Wie jetzt? Ein Spiel, das bereits im letzten Jahr veröffentlicht wurde, erhält erst jetzt eine Würdigung? Ja, es ist kompliziert ...
Als Gamejournalist ist das verspielte Leben oft nicht so einfach. Welche Spiele wollen rezensiert werden, welche Spiele muss man rezensieren und welche kann man auch mal einfach links liegen lassen? Solche Entscheidungen sind oft von dramatischer Natur. Es gibt einfach auch zu viele Spiele da draussen. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass ein Spiel einfach völlig untergeht und auf dem persönlichen Radar gar kein Piepen verursacht.
«Thimbleweed Park» ist so ein Spiel, das im letzten Jahr völlig an mir vorbei gedüst ist und erst jetzt mit voller Aufmerksamkeit vor meiner Nase tanzte. Es war zwar irgendwie immer da, doch erst jetzt erstrahlt es in meinem persönlichen Scheinwerferlicht und möchte seine Aufmerksamkeit einholen, die es auch verdient hat.
«Thimbleweed Park» wurde bereits im letzten Frühling auf einigen Systemen losgelassen. Mittels Crowdfunding wurde der Titel finanziert und entwickelt. Niemand geringeres als Ron Gilbert und Gary Winnick, die schon ihre Finger bei den Klassikern «Maniac Mansion» und «Monkey Island» tief im Spiel drin hatten, sind für dieses Retro-Game verantwortlich. Mit «Thimbleweed Park» schufen sie nicht nur eine Hommage an das Point-and-Click-Adventure, sondern auch noch gleich ein Denkmal für sich selber.
Wie es sich für ein Retro-Game gehört, befinden wir uns in der Vergangenheit. Im Jahr 1987 entdecken zwei FBI-Agenten eine Leiche in einem Fluss in der Nähe einer typischen Kleinstadt. Das sind doch Mulder und Scully? Auch wenn die beiden wortkargen Protagonisten den beiden «Akte-X»-Gesichtern zum Verwechseln ähnlich sehen, sie sind es nicht. Aber die erste Hommage hier an die beste Mysterie-Serie aller Zeiten ist unverkennbar.
Die Agenten Angela Ray und Antonio Reyes müssen sich zusammen tun, um den Fall zu lösen. Dass hinter diesem Mord eine ziemlich abstruse Geschichte steckt und sie auf unglaublich durchgeknallte Figuren stossen werden, wissen die beiden noch nicht. Ein Sheriff mit mehreren Persönlichkeiten, ein fluchender Clown, der seine Maske nicht abziehen kann oder eine quirlige, liebenswerte Gamedesignerin sind nur ein paar Figuren, die in dieser Kleinstadt zum Rätselraten einladen.
Wer Erfahrung mit dem Genre hat, weiss sofort wie es geht. Wie früher stehen unten links eine Reihe von Tätigkeitswörtern bereit, mit denen man auf dem Bildschirm oder mit den gesammelten Objekten rechts agieren kann. Mit Personen sprechen, Gegenstände aufnehmen oder tauschen, Schränke öffnen, alles wie früher. Alleine die simple Spielmechanik lässt das Retroherz höher springen. Und genau wie früher sind die Rätsel so richtige Knacknüsse. Selbst auf dem leichten Schwierigkeitsgrad muss man öfters genau nachdenken, kombinieren und genau lesen. Justus Jonas von den drei Fragezeichen hätte seine wahre Freude damit.
So läuft oder irrt man durch diese Stadt, um verdächtige Personen aufzufinden und sie mittels Beweislage dingfest zu machen. Jederzeit kann man zwischen den zwei FBI-Agenten wechseln und somit an unterschiedlichen Örtlichkeiten auf die Spurensuche gehen. Ab und zu wird man mit einer Rückblende noch weiter in die Vergangenheit geschickt, wo man in die Rolle von Nebenfiguren schlüpft, um mehr über die damaligen Geschehnisse zu erfahren. In dieser verrückten Kleinstadt sind wirklich abgefahrene Dinge passiert.
Die Optik versprüht einen Nostalgie-Charme, wie er im Lehrbuch steht. In die pixelige Grafik muss man sich einfach verlieben und sinniert sofort darüber nach, als man als Teenager an den schulfreien Nachmittagen Zuhause vor dem Rechner sass und stundenlang solche Abenteuer erlebt hat. Auch dieser unverkennbare Humor, der uns schon damals bestens unterhalten hat, ist wieder mit an Bord. Die Dialoge sind köstlich, die Slapstickeinlagen göttlich und die piependen Soundeffekte eine Offenbarung für das Retro-Ohr.
«Thimbleweed Park» geht aber noch einen Schritt weiter: Das Spiel steckt voller Anspielungen auf die Populärkultur und auch auf die Videospielindustrie selber. In jeder einzelnen Szene gibt es etwas zu entdecken. Dabei sollte man sich nicht nur auf den aktiven Teil konzentrieren, sondern sich auch die liebevollen Hintergründe genauer ansehen. Da sind so viele Huldigungen versteckt, dass man oft einfach innehält und das Missionsziel vergisst.
Alte Filmposter, versteckte Gegenstände aus anderen Computerspielen, bekannte Personen aus der Szene, die ihren kurzen Auftritt haben, vertraute Melodien aus den 80ern, Zitate aus längst vergessenen Zeiten. Kurz: Da wird mit der ganz grossen Nostalgie-Kelle angerichtet und es ist eine wahre Freude für den Puristen.
Ja, wie konnte so ein Meisterwerk an mir im letzten Jahr einfach so vorüberziehen? Dieses Sammelsurium an Spielspass und Nostalgie-Charme hätte bei mir einfach auf dem Radar erscheinen müssen. Schade.
Und trotzdem bedanke ich mich beim Game-Gott, dass er mir diese Perle erst jetzt geschickt hat. Denn die Welle an neuen Games kommt erst langsam ins Rollen. Somit hatte ich genügend Zeit, mich diesem Abenteuer in aller Ruhe und mit aller Liebe zu widmen. Denn «Thimbleweed Park» muss man in vollen Zügen geniessen. Man muss sich diesem Point-and-Click-Adventure hingeben und alles aufsaugen. Die Macher haben hier ganz viel Liebe reingesteckt. Das muss man als Konsument und Konsumentin auch einfach würdigen. Bis zum letzten Pixel.
«Thimbleweed Park» ist erhältlich für Playstation 4, Xbox One, Nintendo Switch, Windows, Linux, iOS und Android.