Manchmal, also täglich, belästigen Journalisten die Menschen vom Film mit derart dummen Fragen, dass ich gerne sofort zu einer anständigeren Berufsgruppe gehören möchte. Heute Morgen fragte zum Beispiel das französische Fernsehen Tommy Lee Jones, ob er seinen Frauen-Western «The Homesman» gedreht habe, um über Frauen nachzudenken. «Oh ja, es hat sich nämlich herausgestellt, dass meine Grossmutter, Mutter, Frau und Tochter alles Frauen sind» sagte Jones. Und ob er seinen Film in der menschenleeren Prärie gedreht habe, um etwas über sich selbst herauszufinden. «Nein, um einen guten Film zu machen.» Thank you, Mr. Jones. Auch für den Film.
Eigentlich wollte ich heute ja für einmal gar nicht über Filme schreiben, sondern über Kleider und Kulinarik, aber «The Homesman» ist SO grossartig, sowas, wo man weiss, oh!, «instant classic»!, also ein Instant-Klassiker, jedenfalls glaube ich, das zu wissen, was die andern denken, keine Ahnung, ich will mir meine Freude auch gar nicht verderben lassen, und bereue es kein bisschen, dass ich ab 7.45 Uhr vor dem Kino anstehen musste.
Presse, das merkt man als Mitglied der Presse in Cannes ganz exorbitant, kommt ja von «gepresst» oder so, man wird nämlich pro Tag über mehrere Stunden in mehrere Kilometer lange Schlangen und immerzu gegen allerlei Abschrankungen gepresst. Es ist, nervlich gesehen, nicht meine Stärke, Schlange stehen kann ich sonst nur in England, aber mit einer Berocca-Pille zum Frühstück geht’s einigermassen.
Item, der Frauen-Western. Also, irgendwann im vorletzten Jahrhundert fällt eine Seuche über ein gottverlassenes Wüstennest in Nebraska her, killt Vieh und Menschen, und drei Frauen werden über all dem so richtig wahnsinnig. So schlimm, dass sie weit weg zu Meryl Streep in eine Art Psychotherapie gehen müssen. Lustigerweise spielt eine Tochter von Meryl Streep eine der Irren. Meryl Streep ist aber gar nicht so wichtig, viel wichtiger ist nämlich Hilary Swank, die mit ihren zwei Oscars im Vergleich zu Meryl Streep um einen Oscar im Rückstand ist. Aber die Oscars sind auch nicht wichtig.
Hilary Swank ist eine 30-jährige alte Wüstenjungfer, total tough, und beschliesst, die drei Irren zu Meryl Streep zu bringen. Ein mehrwöchiges Unterfangen mit Pferd und Wagen und genügend Waffen beginnt und dies im Winter, und Tommy Lee Jones, der so eine Art Prärie-Clochard spielt, hilft ihnen dabei. Immer wieder macht Hilary Swank Männern Heiratsanträge und wird abgeschmettert, was unlogisch scheint, wenn man sich Hilary Swank in Echt so anschaut.
Aber um noch kurz ernsthaft zu werden: «The Homesman» ist einer jener Filme, in denen man der Welt noch so gern für zwei Stunden abhanden kommt: Die Idee ist so verrückt wie die drei Furien, die Figurenzeichnung enorm genau, stark und brutal, die Landschaft gibt ihr Letztes, um gut auszusehen, die Kamera liefert ein Blendwerk der Wüstenparanoia, die pragmatische Sprunghaftigkeit von Hilary Swank ist sehr amüsant, das ganze Transport- und Überlebensdrama enorm spannend. Ein grosser Film für die grosse Leinwand, und am Ende steht einem das Augenwasser zuvorderst, dabei ist alles gar nicht sentimental. Und ja, freut euch, Leute, der Film kommt in die Schweiz.
Tommy Lee Jones ist ja mit Mathieu Amalric und Ryan Gosling zusammen einer der Schauspieler, die in Cannes auch als Regisseure anwesend sind (allerdings ist er der einzige im grossen Wettbewerb, die andern wurden bloss zu Nebensektionen zugelassen, die Verlierer), und das ist für die drei sehr schön, denn grundsätzlich ist der Mann in Cannes ja nicht so wichtig, da ist die Frau der Pfau und stiehlt die Schau.
Allerdings laufen derzeit derart viele Pfauenfrauen über die roten Teppiche, dass ich mir öfters die Augen reibe und mich frage: Eva Longoria? Zu welchem Film gehört denn die? Ah, nein, nur zum Sponsor L’Oréal! Cate Blanchett? Genau, zu Chopard! Salma Hayek? Als Produzentin und Protestantin. Und Jennifer Lawrence? Ist bloss hier, um die Weltbedeutung der «Hunger Games» zu feiern - und weil sie die wichtigste junge Schauspielerin von ganz Hollywood ist. Letzte Nacht soll sie sich bei der Armani-und-«Vanity Fair»-Party im Hotel du Cap-Eden-Roc ausgerechnet mit Justin Bieber angefreundet haben. Und Pamela Anderson trug dazu ein Klimaschutz-T-Shirt mit fallenden Schultern. Sicher von Armani.
Andere sind da, weil hier auch wirklich ihre Arbeit gezeigt wird. Und als ich gestern Jessica Chastain in «The Disappearance of Eleanor Rigby», diesem «Silver Linings Playbook» für ganz Arme sah und sie so wunderschön fand, begann ich darüber nachzudenken, wieso mir eigentlich immer die hellhäutigsten Schauspielerinnen mit den roten Haaren so sehr gefallen. Und ich schaute in den Spiegel und sah darin zwar nichts irgendwie Bemerkenswertes, aber etwas Hellhäutiges und ein bisschen Rothaariges. Und ich dachte: Narzissmus, du bist schon eine schöne Schlampe. Au revoir!