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Die SwissCovid-App: Was Edward Snowden von ihr halten dürfte

Edward Snowden, unermüdlicher Kämpfer für ein freies Internet.
Edward Snowden, unermüdlicher Kämpfer für ein freies Internet.screenshot: youtube
Kommentar

Was Edward Snowden von der SwissCovid-App halten dürfte? Die Antwort wird dich überraschen

Die offizielle Lancierung der Schweizer Corona-Warn-App steht bevor. Zeit, zu schauen, was der berühmte Whistleblower davon halten könnte.
22.06.2020, 05:5222.06.2020, 10:37
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Dank Edward Snowden, dem NSA-Whistleblower, kennen wir das erschreckende Ausmass staatlicher Überwachung.

Die USA und weitere Grossmächte haben nach 9-11 ein Big-Brother-System ausgebaut und über Geheimdienste weltweit installiert. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden Freund und Feind nonstop bespitzelt.

Nachdem sich wegen Covid-19 eine weltweite Pandemie abzeichnete, warnte Snowden vor einer gefährlichen «Nebenwirkung»: Massenüberwachung von nie dagewesenem Ausmass. Seine Befürchtung: Zur Seuchenbekämpfung eingeführte Massnahmen und die Verletzungen der Grundrechte würden akzeptiert und auch nach der Krise weitergehen, weil die Mächtigen nicht mehr darauf verzichten wollen.

Damit sind wir bei den Corona-Warn-Apps. Und einer überraschenden Feststellung: Snowden, der fünf Jahre nach den Enthüllungen in Russland im Exil leben muss und als Aktivist für ein freies Internet kämpft, wird SwissCovid lieben.

Woher ich das weiss? Er hat vor gut zwei Monaten fast genau das Gleiche vorgeschlagen. Und zwar in einem Talk mit seinem Freund, dem US-Journalisten Glenn Greenwald.

Snowden schilderte, wie eine App den Menschen helfen könne, Covid-19 zu bekämpfen. Und er sagte:

«Dies erfordert keine Abstriche bei der Privatsphäre. Nichts davon erfordert eine unfreiwillige oder zwingende Verletzung unserer Rechte.»
Edward Snowden

Das Witzige sei, fuhr Snowden fort, dass eine solche Anwendung relativ einfach zu programmieren sei. «Diese Plattform, wisst ihr, hätte in vier Tagen von einem Haufen Universitätsforscher zusammengezimmert werden können.»

Mit seiner Schätzung zum Aufwand lag der Technik-affine Ex-Geheimagent daneben, wie sich herausstellen sollte. In der Realität dauerte es rund 20 mal länger. Aber dafür hat nun die unter der Führung der Eidgenössisch-Technischen Hochschulen Lausanne und Zürich entwickelte SwissCovid-App eine grundsolide wissenschaftliche Basis. Und was den berühmten Whistleblower besonders freuen dürfte: Die «Schweizer Lösung» schlägt seine Idee beim Datenschutz.

Snowden sagte damals:

«Du gehst ins Krankenhaus. Bei dir wird eine Infektion diagnostiziert. Und der Arzt meint daraufhin: ‹Es wäre wirklich sehr hilfreich, wenn Sie freiwillig die Bewegungen Ihres Handys teilen könnten.› – Du nimmst also deine App hervor und zeigst es ihnen. – Und dann: ‹Oh hey, da sass ich neben einem Typen ... Ich weiss nicht, wer er ist, aber Sie sagten gerade, er könnte infiziert sein.›»

Damit schilderte er natürlich nichts Anderes als digitales Contact Tracing, also die Rückverfolgung von zwischenmenschlichen Kontakten mithilfe der Smartphones.

Wenn es solche Handy-Kontakte mit infizierten Personen gab, meinte Snowden, solle man sich vorrangig testen lassen können. Und man erhalte Zugang zu ärztlicher Behandlung, weil klar sei, dass man potenziell exponiert war.

Hier im Original-Ton:

Das war am 8. April 2020.

Wenige Tage davor hatte ein interdisziplinäres Team von Forscherinnen und Forschern ihr erstes «Lebenszeichen» im Internet gegeben. In Form eines Textdokuments, publiziert auf der Programmierplattform GitHub.

Es war der offizielle Auftakt zu dem Projekt, das eine selten sperrige Bezeichnung trägt: «Decentralized Privacy-Preserving Proximity Tracing». Den meisten Leuten dürfte höchstens die Abkürzung in Erinnerung bleiben: DP-3T.

