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Interview

«In 15 Jahren können wir die Realität nicht mehr von virtuellen Welten unterscheiden»

Die Oculus Rift von Facebook ist eine von zahlreichen Virtual-Reality-Brillen, die um die Gunst der Käufer buhlt.
Die Oculus Rift von Facebook ist eine von zahlreichen Virtual-Reality-Brillen, die um die Gunst der Käufer buhlt.Bild: REUTERS
Interview

«In 15 Jahren können wir die Realität nicht mehr von virtuellen Welten unterscheiden»

Facebook, Sony, Samsung: Sie alle entwickeln ihre eigenen Virtual-Reality-Brillen. Warum der Technik nach dem Riesen-Flop in den 90ern nun der Durchbruch gelingen soll, erklären zwei Branchenexperten im Interview. 
07.08.2015, 23:2409.11.2015, 14:36
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Die erste Virtual-Reality-Brille für den Massenmarkt kommt noch dieses Jahr auf den Markt. Andere namhafte Hersteller werden 2016 nachziehen. Sara Vogl, Game-Entwicklerin und Bloggerin sowie Frank Steinicke von der Universität Hamburg erklären, was es mit der Faszination der virtuellen Realität auf sich hat, welches Potential in der Technik steckt und wie man verhindert, dass den Menschen beim Tragen der Brillen schlecht wird.

Frau Vogl, Herr Steinicke, die Idee zu Virtual Reality (VR) gibt es schon länger. Warum ist die Technologie gerade jetzt in aller Munde? 
Sara Vogl: Weil jetzt die Technologie soweit ist, den Nutzer wirklich in die virtuelle Welt reinzuziehen. Zudem sind die Preise, verglichen mit vor fünf bis zehn Jahren, nun erschwinglich.

Sara Vogl entwickelt selber VR-Spiele und arbeitet zudem für die ebenfalls auf Virtual Reality fokussierte Website vrnerds.de.
Sara Vogl entwickelt selber VR-Spiele und arbeitet zudem für die ebenfalls auf Virtual Reality fokussierte Website vrnerds.de.bild: zvg

Frank Steinicke: Tatsächlich ist die Idee der VR schon recht alt, erste Überlegungen und Umsetzungen gab es schon in den 1960ern. Seitdem treiben Forscher weltweit die Realisierung voran. In den 1990ern gab es einen grossen Hype um Virtual Reality, der sich aber um die Jahrtausendwende wieder gelegt hat. Das lag vor allem an den überzogenen Erwartungen und der zu schlechten Technologie. Mittlerweile leben wir in der Ära der Smartphones, die auch die Grundlage für viele Head-Mounted Displays sind. Das wirkt sich auch auf den Preis und die Massenkompatibilität aus.

Frank Steinicke ist Professor im Fachbereich Informatik an der Universität Hamburg.
Frank Steinicke ist Professor im Fachbereich Informatik an der Universität Hamburg.bild: zvg

Warum ist Virtual Reality in den 1990ern gefloppt, obwohl sich selbst Nintendo an einem «Virtual Boy» versucht hat? 
Steinicke: Bei vielen Geräten haben entscheidende Faktoren nicht gepasst. Zum einen bestanden die Grafiken lediglich aus ein paar tausend gefärbten Polygonen, die auf einem kleinen Sichtbereich dargestellt wurden. Zum anderen war die Latenz, also die Verzögerung der Darstellung, ein weiterer Schwachpunkt. Ist diese bei der Übertragung zu hoch, führt das zur Motion- bzw. Cyber-Sickness, also einem Unwohlsein in der VR. Zudem konnte nicht einmal eine grosse Firma wie Nintendo den fehlenden Content und das Wissen, wie Spiele für VR aufbereitet müssen, damals ausgleichen.

Frau Vogl, Sie arbeiten ja gerade an Inhalten für Virtual Reality. Wie muss dieser aufbereitet werden? 
Vogl: Nehmen wir das Beispiel einer VR-App für mobile Geräte, an der ich gerade arbeite: Dort müssen die Szenen so gebaut werden, dass sie auch auf Smartphones laufen. Vielen Smartphones fehlt dafür aber noch die Performance. Also muss man entweder die Inhalte für eine breite Masse von Geräten erstellen oder eben hochwertigere Inhalte für einen kleinen Kreis an Geräten. Aber auch die «echten» VR-Anwendungen, die auf dem PC laufen, müssen in Bezug auf Motion Sickness (Bewegungskrankheit) und der Freiheit des Users, sich im virtuellen Raum überall hin bewegen zu können, gut durchdacht sein.

Was passiert denn überhaupt im Kopf des Betrachters bei Virtual Reality? 
Steinicke: Der Benutzer bekommt durch seine Sinne unterschiedliche Reize vermittelt. Wir wissen aus Untersuchungen, dass gerade der visuelle Sinn sehr dominant ist und andere Sinne überschreiben kann. Zudem gibt es auch innere Körpersinne, etwa den vestibulären Sinn für die Wahrnehmung des Gleichgewichts bzw. von Beschleunigungen. Trägt man eine VR-Brille und erhält die Illusion durch visuelle Signale sich im Raum zu bewegen, was durch die anderen Sinne nicht bestätigt wird, gibt es einen Konflikt. So entsteht die Motion-Sickness.

