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Nachrichtendienstgesetz (NDG) tritt ab September in Kraft. Kritiker wehren sich

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Ab dem 1. September 2017 darf der Schweizer Nachrichtendienst legal Handys, Computer und die Internetkommunikation überwachen. 

Wer ab Freitag das Internet nutzt, muss wissen, dass er vom Staat überwacht wird

Der Schweizer Nachrichtendienst darf neu das Internet überwachen, private Räume verwanzen, in PCs eindringen und andere Staaten hacken. Kritiker hatten das Überwachungsgesetz erfolglos bekämpft, das am Freitag in Kraft tritt. Nun wollen sie juristisch gegen die Überwachung vorgehen.
31.08.2017, 13:4715.09.2017, 11:38
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Vor knapp einem Jahr sagten zwei Drittel der Abstimmenden Ja zum neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG), am Freitag tritt es in Kraft.

Mit dem neuen Überwachungsgesetz darf der Nachrichtendienst des Bundes (NDB):

  • Telefone abhören
  • Privaträume verwanzen
  • Kabelaufklärung, sprich Internetkabel anzapfen (E-Mail, Google-Suche, Skype, watson etc. überwachen)
  • In Computer und Handys eindringen (Staatstrojaner)
  • Computer im Ausland hacken

Die «Digitale Gesellschaft», ein Verbund überwachungskritischer Schweizer, teilte am Donnerstag mit, sie erhebe Beschwerde gegen die sogenannte Kabelaufklärung (flächendeckende Überwachung des Internetverkehrs), die ab dem 1. September mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) in Kraft tritt.

Swisscom, UPC Cablecom und andere Telekom-Unternehmen müssen den Datenverkehr im Internet – auch Inhalte – dem Geheimdienst für die Überwachung zur Verfügung stellen. Es handle sich daher um eine «Massenüberwachung» ohne Anlass bzw. konkreten Verdacht, die das Grundrecht auf Privatsphäre schwerwiegend verletze und auch weitere Grundrechte tangiere. 

Der erste Schritt der Beschwerde ist ein Gesuch an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Die Digitale Gesellschaft ersucht den Dienst, die Kabelaufklärung zu unterlassen.

Entspricht der NDB dem Gesuch nicht, was zu erwarten ist, will man den weiteren Rechtsweg beschreiten – «notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg», wie der federführende Anwalt Viktor Györffy der «Aargauer Zeitung» sagte.

Snowden-Anwalt macht mit

Laut «Aargauer Zeitung» stellten sieben Beschwerdeführer das Gesuch an den Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Darunter seien Journalisten und Netzaktivisten, aber auch Marcel Bosonnet, der Schweizer Anwalt des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden.

Die Beschwerde der Netzaktivisten kommt bei Schweizer Sicherheitspolitikern schlecht an: «Wie man trotz der gegen die freie Gesellschaft gerichteten Terrorangriffe, die wir fast überall in Europa miterlebt haben, den Stellenwert der Kabelaufklärung infrage stellen kann, ist mir schleierhaft», wird der Urner CVP-Ständerat Isidor Baumann zitiert, der die Sicherheitspolitische Kommission (SIK) präsidiert.

So überwacht der Nachrichtendienst das Internet

Mit der Kabelaufklärung erhält der Geheimdienst Zugriff auf die Kommunikation über Glasfaserkabel. Diese Rasterfahndung betrifft die Internet-Verbindungen zwischen der Schweiz und dem Ausland. Weil di ...
Mit der Kabelaufklärung erhält der Geheimdienst Zugriff auf die Kommunikation über Glasfaserkabel. Diese Rasterfahndung betrifft die Internet-Verbindungen zwischen der Schweiz und dem Ausland. Weil die meiste Internetkommunikation der Schweizer Bevölkerung über ausländische Server bei Apple, Google, Microsoft, Amazon, Facebook etc. führt, sind alle Bürger von dieser Überwachung betroffen.
bild: digitale gesellschaft

Die Datenströme über Internet-Kabel werden neu auch vom Schweizer Nachrichtendienst erfasst und nach bestimmten Stichworten abgesucht. Die NSA tut dies schon lange, wie wir seit den Snowden-Enthüllungen wissen. Kommt ein gesuchtes Stichwort vor, wird die Kommunikation vertieft ausgewertet. Es handle sich um eine Art Rasterfahndung, schreibt die Digitale Gesellschaft. Verdächtigt werde jede und jeder. «Wer das Internet nutzt, wird überwacht.»

Die Kabelaufklärung stelle – wie auch die bereits heute zugelassene Funkaufklärung – einen Eingriff in Grundrechte dar. Sie tangiere das Recht auf Achtung des Intim-, Privat- und Familienlebens, das Recht auf Schutz der Privatsphäre und das Recht auf Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten sowie die informationelle Selbstbestimmung.

Was verraten die Datenspuren über uns, die wir ständig mit Smartphones und Computern hinterlassen?

