Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Ultimatum gestellt: Bis am Mittwoch soll er einen Plan vorlegen, wie er gedenkt, die Krise in der Ukraine beizulegen. Wenn nicht, dann... Ja, was dann? Darüber herrscht unter den Staatsoberhäuptern und Militärs im Westen grosse Verwirrung.
Angela Merkel weilt derzeit in Washington, um sich mit US-Präsident Barack Obama über das weitere Vorgehen abzusprechen. Die Ausgangslage ist dabei ebenso klar wie düster: Die mit veralteter Militärtechnologie ausgerüstete ukrainische Armee hat keine Chance gegen die mit modernster russischer Technik und Beratung unterstützten pro-russischen Rebellen. Alles läuft im Sinne von Putin. Wie soll er also gestoppt werden?
In den USA mehren sich die Stimmen, die fordern, dass man sofort auch die Ukraine militärisch aufrüsten müsse, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Krise in der Ukraine sei nämlich kein Bürger-, sondern ein russischer Eroberungskrieg. Der Oberkommandierende der US-Army in Europa, General Frederick B. Hodges, erklärt im «Wall Street Journal»: «Ich gehe davon aus, dass die Russen für einen Krieg mobilisieren, der in fünf bis sechs Jahren so richtig losgehen wird.»
Gemäss Hodges werden zurzeit die strategischen Voraussetzungen für einen Eroberungsfeldzug geschaffen. Vor allem die Angriffe auf die Stadt Mariupol seien keineswegs zufällig, sondern Teil eines Gesamtplanes: «Derzeit muss Russland die Krim noch über das Meer oder auf dem Luftweg versorgen», erklärt Hodges. «Das ist sehr teuer, deshalb würden sie es lieber auf dem Landweg tun. Mariupol liegt mitten auf diesem Weg.»
Hodges ist völlig überzeugt, dass die «grünen Männlein» bei der Eroberung der Krim erstens Russen und zweitens bestens ausgebildete Soldaten von Spezialtruppen waren. Das gehe klar aus den Videos hervor, die gezeigt worden waren.
Die logische Konsequenz aus dieser Analyse lautet: So lange die pro-russischen Rebellen über eine derart eklatante militärische Überlegenheit verfügen, sind Verhandlungen verlorene Zeit. In der «Financial Times» stellt daher Ivo Daalder, US-Sicherheitsspezialist und ehemaliger Berater von Barack Obama, fest: «So lange die Separatisten überzeugt sind, eine militärische Option zu haben, sind die Aussichten für ernsthafte Verhandlungen schlecht. Moskau ist nicht an einer politischen Lösung interessiert, zumindest vorläufig nicht. Und die Separatisten sind überzeugt, dass sie ihre Ziele mit militärischen Mitteln erreichen können.»
Diese Sicht ist jedoch umstritten. Die Europäer wollen auf keinen Fall die Spannungen mit Waffenlieferungen an Kiew weiter aufheizen. Auch in den USA hat diese These viele Anhänger. So warnt John J. Mearsheimer, Politologieprofessor an der Chicago University in der «New York Times»:
Wie die deutsche Kanzlerin setzt Mearsheimer auf wirtschaftliche Sanktionen. Zusammen mit dem Zerfall des Ölpreises haben die bisherigen Sanktionen Russland bereits grossen Schaden zugefügt. Mit noch schärferen Sanktionen sei Putin eher zum Einlenken zu bewegen als mit militärischen Drohgebärden. Besonders weh tun würde es der russischen Wirtschaft, wenn seine Banken vom internationalen Zahlungsverkehr, dem Swift-System, ausgeschlossen würden.
Bisher deutet nichts darauf hin, dass Putin bereit ist, Zugeständnisse zu machen. Die ohnehin schon bedrohliche Situation wird sich wohl noch weiter zuspitzen. Oder wie es ein namentlich nicht genannter hoher Vertreter der OSZE gegenüber dem «Wall Street Journal» ausdrückt: «Wir stehen am Wendepunkt der Ukraine-Krise. Die nächste Phase wird entweder viel besser – oder sehr viel schlimmer.»