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Ein neues Gespenst geht um in Europa: Die Souveränität

Merkel und Cameron: Beide Staatsoberhäupter pochen auf mehr Souveränität.
Merkel und Cameron: Beide Staatsoberhäupter pochen auf mehr Souveränität.Bild: AFP
Comeback der Krise

Ein neues Gespenst geht um in Europa: Die Souveränität

Europa droht eine lang anhaltende wirtschaftliche Stagnation. Politiker fordern deshalb mehr nationale Souveränität. Die Folgen wären katastrophal. 
22.10.2014, 10:2222.10.2014, 10:36
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Der britische Premierminister David Cameron will die Zuwanderung auf die Insel beschränken. Er wolle die «Notbremse ziehen», versprach er und stellte trotzig fest: «Wenn es um den freien Personenverkehr geht, dann werde ich dafür sorgen, dass Grossbritannien das erhält, was es braucht.» 

Frankreich und Italien wollen einmal mehr die im Vertrag von Maastricht festgehaltenen Obergrenzen für die jährliche Neuverschuldung ignorieren. Das französische Staatsbudget sei nicht dazu gedacht, die Wünsche von Brüssel zu erfüllen, erklärte dazu Premierminister Manuel Valls. Denn: «Wir sind eine grosse Nation. Frankreich ist eine souveräne Nation.» 

Die schwarze Null muss stehen

In Deutschland ist die Wirtschaft im Sommer empfindlich eingebrochen. Die Zinsen für deutsche Staatsanleihen sind zudem so tief, dass der Staat zum Nulltarif Geld aufnehmen und damit dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur tätigen könnte. Doch die Deutschen beschäftigt nur ein Thema: Die «schwarze Null» muss stehen, will heissen: Das Budget für nächstes Jahr muss ausgeglichen bleiben – und wenn dabei die europäische Wirtschaft den Bach herunter gehen sollte.

Wenn Europas Staatsoberhäupter derzeit auf Souveränität pochen, dann meinen sie damit nackten Nationalismus. Dass sie dabei die europäische Einheit verraten, ist ihnen bewusst, denn ohne einen Teilverlust von Souveränität kann die EU nicht funktionieren. Aber Cameron, Valls & Co. sind überzeugt, sie könnten nicht anders. «There ist no alternative (Es gibt keine Alternative)», hatte Margaret Thatcher einst deklariert, und dieses «Tina»-Gefühl hat Europa wieder fest im Griff. 

«Es gibt keine Alternative»: Margaret Thatcher.
«Es gibt keine Alternative»: Margaret Thatcher.Bild: EPA PA

Griechenland ist nicht das Problem

Rational gesehen braucht Europa mehr Einheit und weniger nationale Souveränität. Der Schweizer Föderalismus funktioniert nur, weil wir eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Sozialversicherung und eine unabhängige Nationalbank haben. Sie garantieren die grösstmögliche Souveränität der Menschen in den einzelnen Kantonen. Diese Einsicht hat sich noch nicht bis nach Brüssel herum gesprochen. Europa hat eine verhasste Einheitswährung, eine eingeschränkte Zentralbank, einen ungeliebten Fiskalpakt, eine kastrierte Bankenunion – und Menschen, die nach mehr Souveränität lechzen. 

Politisch gesehen ist die EU weder Fisch noch Vogel, wirtschaftlich gesehen steckt sie in grössten Schwierigkeiten. Allerdings sind diese Schwierigkeiten anderer Natur als vor zwei Jahren. Damals drohte ein Bankrott der Defizitsünder – vor allem von Griechenland – und ein Crash des Euro. Das konnte dank EZB-Präsident Mario Draghi vermieden werden und das Bruttoinlandsprodukt der Problemkinder wächst inzwischen wieder – wenn auch viel zu langsam. 

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Die Grossen können nicht mehr miteinander

Die Gefahr droht heute von einem zunehmend gehässigen Ton der Grossen untereinander. Die Achse Paris-Berlin ist nach wie vor der Grundpfeiler der EU. Doch französische Politiker können sicher sein, dass kämpferische Töne in Richtung Deutschland auf viel Wählersympathie stossen. Umgekehrt kann jeder deutsche Politiker mit Applaus rechnen, wenn er sich abfällig über französischen Schlendrian äussert und Reformen und Disziplin fordert. 

Europa droht, was Ökonomen neuerdings eine «säkuläre Stagnation» nennen, ein lange Phase mit mickrigem Wirtschaftswachstum. Das bedeutet permanent hohe Arbeitslosigkeit und fallende Löhne für den Mittelstand. Dieses Problem kann die kastrierte Europäische Zentralbank mit geldpolitischen Mitteln allein nicht beheben. 

Entweder opfern die einzelnen Nationen ein Stück Souveränität und rücken politisch enger zusammen – oder die Einheitszone bricht auseinander. Vor dieser Wahl steht Europa. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Folgen eines Zusammenbruches sind nicht abschätzbar, aber auf jeden Fall katastrophal. 

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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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udiuke
22.10.2014 12:11registriert Januar 2014
Und was will uns Herr Löpfe damit sagen? Mehr Zentralismus, noch weniger Demokratie, dafür mehr Bürokratie? Das sind die Heilsbringer für die EU? In der Schweiz funktioniert der Föderalismus weil 1. die Schweiz geografisch überschaubar ist, 2. wirtschaftlich kein so grosses Gefälle innerhalb der Kantone herrscht, 3. die direkte Demokratie installiert ist und der Bürger die oberste Instanz ist und somit die Gesetze macht und damit auch hinter diesen steht und sich damit identifiziert und sich somit auch mit den benachteiligten Regionen und Gruppen solidarisiert, sollten sie unter den Gesetzen Nachteile erleiden, 4. wir nichts anderes kennen, als das föderalistische Prinzip und wir das verinnerlicht haben. Das lernt man nicht in 10, 20 Jahren. Und das Wichtiste: Brüssel muss dazu mehr Autonomie zulassen. Denn Föderalismus funktioniert nur mit grosszügiger Autonomie. Das ist ja gerade der Vorteil des Föderalismus.
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