Letztes Jahr war der Schauspieler Daniel Brühl der Superstar im Promi-Gewühl gewesen. Das war schön, aber glamour-technisch gesehen schon eine Stufe unter John Travolta vom vorletzten Jahr. Und jetzt, zum zehnjährigen Jubiläum: Chadwick Boseman. Hat den in Zürich vor der Eröffnung des Zurich Film Festivals irgendwer gekannt? Nein?
In ein paar Jahren wird man sich sicher zuraunen, dass der Boseman als James Brown auch ein bisschen in Zürich entdeckt wurde, denn dass der Boseman jetzt, als James Brown, noch ein paar Auszeichnungen und Tausende von Interviews und Porträts vor sich hat, das ist klar. Egal, ob man «Get on up», die Verfilmung von Browns verrücktem Leben, für ein Meisterwerk hält oder nicht. Chadwick Boseman ist auf jeden Fall ein Grosser, das ist klar.
Aber bleiben wir fürs erste im Kleinen. In der Schweiz. Auf dem grünen Teppich des zehnten ZFF, auf dem irgendwann, es dürfte kurz nach 20 Uhr am Donnerstagabend gewesen sein, die Kerzen auf einer winzige Geburtstagstorte angezündet und ausgeblasen wurden. Es paradierten da die üblichen Teppich-Schweizer vorbei, sie hatten sich herausgeputzt, Didier Cuche sah viel jünger aus als letztes Jahr, Leonardo Nigro hatte sich offenbar zu Herzen genommen, dass Orange das neue Schwarz sei, und sich seine Haare entsprechend umgefärbt, Tanja Frieden triumphierte in einem Hosenanzug.
Iouri Podladtchikov muss noch ein paar Teppich-Manieren lernen, er liess seine beiden Begleiterinnen nämlich zugunsten der Journalisten eine gute halbe Stunde lang stehen.
Die Zweitschönste war wie immer Melanie Winiger in einem schwarz-weissen Klosterschülerinnen-Kleid (Madonna hatte exakt sowas vor drei Jahren am Filmfestival von Venedig getragen), die Schönste ebenfalls wie immer Festivaldirektorin Nadja Schildknecht in einem türkisen Traum aus Pailletten – vorne hoch, hinten tief, unten weit mit Schleppe. Und natürlich gehört es sich, dass Nadja Schildknecht alle überstrahlt, denn schliesslich überstrahlt auch ihr Enthusiasmus an den Eröffnungsabenden seit einem Jahrzehnt alles andere, und ohne diesen Enthusiamus und den des künstlerischen Leiters Karl Spoerri gäb’s das ZFF ganz einfach nicht. Und deshalb sagen wir an dieser Stelle ganz schnell und unzeremoniell, was die beiden zur Eröffnung stets zuvorderst hatten: danke.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga sagte in ihrer Rede im Kino Corso als das Festival vor zehn Jahren auf die Welt gekommen sei, hätten viele gesagt: «Wir haben schon hübschere Babys gesehen.» Heute ist das ZFF ein ziemlich schönes Kind und irgendwann wird es vielleicht ein hinreissender Teenager sein. Simonetta Sommaruga sagte noch andere lustige Dinge, als Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements dürfe sie die anwesenden Gäste in Sicherheit wiegen, ihre Festivalbilanz sei nämlich perfekt: «Drei Eröffnungen, keine Festnahme.» Womit sie natürlich die Verhaftung von Roman Polanski am ZFF 2009 meinte.
Und als ihr noch knapp fünf Minuten Redezeit verblieben, sagte sie, das sei ungefähr so lange «wie andere Parteien überlegen, bevor sie die nächste Volksinitiative ankündigen». Es ging das Gerücht, dass sie den gleichen Redenschreiber gehabt hätte wie letztes Jahr Bundesrat Alain Berset, aber dafür schien ihre Rede eine auffällige Spur zu persönlich.
Auch Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch, die zum ersten Mal ein ZFF ganz in Rot eröffnete, nahm den Abend persönlich, sie betrachtete nämlich den Film über James Brown nicht als Politikerin, sondern «as an electric bass player I used to be in my former life». Nina Eichinger, die Tochter des 2011 verstorbenen Filmproduzenten Bernd Eichinger und DSDS-Jurorin, die übrigens mehrere Jahre in Lugano studiert hatte, führte so souverän durch den Eröffnungsabend, als sei sie bei der Geburtsstunde des unhübschen Babys dabeigewesen.
Und dann war es endlich Zeit für den Film von Regisseur Tate Taylor, es gibt Leute, die nennen ihn einen ungebrochenen Kitsch und andere, die finden, er sei das Schablonenwerk einer Musikerbiographie. Ich würde nicht so weit gehen. Ich würde sagen: wenn man sich den Film in einem emotional ungeschützten Zustand anschaut, dann fährt er ein und fertig. Und die rassistischen Abgründe des wohlmeinenden weissen Amerikas die sind auch hier einmal mehr grauenhaft. Und die Musik des James Brown dagegen enorm uplifting.
Und logisch funktioniert das alles ein wenig wie das Leben der Edith Piaf in «La vie en rose» mit Marion Cotillard (die dafür einen Oscar gekriegt hat) mit dem Aufstieg aus der Gosse, dem Triumph des Künstlerwillens und den krassen Krisen. Aber wer das Bild des toten James Brown noch vor sich hat, wie er um die Jahreswende 2006/2007 in einem goldenen Sarg aufgebahrt im Apollo-Theater in Harlem ausgestellt wurde und wie die Massen zu ihm pilgerten, der kann nicht anders, als ergriffen zu sein von der Geschichte hinter dem Toten. Und von der perfekten Brown-Aneignung des Chatwick Boseman. Mehr nicht.
So hat es denn begonnen, unser Herbstfestival. Und es lag eine leise, etwas dumpf nach dem Aufprall reifer Kastanien tönende Melancholie über dieser Eröffnungsnacht mit ihrer Zurückhaltung in Sachen Glamour. Doch in den Tagen, die noch kommen, werden einem die Stars in den Schoss fallen wie reifes Herbstobst: Der Antonio Banderas, der Zach Braff, die Cate Blanchett, die Diane Keaton, der Benicio del Toro und der Josh Hutcherson. Also ungefähr so viele Stars wie an einem einzigen Abend in Cannes über den roten Teppich schlendern. Aber Cannes gibt es ja auch schon seit 67 Jahren. Nicht auszudenken, was dann einmal in Zürich los sein wird!