Digital
Wissen

«Der Computer kann nicht denken» – wieso es auch in Zukunft Übersetzer braucht

«Der Computer kann nicht denken» – wieso es auch in Zukunft Übersetzer braucht

Der technologische Wandel macht auch vor dem Beruf des Übersetzers nicht halt. Neben höherem Konkurrenzdruck bringt er aber auch Vorteile mit sich.
19.05.2016, 21:0320.05.2016, 10:16
Lina Giusto / Nordwestschweiz
Mehr «Digital»

Nicole Wulf interessiert sich für Sprachen. Viel mehr noch interessiert sie die Sprache in Textform. Texte, die etwas erzählen. Deshalb hat die heute 46-Jährige sich vor 24 Jahren für den Beruf der Übersetzerin entschieden. Ihr Spezialgebiet sind Rechtsgutachten, Urteile, Verträge, offizielle Dokumente.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist in ihrem Beruf einiges passiert. «Durch das Internet haben wir ausländische Konkurrenz bekommen», sagt sie. In Deutschland würden die Texte für die Hälfte des Honorars übersetzt. Der Preisdruck sei gross. Dennoch gibt es diese unsichtbare Mauer, die auch das Internet nicht einzureissen vermag: die kulturellen, sprachlichen Hürden. «Nur schon das Recht in Deutschland ist anders, aber auch die Mentalität. Entsprechend passen wir die Wortwahl an», sagt Wulf.

Ungeduldige Kunden

Mit der technischen Entwicklung hat sich auch das Kundenverhalten geändert: «Die Ungeduld der Kunden sei mit der Technologie gestiegen.» Aber auch die Geschwindigkeit hat zugelegt: «Man müsste quasi rund um die Uhr verfügbar sein», sagt Wulf. Gleich hält es sich mit dem Anforderungsprofil: Als Übersetzer muss man unterschiedlichste Programme und Software beherrschen. Die Vielfalt der Textformate ist enorm gestiegen, und diese beeinflussen die inhaltliche Übersetzung direkt. Entsprechend habe sich auch die Ausbildung zum Übersetzer weiterentwickelt. Nebenberuflich bildet Wulf seit 15 Jahren an zwei Fachschulen Übersetzer aus.

Der Macher dieser App behauptet, sein Programm könne die Bedeutung von Babygeschrei entschlüsseln. 
Der Macher dieser App behauptet, sein Programm könne die Bedeutung von Babygeschrei entschlüsseln. 
Bild: DAVID CHANG/EPA/KEYSTONE

Den Teufel an die Wand malen will Wulf aber nicht. Denn die Technik bringe aber auch Vorteile. Mittlerweile gebe es Übersetzungshilfen, sogenannte Translation-Memory-Systeme. «Das ist ein System, das sich meine Übersetzungen merkt und mich darauf hinweist, wenn es Sätze wiedererkennt», sagt Wulf. Gerade bei Stammkunden, die wiederholt Texte zur Übersetzung schicken, seien sie hilfreich. So stelle man sicher, dass man wiederkehrende Inhalte, Wortwendungen, auch immer wieder gleich übersetzt. Um ihren Job macht sich Wulf jedoch keine Sorgen. Die Software sei eine Arbeitshilfe, mehr aber auch nicht: «Die Übersetzungsmaschinen sind noch lange nicht dort, wo wir mit unserer Arbeit hinkommen», sagt sie.

Fünfteilige Serie
Diese Woche bringt die «Nordwestschweiz» eine Serie, die bis Samstag mit Analysen, Interviews und Porträts eine Navigationshilfe für die unbekannten Gewässer liefern soll, auf die wir zusteuern.

- Dienstag: Die digitale Revolution und ihre Folgen.

- Mittwoch: Wo und wie wir in Zukunft arbeiten werden.

- Donnerstag: Wie sich der Standort Schweiz entwickelt.

- Freitag: Welche neuen Jobprofile entstehen.

- Samstag: Was der Ökonom Thomas Straubhaar dazu sagt.
Jetzt auf

Vollständige Automatisierung sei in ihrem Beruf kein Thema. «Der Mensch kann vernetzt denken – das können die Maschinen heute nicht», ist Wulf überzeugt. Wenn ein Text bei ihr ankomme, dann weise er regelmässig Mängel auf. Unglückliche oder sogar inhaltlich falsche Formulierungen, die nicht das wiedergeben, was eigentlich gesagt werden will. Lediglich der Mensch habe die Fähigkeit, zu merken, welche Aussage beabsichtigt war, ist sich Wulf sicher.

Zu ihrem Beruf gehört nicht nur die Übersetzung von Wörtern, sondern auch analytisches Denken: «Es geht um Inhalt, Zusammenhänge und um das Verständnis im Grossen und Ganzen», sagt Wulf. Es komme auch auf die Information und Details zwischen den Zeilen an. Die richtige Einordnung von Zahlen verlangt Allgemeinwissen, ein Fehler bei der Satzstellung kann den Sinn verfälschen. Der springende Punkt: «Der Computer kann nicht denken. Er übersetzt, was dasteht – versteht aber nicht, was unter Umständen schon im Original fehlt.» (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
9 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Aliyah
19.05.2016 22:07registriert März 2016
Wir mussten in der Schule einmal einen Aufsatz in Englisch schreiben und den Aufsatz eines Mitschülers danach wieder auf deutsch übersetzen. Mein Kumpel war zu faul und entschied sich alles im Internet zu übersetzen. Bill Clinton hiess danach Rechnung Clinton. 😊
502
Melden
Zum Kommentar
avatar
aye
19.05.2016 23:00registriert Februar 2014
Ich glaube die gute Frau Wulf unterschätzt die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning massiv.

Gerade in ihrem Spezialgebiet (Rechtsgutachten usw.) ist es wohl relativ einfach, durch Analyse einer grossen Anzahl bestehender Übersetzungen eine Datenbank aufzubauen, aus der sehr gute neue Übersetzungen generiert werden können. Quasi ein intelligenteres Translation-Memory-System. Dann muss vielleicht noch ganz kurz ein menschlicher Übersetzer drüberschauen, aber der erledigt so die Arbeit von 30 Kollegen.

Natürlich nicht schon morgen, aber in ein paar Jahren definitiv.
338
Melden
Zum Kommentar
avatar
Newsaddicted
19.05.2016 22:26registriert November 2014
Ich bin überzeugt davon, dass in naher Zukunft die Künstliche Intelligenz auch das hinbekommt.
2013
Melden
Zum Kommentar
9
Johann Bücheler, der Guillo­ti­nen­bau­er aus Kloten
Johann Bücheler war ein gewöhnlicher Schreiner aus Kloten. 1836 erhielt er vom Kanton Zürich den Auftrag, eine Guillotine zu bauen. Danach war ein normales Leben nicht mehr möglich.

Johann Bücheler fertigt in seiner Holzwerkstatt Stühle, Tische und Schränke – bis er einen delikaten Auftrag vom Polizeirat des Kantons Zürich bekommt. Er soll nach Genf reisen, um dort die erste Guillotine der Schweiz zu studieren. Denn der Kanton Zürich, neuerdings von Liberal-Radikalen regiert, will nicht länger gruselige Spektakel mit manuellem Enthaupten durchführen.

Zur Story