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Der Monstermeister ist zurück. Und sein Schneefresserzug ist entsetzlich exzellent

Billy Elliot (Jamie Bell, links) und Captain America (Chris Evans), sind jetzt gefangen im Horrorzug. bild: ascot elite
Zum Kinostart von «Snowpiercer»

Der Monstermeister ist zurück. Und sein Schneefresserzug ist entsetzlich exzellent

30.04.2014, 18:5301.05.2014, 10:41
Simone Meier
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Das Grossartige daran, in einem Betrieb voller Nerds wie watson zu arbeiten, ist: die kennen Monsterfilme! Die haben «The Host» gesehen! Die schauen einen nicht an, als käme man vom fremdest möglichen Stern, wenn man sagt: «Koreanisches Actionkino». Die sagen: «Vollgeil!» Und Nerds are never wrong, wenn es darum geht, sich in den schrulligeren Winkeln der Weltkultur richtig gut auszukennen.

Wobei «The Host» (2006) ja nicht irgendein koreanischer Monster-Actionfilm ist, sondern der erfolgreichste Film, der bis dahin in Korea überhaupt gedreht worden war. Das genmutierte Monster, das in einem von Amerikanern vergifteten Fluss aufwächst und freudig ganz Seoul terrorisiert, machte den Regisseur Bong Joon-ho schlagartig erst nerdweltberühmt und dann weltberühmt. Ein regulärer Monsterhit. Spektakulär, unberechenbar und enorm fantasievoll, wie Steven Spielberg auf Partydrogen, und wo Pathos drohte, wurde Komik eingesetzt. 

Der Zug rettet und quält seine Passagiere

Jetzt hat Bong Joon-ho richtig viel Geld bekommen, nämlich 40 Millionen Dollar, und einen richtig grossen Hollywood-Verleiher, nämlich Harvey Weinstein. Und dies für die Comicverfilmung «Snowpiercer». Das Genre: Dystopischer Post-Apokalypse-Science-Fiction. Die Handlung: Grob zusammengefasst Arche Noah, bloss viel, viel aufregender als Darren Aronofskys schwerblütiger «Noah». «Snowpiercer» ist bereits in 167 Länder verkauft und in den meisten davon gestartet, allein die USA, Grossbritannien, Südafrika, Australien und Neuseeland müssen noch warten, denn Weinstein hat beschlossen, aus den zwei Stunden 20 Minuten rauszuschneiden und den Anfang des Films zu vereinfachen. 

Trailer «Snowpiercer»

Trailer «The Host»

Was da wohl raus soll? Etwa die ultrabrutale Bestrafungsmethode, die darin besteht, dass Leuten Gliedmassen erst tiefgefroren und dann abgeschlagen werden? Oder die Einsicht, dass einem kurz vor dem Hungertod, wenn man sich zum Kannibalismus gezwungen sieht, Babys einfach viel, viel besser schmecken als Erwachsene? Man kann das nachvollziehen. 

Doch worum geht es wirklich? Um eine neue Eiszeit, von umweltzerstörenden Menschen verschuldet. Das Monster ist hier kein fantastisches Tier, das Monster ist ein Zug, ein «Schneekreuzer» eben, der mit ein paar Überlebenden um die Welt rast und sie zugleich rettet und quält. Eine Maschine mit einem Mund voller Stahlzähne, der Schnee und Eis frisst und zu Wasser verarbeitet, mit einem diffizil ausbalancierten Ökosystem samt Nutztieren und futuristischen Gewächshäusern, aber einem komplett konservativen Klassensystem.

Vorne die Reichen, Verwöhnten und Mächtigen unter der Führung eines Gurus namens Wilford (Ed Harris) und der Fuchtel seiner Ministerin (Tilda Swinton). Hinten die Armen, Aufständischen, die sich von widerlichen Geleeklumpen aus Industrieabfällen ernähren müssen und deren einziger Trost die Billigdroge Kronol ist. Das Ziel des Zuges: Keines, ausser der Aufrechterhaltung eines totalitären Systems.  Vorne Hightech, Schulen, Sushibars und Sklaven, hinten Slums mit drohender Überbevölkerung. Da sind ein paar grosse Grundsatzprobleme der Weltbevölkerung, sehr anschaulich auf das Passagiervolumen eines Zugs reduziert worden.

Tilda Swinton (links) bittet die Aufständische von ganz hinten zum Schulbesuch im Vorderteil des Zuges.bild: ascot elite

Zwischen vorne und hinten herrscht Krieg (mit tollen Kampfchoreographien), ein rätselhafter Asiate und seine hellsichtige Tochter (Song Kang-ho und Ko Asuang, beide spielten Hauptrollen in «The Host») weisen den Weg. Was als Tristesse in Bleitönen beginnt, mündet bald in LSD-artige Farborgien, ornamentiert von einer betörenden Kalligraphie des Blutes, und alles eingefasst von einer eisigen Hölle, wie man sie seit «The Day After Tomorrow» nicht schöner gesehen hat.

Auch die Besetzung bringt ins Schwärmen: Tilda Swinton ist auf dem Gipfel ihrer komödiantischen Kunst, John Hurt mal wieder ein totales Enigma, Jamie Bell und Octavia Spencer sind beide sehr nuanciert und die koreanischen Gäste ganz einfach zwei Stars. Bloss Chris Evans, derzeit als «Captain America» ein Kassenmagnet, bleibt eine seltsam blasse Verschiebemasse. Was irgendwann aber durchaus Sinn macht.

Eigentlich ist sowieso alles sinnlos, was sie tun, denn draussen wartet bloss ewiges Eis. Doch der Zug rast weiter, so unbeirrt, wie sich die Erde um die Sonne dreht. Der Zug ist ein Monster. Und «Snowpiercer», um es in den Worten der Nerds zu sagen, «ein verdammtes Must».

«Snowpiercer» läuft jetzt im Kino.

Die fantastische Ko Asung 2006 in «The Host»...
Die fantastische Ko Asung 2006 in «The Host»...bild: bonzai media
... und 2014 in «Snowpiercer».
... und 2014 in «Snowpiercer».bild: ascot elite
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