So hoch waren die Erwartungen an dieses olympische Hockeyturnier. Erstmals seit Vancouver 2010 wieder die besten Spieler der Welt. Die NHL-Stars. Die Lichtgestalten des Eishockeys. Welch ein Spektakel!
Die Erwartungen sind nicht erfüllt worden. Noch in zehn Jahren werden Hockeytrainer zwar von diesem Finale schwärmen. Von diesem olympischen Siegerteam. Von dieser Perfektion des kanadischen Spiels. Von Buchstabe für Buchstabe, Satzzeichen für Satzzeichen umgesetzten «Game Plan».
Ja, den Kanadiern ist die perfekteste Partie in einem internationalen Spiel mit NHL-Profis auf diesem Niveau gelungen. 3:0 (1:0, 1:0, 1:0) gegen Schweden. Im besten Wortsinne Resultathockey. Es ist eine der grössten Demütigungen für die Schweden und die schlimmste Niederlage seit dem 1:6 gegen Finnland im WM-Finale von 2011. Ein grosses Kanada also.
Aber die Fans ausserhalb von Kanada werden das olympische Turnier von 2014 schon nächste Woche vergessen. Perfektion ist langweilig. Perfektion regt nicht auf. Sie beruhigt.
Nur im zweiten Drittel, als die Kanadier die Entscheidung zum 2:0 erzwangen, gab es ein rund zehnminütiges spielerisches Gewitter mit offensivem Blitz und Donner. Es ist wie eine Versöhnung mit der Spielkunst, dass dieser entscheidende Treffer Kanadas «Golden Boy» Sidney Crosby erzielte.
Er hatte vor vier Jahren in Vancouver gegen die USA das goldene Tor zum 3:2 in der Verlängerung erzielt und Kanada Gold beschert. Er gilt, zumindest in Kanada, als bester Spieler seit Wayne Gretzky.
Große Spieler zeigen dies in großen Spielen #87 Crosby# Can# Sochi2014
— Sylvio van de Hecki (@cheffebz) 23. Februar 2014
Ansonsten war diese Finalpartie, um beim meteorologischen Vergleich zu bleiben, eher sanfter taktischer Landregen mit nahezu totaler Spielkontrolle. Wenn die besten Spieler der Welt nichts riskieren, dann kommt perfektes Hockey dabei heraus. Immerhin hatten die Kanadier mit unserem Ex-Nationaltrainer Ralph Krueger den besten Ingenieur des Defensivspiels als Berater.
Krueger hat das taktische Drehbuch der Kanadier ganz entscheidend mitgestaltet. Kein Wunder, kommt Torhüter Carey Price auf eine Fangquote von sagenhaften 97,07 Prozent, der höchste je gemessene Wert beim Goalie eines Olympiasiegers. Die bisherige Bestmarkte hatte Roberto Luongo gehalten: 92,68 Prozent 2010 in Vancouver. Und ganz nebenbei: Unser Jonas Hiller war in Sotschi mit einer Fangquote von 97,06 Prozent der zweitbeste Torhüter.
Kanada ist ein grosser, ein würdiger, ein verdienter Olympiasieger. Aber mit kleinem Eishockey. Klein in dem Sinne, dass die aufwühlenden Dramen und die Emotionen, die spielerischen Sonnenstürme, alles eigentlich Standardelemente grosser Hockeyturniere, weitgehend fehlten.
Das Finale, so interessant es auch taktisch war, und so hochstehend es hockeytechnisch sein mochte, liess die Herzen der Zuschauer weitgehend kalt. Es rockte und rollte nicht im Bolschoi-Eispalast. Die Stimmung mahnte eher an das Bolschoi-Theater. Freundlicher Applaus für Kanadas Olympiahelden.
Der emotionalste Moment, der doch noch führ Gänsehaut sorgte, kam nach dem Spiel. Als die kanadische Hymne gespielt wurde. Kanada ist der erste Olympiasieger, der seit dem Ende des Kalten Krieges den Titel verteidigen konnte – letztmals schaffte es die Sowjetunion 1988.
Wer so hochstehendes, anspruchsvolles taktisches Hockeyschach auf Weltniveau nicht so gern hat, wer offenes Spektakelhockey, taktischen Leichtsinn und leichte, triviale spielerische Unterhaltung lieber hat, wer im hockeytechnischen Sinne Rosamunde Pilchner und Konsalik Klassikern wie Nietzsche und Goethe vorzieht, ist 2014 in Sotschi nicht auf die Rechnung gekommen und muss sich noch etwas gedulden. Bis zum 26. Dezember 2014. Bis zum Auftakt des nächsten Spengler Cup-Turniers.