-Umfeld

Die Position der NCA: Lauri Love dürfe seine beschlagnahmten Geräte nur dann zurückerhalten, wenn er die Inhalte für die Ermittler lesbar mache. Es geht um einen Samsung-Laptop, eine SD-Speicherkarte und eine externe Festplatte, die Love im Oktober 2013 abgenommen wurden. Die Ermittler vermuten dort Belege für die Angriffe auf US-Stellen.

Aber es geht auch um grössere Fragen, gerade wegen der aktuellen Verschlüsselungsdebatte. Und so bekommt Love nun politische Unterstützung aus dem Umfeld von WikiLeaks und Edward Snowden. Die von Vertrauten von Julian Assange gegründete Courage Foundation hilft Love in seinen Prozessen und warnt: Die Entscheidung über die mögliche erzwungene Entschlüsselung könne Folgen für Whistleblower, Anwälte und Journalisten haben.

In Grossbritannien macht es ein Gesetz namens Ripa möglich, dass Verdächtige zur Herausgabe ihrer Passwörter gezwungen werden können. Demnach kann es eine Straftat sein, wenn verschlüsselte Datenträger den Ermittlern nicht zugänglich gemacht werden, es droht sogar Haft.

Und die NCA will bei Lauri Love noch mehr. Sein Fall ist kompliziert und auch ein bisschen seltsam. Er wurde zweimal festgenommen und dann wieder freigelassen. 2014 hat er schon auf die Herausgabe seiner beschlagnahmten Festplatten geklagt, verfolgte dann den Vorgang aber nicht weiter. Einmal wurde er bereits auf Basis des Ripa-Gesetzes aufgefordert, seine Passwörter herauszurücken. Er weigerte sich, und dann passierte: nichts. Die Anordnung lief aus.

Nun hat er erneut auf Herausgabe seiner Geräte geklagt. Die NCA nutzte das, um in diesem Zivilverfahren auf eine Zwangsentschlüsselung per Richterbeschluss zu drängen. Das sehen Loves Anwälte als Versuch, durch die Hintertür an die Daten ihres Mandanten zu gelangen.

Die «Operation last resort»

In Deutschland gibt es kein solches Gesetz – bis auf wenige Ausnahmen etwa zur Abwehr unmittelbarer Terrorgefahr gilt das Recht auf Schweigen. «Wenn Beschuldigte ihre Rechte kennen, wird dieses Recht in Deutschland auch so gut wie immer respektiert», sagt der Strafverteidiger Udo Vetter. In den USA ist es ähnlich. Für die dortigen Ermittler wäre es deshalb ein Gewinn, über Grossbritannien an Loves Daten zu gelangen.

Schliesslich drehen sich die Verdächtigungen um die Anonymous-Aktion «last resort», die sich gegen die US-Regierung richtete. Ein loser Zusammenschluss von Hackern wollte im Jahr 2013 unter der Flagge der Netzguerilla Anonymous das Vorgehen des US-Justizministeriums gegen den Internetaktivisten Aaron Swartz anprangern. Swartz hatte sich im Zuge dieser Ermittlungen, die Kritiker als unverhältnismässig betrachteten, das Leben genommen. Die Last-Resort-Hacker griffen mehrere Behörden, Unternehmen und Regierungsorganisationen an, unter anderem die Sentencing Commission, die Richtlinien für die Strafbemessung an Bundesgerichten festlegt. Swartz stand vor einem Prozess wegen des berüchtigten Hackerparagrafen computer fraud and abuse act – ihm drohte eine jahrzehntelange Strafe.

Love hat bei dieser Hackeraktion mitgemacht, so viel ist klar. Die USA haben ihn angeklagt, auch auf der Basis eben jenes computer fraud and abuse act. Naomi Colvin, bei der Hackerhilfsorganisation Courage Foundation für Love zuständig, sagt: «Lauri hat gegen die Auswüchse des US-Justizsystems protestiert. Jetzt bekommt er selbst das volle Ausmass dieser Auswüchse zu spüren.»

Drei Auslieferungsersuchen der USA

Seine Anwälte und Unterstützer behaupten, die britische NCA sei vor allem darauf bedacht, den Ermittlungen in den USA zu helfen. So habe die NCA auch Kopien des Speicherinhalts der beschlagnahmten Geräte an die Ermittler in Übersee geschickt.

Love ist dort vor drei Bezirksgerichten angeklagt: in New York, New Jersey und Virginia. Ihm wird vorgeworfen, interne Daten von den Regierungsservern verbreitet zu haben. Es gibt drei Auslieferungsersuchen. In den USA, wo es zuletzt mehrfach harsche Urteile gegen Hacker gab, drohen ihm zwölf Jahre Haft. Würde er von einem der drei Gerichte verurteilt, gälte er in den anderen Verfahren als vorbestraft und es wären weitere Urteile mit höheren Haftstrafen möglich.

Jetzt auf

Über die Auslieferung wird ab Ende Juni verhandelt. Love hat kein einziges Mal amerikanischen Boden betreten, das ist ein Argument seiner Anwälte gegen eine Auslieferung.

Auch seine Krankheiten könnten in dieser Hinsicht eine Rolle spielen. 2012 hatte die britische Innenministerin in einem ähnlichen Fall die Auslieferung des Hackers Gary McKinnon an die USA aus gesundheitlichen Gründen untersagt. Das Urteil im Fall Lauri Love soll im Juli fallen.

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Matrixx
10.05.2016 12:28registriert März 2015
Was die Behörden hier veranstalten geht gar nicht.

Schon der Fall Aaron Swartz hätte die Notbremse bringen können.

Jemandem so lange drohen und ihm psychischem Stress auszusetzen, bis dieser sich das Leben nimmt, ist aus meiner Sicht Mord!

Ich hoffe für Lauri, dass es ihm nicht so ergeht wie Aaron und er da ungeschädigt rauskommt.
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Pius C. Bünzli
10.05.2016 12:56registriert Oktober 2014
Leute wie er sollte man Schützen vor dem Schurkenstaat USA. Hätte er sich in den geheimdienst Nordkoreas gehackt hätte er einen Nobelpreis erhalten..
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Kstyle
10.05.2016 13:12registriert Dezember 2015
Die Geheimdienste haben das Ausspionierrecht für sich gepachtet. Das da plötzlich kleine leute vom Volk mitmischen und oder schlauer sind als sie passt ihnen gar nicht. Es kommt ja nicht selten uniteressantes zum vorschein. Sprich snowden oder assange.
Oder wie sie zu uns immer sagen: Hast du was zu verstecken? Nein also leg die Daten offen,ist ja nichts dabei. Bist doch ein braver Bürger.
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