Unsere wertvollsten Güter sind die Gesundheit und die persönliche Freiheit. Das wertvollste Gut des Staates ist das Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger.

DP-3T kann sie alle schützen.

Während Snowden bei seiner App-Idee von Smartphone-«Bewegungen» sprach, geht es bei DP-3T um «Begegnungen». SwissCovid verwendet keine GPS-Standortdaten, sondern Funksignale, anonym und auf kurze Distanz.

Sie ist eine der wenigen Frauen im Team: EPFL-Professorin Carmela Troncoso. Die 37-jährige Spanierin leitet das Labor für Sicherheits- und Datenschutztechnik an der ETH Lausanne und stiess früh zu DP- ...
Sie ist eine der wenigen Frauen im Team: EPFL-Professorin Carmela Troncoso. Die 37-jährige Spanierin leitet das Labor für Sicherheits- und Datenschutztechnik an der ETH Lausanne und stiess früh zu DP-3T. bild: zvg

Die Mitglieder des ungewöhnlichen Wissenschafts-Konsortiums kommen von acht Forschungseinrichtungen aus halb Europa. DP-3T ist aber auch eine ungewöhnliche Form von «Private-Public-Partnership» – also einer Zweckgemeinschaft von öffentlichen und privaten Stellen. Bekanntlich stiess die Zürcher Softwareschmiede Ubique mit ihren erfahrenen App-Entwicklern früh zum Team und konnte Know-how (und eine App) beisteuern. Und für einmal vermochte auch die Bundesverwaltung bei einem Informatik-Projekt zu glänzen.

In wissenschaftlicher Hinsicht hat DP-3T eine internationale Vorreiterrolle erlangt, zahlreiche Länder übernehmen das erarbeitete Protokoll für ihre eigenen Tracing-Apps.

Das hat natürlich vor allem mit den beiden mächtigen US-Konzernen zu tun, die sich früh von der «Schweizer Lösung» überzeugen liessen und zu Partnern wurden.

Apple und Google entwickeln für ihre Betriebssysteme iOS und Android die «Exposure Notification»-Software. Sie bieten Schnittstellen an, die gewährleisten, dass Bluetooth-basierte Tracing-Apps effizient und zuverlässig funktionieren.

Wie effizient und zuverlässig das in der Praxis klappt, werden wir hoffentlich schon sehr bald erfahren. Am 25. Juni will das Bundesamt für Gesundheit die SwissCovid-App offiziell lancieren. Das wird auch höchste Zeit, angesichts der massiven Lockerung der Zwangsmassnahmen.

Anmerkung: Edward Snowden hat sich bislang nur indirekt zu dezentralen Tracing-Systemen geäussert, die auf der Apple-Google-Software aufbauen. Bei Twitter verlinkte der Whistleblower auf einen Beitrag der Menschenrechts-Organisation ACLU, der American Civil Liberties Union. Darin sind Anforderungen an Corona-Warn-Apps formuliert.

SwissCovid erfüllt schon fast alle:

  • Freiwillig ✅
  • Nicht strafend – keine Sanktionen ✅
  • Keine Verdrängung von nicht-technischen Massnahmen ✅
  • Gemeinsam mit Fachleuten des öffentlichen Gesundheitswesens entwickelt ✅
  • Datenschutz – Wahrung der Privatsphäre ✅
  • Nicht diskriminierend ✅
  • Minimale Abhängigkeit von zentralen Behörden ✅
  • Datenminimierung überall ✅
  • Prüfbar und korrigierbar ✅
  • Eng auf eine bestimmte Epidemie zugeschnitten ✅
  • Es gibt eine Ausstiegs-Strategie ✅
  • Keine Datenlecks ✅
  • Nachhaltige Wartung
  • Messbarer Einfluss

Bei den zwei letzten Punkten fehlt das Häkchen, weil eine Beurteilung erst nach der offiziellen Lancierung der App Sinn macht, respektive überhaupt möglich ist. Zudem ist anzumerken, dass Teile der Betriebssysteme Android und iOS nicht Open-Source sind, die SwissCovid-App schon.

Und jetzt du!

Wirst du die SwissCovid-App (nach der Testphase) nutzen?

