«Knowledge is power», Wissen ist Macht, beendet Angelina Jolie heute ihr «Tagebuch einer Operation» in der «New York Times». Nach dem 14. Mai 2013 hat sie sich den 24. März 2015 zu ihrem neuen Geständnistag erwählt. Wieder in der NYT, Amerikas angesehenster Zeitung, wieder in Ich-Form. Und wieder schreibt sie darüber, wie sie sich ein Stück ihres Körpers hat entfernen lassen. 2013 waren es die Brüste. Letzte Woche waren es die Eierstöcke und Eileitern. Aus Angst vor Krebs.
Eine Untersuchung hatte gezeigt, dass es in ihrem Körper ein paar Entzündungsherde gab, «alle zusammen könnten ein frühes Zeichen von Krebs sein», sagte ihr Arzt. Und noch ohne einen Ultraschall oder eine Gewebeprobe zu machen, wusste die immer schon radikale Angelina Jolie, was zu tun war: «Ich rief meinen Mann in Frankreich an, innert weniger Stunden war er im Flugzeug. Das Schöne an solchen Momenten im Leben ist, dass plötzlich so viel Klarheit herrscht. Du weisst, wofür du lebst und was zählt.»
Sofort besuchte sie die Ärztin, die ihre Mutter behandelt hatte. Die Mutter, die mit 56 an Eierstockkrebs gestorben war. «Ich hatte sie zuletzt an jenem Tag gesehen, als meine Mutter starb, und sie war den Tränen nah, als sie mich sah: ‹Du gleichst ihr aufs Haar!› Ich brach zusammen.»
Sie liess sich von weiteren «östlichen und westlichen Ärzten» beraten, schliesslich ist sie UNO-Botschafterin und Weltenbürgerin (und sehr, sehr reich), und alle rieten ihr zum Eingriff. Als sie sich die Eierstöcke hatte entfernen lassen, fand sich an ihnen nicht die geringste Spur einer kranken Zelle.
Vorsorglich hatte sie sich also von vollkommen gesunden Organen getrennt. So, wie auch ihre Brüste im Moment der Entfernung gesund gewesen waren. Aber nicht nur ihre Mutter, auch ihre Grossmutter und Tante waren an Krebs gestorben. «Ein einfacher Bluttest ergab, dass ich an meinem BRAC1-Gen eine Mutation hatte.» Angelina Jolies Brustkrebs-Risiko lag bei 87 Prozent, das Eierstock-Krebs-Risiko bei 50 Prozent.
«Ich weiss, dass meine Kinder nie sagen müssen: Mutter starb an Eierstockkrebs.» Nein, das müssen sie nicht sagen. Aber sie könnte sich auch das rechte Bein entfernen lassen, und ihre Kinder könnten einmal sagen: «Mutter hatte nie ein gebrochenes rechtes Bein.» Was fehlt kann auch nicht fehlerhaft werden. Die Gebärmutter hat sie noch behalten. Es gibt in ihrer Familie keinen Gebärmutterkrebs.
Wissen ist Panik. Denn es handelt sich hier nicht einmal um exaktes Wissen, sondern bloss um die Idee, die Projektion der Möglichkeit einer Krankheit, die Angelina Jolie dazu veranlasst, sich allmählich auszuräumen. Aus einer Fiktion unwiederbringliche Realität zu machen. Ein möglicherweise gefährdetes Organ ums andere abzustossen. Aus der Wissenschaft Medizin wird eine Philosophie der Angst. Verkündet von vielen, vielen Ärzten aus West und Ost. Die Furcht und den Kontrollwahn von Angelina Jolie können wir uns wohl fast nicht vorstellen. Und das absolute Sicherheitsbedürfnis, das doch gar nie vollkommen sein kann. Schon gar nicht bei ihr, die Krisen- und Kriegsgebiete besucht und regelmässig um die ganze Welt fliegt.
Es klingt wie in einem Science Fiction: Irgendwann könnte Angelina Jolie eine wunderschöne Hülle ohne innere Organe sein, der reine Schein. Es wäre dies wahrscheinlich die letztmögliche Steigerung eines Starkörpers, der ja sowieso vor allem Projektionsfläche ist.
Eigene Kinder kann sie jetzt keine mehr bekommen und sie befindet sich mit 39 Jahren bereits in der Menopause. «Ich erwarte körperliche Veränderungen. Aber ich fühle mich wohl mit allem, was geschehen wird, nicht, weil ich stark bin, aber weil dies zum Leben gehört. Es ist nichts, was ich fürchten muss.» Wahrscheinlich werden wir die Veränderungen kaum wahrnehmen. Denn die Medizin kann an Angelina Jolie noch viel ausrichten, wegnehmen, hinzufügen, ersetzen, diagnostizieren, optimieren. Und verdienen.
Von einer Redaktorin reisserisch betitelt. "Ausräumen" ist der nichtmedizinische Begriff für die Entfernung von Geweberesten bei Fehlgeburten oder die Entfernung der Gebärmutter. Ob man nicht einfach respektvoll (auch im Titel) von einer operativen Entfernung der Eierstöcke schreiben könnte, wenn es denn unbedingt an die Lesenden herangetragen werden soll? Bei den watson-usern würde das verstanden.
Nein, das müssen sie nicht. Aber Angelina Jolie könnte sich auch das rechte Bein entfernen lassen, und ihre Kinder könnten einmal sagen: «Mutter hatte nie ein gebrochenes rechtes Bein.»
Echt jetzt? welche Humorgehhilfe schreibt denn bei euch die FB postings?