Für Lucid Trips haben Sie, Frau Vogl, ein Gestell gebaut in das sich der Rezipient legen kann, um so der Körperhaltung der Erzählung näher zu kommen. Beugt das den Sinn-Konflikten vor? 
Vogl: Ja, einige dieser Reize konnten durch Windfeedback, die Einbeziehung des Hörsinns und die Beeinflussung der Körperlage ausgetrickst werden, sodass die Illusion perfekter wurde. Trotzdem bewegt man sich in der virtuellen Welt ja mehr, als es das Gestell abbilden kann. Daher arbeiten wir derzeit an einem neuen Modell, versehen mit Motoren, um die Körperpositionen der Welten noch besser aufeinander abzustimmen.

Steinicke: Das sind die richtigen Probleme, die das Team angeht. Eine grosse Hürde bleibt aber weiterhin die Latenz, also die Verzögerung, mit der die Signale an die Sinne kommen.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Motion-Sickness durch die Erzählung zu beeinflussen? 
Steinicke: Etwa auf wilde Rollercoaster-Fahrten oder merkwürdige Rotationen in der Story zu verzichten. Ebenso alles, was in der realen Welt als Vection Illusion bekannt als – also man sitzt im Zug und sieht einen anderen Zug abfahren und hat das Gefühl, selbst zu fahren. Diese Einschränkungen machen VR aber natürlich auch langweiliger.

«Lucid Trips» ist ein VR-Spiel, das von Sara Vogl mitentwickelt wird. Vimeo/Sara Anna Lisa
«Virtual Reality ist in der Automobilindustrie, Luftfahrtindustrie, aber auch in der Öl- und Gasbranche, längst angekommen.»

Wann wird Virtual Reality – trotz dieser Hürden – in den Alltag kommen? 
Vogl: Ich glaube, zwei bis drei Jahre wird es noch dauern, bis überzeugende Konsumentenversionen und entsprechende Inhalte auf dem Markt sind. Bis dahin werden sich die technischen Begebenheiten, etwa auch die Verzögerung, weiter verbessern.

Steinicke: Virtual Reality ist in der Automobilindustrie, Luftfahrtindustrie, aber auch in der Öl- und Gasbranche, längst angekommen. Ende dieses Jahres bzw. Anfang kommenden Jahres wird VR-Hardware aber auch bei jedem Elektronikhändler verfügbar sein und gerade jüngere Konsumenten ansprechen. Ich bin davon überzeugt, dass binnen 15 Jahren die virtuellen Welten, die wir dann darstellen können, sich nicht mehr von der Realität unterscheiden lassen. Das hat natürlich ein enormes Potential dafür, wie wir in der Zukunft in solchen Welten leben und arbeiten werden. Hierbei müssen dann aber auch gesellschaftliche und ethische Fragestellungen sowie das Suchtpotenzial berücksichtigt werden, wenn die Welten nicht mehr auseinandergehalten werden können. 

Der Virtual Boy von Nintendo war ein Flopp.
Der Virtual Boy von Nintendo war ein Flopp.bild: nintendo.wiki

Vogl: Da liegt die Verantwortung auch bei den Entwicklern, Unterbrechungen in den Spielverlauf einzubauen. 

Steinicke: Ja, aber es fehlen auch Regeln für Virtual Reality: Darf ich zum Beispiel einen Avatar töten? Ein Avatar ist immerhin eine visuelle Repräsentation eines echten Menschen und nicht bloss ein vom Computer generierter Agent. 

Vogl: Das stimmt. Bisher ist Virtual Reality noch ein riesiger Spielplatz, in dem alle ausprobieren, ohne dass es feste Regeln gibt.

Um bei der Spielplatzmetapher zu bleiben: Wer klaut denn wem die Förmchen im Sandkasten? Welche Branche liegt derzeit also vorne und wer sitzt eher weinend in der Ecke?
Steinicke: Weinend in der Ecke sitzt derzeit niemand. Auch im Journalismus gibt es Pioniere wie Nonny de la Peña, aber durchdrungen ist der Journalismus noch nicht. Ein Problem ist der Content: Eine Geschichte in VR zu erzählen ist nicht so einfach, das hat viel mit Programmierung und Modellierung von interaktiven virtuellen Umgebungen zu tun. Für den fiktionalen Bereich der Contentindustrie ist VR aber auch interessant: Dort kann man alles machen und es gibt keine Beschränkungen der realen Welt.

HTC arbeitet zusammen mit Valve an der Vive-Brille. Dazu gibt es spezielle Controller.
HTC arbeitet zusammen mit Valve an der Vive-Brille. Dazu gibt es spezielle Controller.bild: gamenews

Und wie ist es derzeit um das Zusammenspiel zwischen der Medien- und Digitalbranche sowie der Wissenschaft bestellt?
Steinicke: Ich würde mir wünschen, dass das Wissen aus der Forschung auch in der Industrie mehr Beachtung fände. Fehler müssen nicht zweimal gemacht werden. Denn bereits in den 1990ern ist der Hype um VR ins Leere gelaufen und in Folge war es damals sehr schwer, in dem Bereich beispielsweise Forschungsgelder zu akquirieren. 

Vogl: Auch für Game Development wäre es wünschenswert, die schon bestehende wissenschaftliche Forschung mit einzubeziehen. Da gibt es bisher kaum Schnittstellen, wobei das sinnvoll wäre.

Dieses Interview wurde von nextMedia.Hamburg geführt und watson zur Verfügung gestellt. NextMedia.Hamburg ist eine Standortinitiative für Medien- und Digitalwirtschaft.

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