Quellen

Alles über die Schweizer Corona-Warn-App

Alle Storys anzeigen
Was man über Corona-Warn-Apps wissen muss
Contact Tracing meint die persönliche Rückverfolgung von Infektionsketten. Ziel ist es, die (unbemerkte) Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten einzudämmen oder im besten Fall zu stoppen. Konkret sollen alle Leute gewarnt werden, die über eine gewisse Zeit in relativ engem körperlichen Kontakt standen mit einer infizierten Person und sich angesteckt haben könnten, ohne es zu wissen.

Zu Beginn der Corona-Krise in der Schweiz wurde Contact Tracing übers Telefon gemacht, das heisst, Infizierte (in Quarantäne) wurden zu ihrem Umfeld befragt, das sie vielleicht angesteckt hatten. Wegen der exponentiellen Zunahme der Covid-19-Infektionen war dieses System allerdings bald einmal überlastet, es wird aber in der Phase nach der Lockerung der staatlichen Zwangsmassnahmen («Lockdown»), wenn es wenige Covid-19-Fälle gibt, flächendeckend betrieben von den kantonsärztlichen Diensten.

Digitales Contact Tracing funktioniert per Smartphone-App. Die Mobilgeräte registrieren über ihre Bluetooth-Verbindung automatisch und anonym, wenn sie sich über eine gewisse Zeit in unmittelbarer Nähe zueinander befunden haben. Dieses Verfahren wird auch als Proximity Tracing bezeichnet. Erst später, bzw. nur wenn eine Infektion durch einen medizinischen Test bestätigt worden ist, kann die erkrankte Person andere App-User, die sie vielleicht angesteckt hat, schnell und diskret warnen.

Singapur hat im März 2020 als einer der ersten Staaten eine auf der Messung von Bluetooth-Low-Energy-Signalen basierende App namens TraceTogether lanciert, wobei die Funktionalität eingeschränkt ist, weil der Datenaustausch zwischen iPhones und Android-Geräten nicht gut funktionierte. In Europa und weltweit werden nun Proximity-Tracing-Apps lanciert, die dieses Problem nicht haben, weil Apple und Google bei iOS und Android auf Betriebssystem-Ebene eine Schnittstelle zur Verfügung stellen.

Beim dezentralen Ansatz gilt der Grundsatz Privacy by Design: Die Datenverarbeitung (zur Berechnung des Infektionsrisikos) erfolgt auf den Mobilgeräten. Nur bei einer offiziell bestätigten Infektion und der Einwilligung des Users werden dessen anonymisierte Proximity-Daten (Schlüssel) an einen Server überragen, die es ermöglichen, Dritte zu warnen, und den Datenschutz zu gewährleisten.

Beim zentralen Ansatz werden die Proximity-Daten an einen staatlich kontrollierten Server übermittelt, wo das Infektionsrisiko berechnet wird. Diese System-Architektur ist von über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rund um den Globus als problematisch bezeichnet worden, weil der System-Betreiber nachträglich und heimlich Funktionen ändern («Function Creep») oder zusätzliche Funktionen einführen könnte («Mission Creep»).

Apple und Google unterstützen dezentrale Proximity-Tracing-Apps durch eine technische Kooperation. Sie stellen autorisierten App-Entwicklern eine Programmierschnittstelle (API) zur Verfügung, die Corona-Warn-Apps zuverlässige Bluetooth-Distanzschätzungen und Datenaustausch zwischen Android- und iOS-Geräten ermöglicht. Zudem haben die US-Techkonzerne das Proximity Tracing direkt in die weltweit dominierenden mobilen Betriebssysteme integriert.

Freiwillige Nutzung ist laut Apple und Google Bedingung und wird auch von der Schweizer Corona-Warn-App «SwissCovid» umgesetzt. Das heisst, digitales Contact Tracing kann nicht vom Staat erzwungen werden, sondern erfolgt nur mit Zustimmung der User (Opt-in).
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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{Besserwisser}
22.06.2020 07:29registriert Dezember 2018
Ich freue mich auf alle, welche auf Facebook die Covid-App wegen Datenschutzbedenken kritisieren...
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versy
22.06.2020 06:52registriert Januar 2017
Wie wärs wenn ihr ihn einfach fragt? 😉
Aber danke für den Artikel umd besonders auch die Quellenangaben 👌
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Lümmel
22.06.2020 07:02registriert Mai 2016
Jeder, der einen der Facebook-Dienste nutzt, braucht sowieso gegenüber der App keine Datenschutz-Bedenken zu haben. Das heisst alle, die Whatsapp, Instagram oder Facebook nutzen, sollen auch die SwissCovid App nutzen. Das sind schon mal viele.
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