Hier sehen wir es am Beispiel von Nationalrat Balthasar Glättli. Auf Basis seiner Mobilfunk- und Internetspuren kannst du in unserer interaktiven Grafik alle Bewegungen von Glättli in einem Zeitraum von sechs Monaten nachvollziehen. Die Ortungsdaten haben wir zusätzlich mit frei im Internet verfügbaren Informationen aus dem Leben des Parlamentariers (Twitter, Facebook und Webseiten) verknüpft.

Die interaktive Karte zeigt, wo Nationalrat Glättli unterwegs war und mit welchen Journalisten, Politikern und Familienangehörigen er kommuniziert hat. Die Personendaten wurden von uns anonymisiert. (Die Karte funktioniert am besten auf einem grossen Bildschirm oder auf Smartphones im Querformat.) Grafik: watson.ch, «Schweiz am Sonntag», OpenDataCity, Digitale Gesellschaft

Der Nutzen der Massenüberwachung bleibt umstritten

Verteidigungsminister Guy Parmelin freut sich über die jüngsten Erfolgsmeldungen des Schweizer Geheimdienstes NDB.
Verteidigungsminister Guy Parmelin freut sich über die jüngsten Erfolgsmeldungen des Schweizer Geheimdienstes NDB.bildmontage: watson

«Diese Normen verleihen jeder Person das Recht, frei von staatlicher Überwachung mit anderen Personen zu kommunizieren», schreibt die Digitale Gesellschaft in ihrem Gesuch an den NDB.

Eingriffe in Grundrechte seien nur rechtmässig, wenn sie geeignet und erforderlich seien, um den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Zudem müsse das öffentliche Interesse überwiegen.

Diese Voraussetzungen sind aus Sicht der Digitalen Gesellschaft bei der Funk- und Kabelaufklärung nicht erfüllt. Zwar werde die Wahrung gewichtiger öffentlicher Interessen anvisiert. Die Funk- und Kabelaufklärung könne zur Wahrung dieser Interessen aber kaum etwas beitragen, da sie ein sehr unspezifisches Vorgehen darstelle.

Die Nadel im Heuhaufen

Das Mittel richte sich gerade nicht gegen eine konkrete Person aufgrund eines konkreten Verdachts, argumentiert die Digitale Gesellschaft. Damit bestehe die Gefahr, so viele irrelevante Daten zu haben, dass es unmöglich sei, die wichtigen Datenstücke – die Nadel im Heuhaufen – zu finden. Die Funk- und Kabelaufklärung sei damit nicht verhältnismässig und nicht gerechtfertigt.

Auch weitere Voraussetzungen sind aus Sicht der Kritiker nicht erfüllt. So müsste im Nachrichtendienstgesetz klar ersichtlich sein, was Gegenstand der Kabelaufklärung sei und wer in welcher Art und Weise betroffen sei. Das sei nicht der Fall.

Journalisten sind besonders betroffen

Um ihr Vorgehen zu legitimieren, macht die Digitale Gesellschaft besondere Betroffenheit geltend. Die Gesuchsteller seien als Journalisten tätig und deshalb von der Funk- und Kabelaufklärung speziell betroffen, heisst es im Schreiben an den Nachrichtendienst. Sie seien für die Ausübung ihres Berufs verstärkt darauf angewiesen, frei von Überwachung und unter Wahrung des Quellenschutzes recherchieren und andere Personen kontaktieren zu können.

Dass das Nachrichtendienstgesetz nur die Verwendung grenzüberschreitender Signale zulässt, ändert aus Sicht der Kritiker nichts. Würden etwa E-Mails erfasst, die über einen Mail-Provider im Ausland versendet oder empfangen würden, werde das als grenzüberschreitende Kommunikation gewertet – auch dann, wenn sich Sender und Empfänger in der Schweiz befänden.

(oli/sda)

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Video: watson/Lya Saxer
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188 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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a.k.a.1896
31.08.2017 17:30registriert April 2017
schon erstaunlich wie schnell das ganze umgesetzt wurde... verdächtig schnell... ich meine, wir sprechen hier von beamten die arbeiten.. schnell arbeiten
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Jason84
31.08.2017 18:44registriert März 2016
Die Stasi wäre neidisch! Die mussten das geheim machen. Hier darf es der Staat ganz offiziell.
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Linus Luchs
31.08.2017 14:29registriert Juli 2014
Massenüberwachung soll uns ja vor Terror schützen. Ach ja? Wie kommt es dann, dass von den 24 islamistischen Attentätern, die seit 2014 in der EU Anschläge verübt haben, bei welchen Zivilisten ums Leben gekommen sind, alle 24 den Behörden bekannt und als gewaltbereit eingestuft waren? Bei 22 waren Kontakte zu Islamisten bekannt, vor 21 wurden die Behörden ausdrücklich gewarnt. Trotzdem wurde nicht eingegriffen, bis es geknallt hat. Die Probleme liegen ganz woanders! Quelle:
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/islamistischer-terror-in-europa-unsere-sicherheit-ist-eine-inszenierung-a-1150015.html
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