Im März 2011 sprayten Jugendliche in der Stadt Daraa regimekritische Parolen an Hauswände. Der Arabische Frühling befand sich damals auf seinem Höhepunkt. Autokratische Herrscher waren gestürzt worden oder ins Wanken geraten. Syriens Präsident Baschar Assad wollte es nicht erst dazu kommen lassen. Er liess seine Armee in Daraa gegen die Proteste vorgehen.
Aus dem lokalen Aufruhr ist ein mehr als sieben Jahre dauernder Bürgerkrieg entstanden. Obwohl Assad dank Hilfe von iranischen Revolutionsgardisten, schiitischen Milizen und der russischen Luftwaffe immer mehr Gebiete zurückerobert, ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht. Vielmehr geht die Angst um, dass aus einem regionalen Konflikt nichts weniger als der Dritte Weltkrieg entstehen könnte.
Russia vows to shoot down any and all missiles fired at Syria. Get ready Russia, because they will be coming, nice and new and “smart!” You shouldn’t be partners with a Gas Killing Animal who kills his people and enjoys it!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 11. April 2018
Seit Mittwoch hat sich die Lage noch einmal verschärft. US-Präsident Donald Trump drohte auf Twitter mit einem Raketenangriff auf Syrien, als Vergeltung für den mutmasslichen Giftgaseinsatz in der Stadt Duma am letzten Samstag. Der eigentliche Adressat des Tweets war Russland. Dessen Botschafter im Libanon hatte erklärt, man könne amerikanische Raketen abfangen.
Ein Krieg zwischen den USA und Russland schien auf einmal möglich. Entsprechend gross war die Aufregung, die Trumps virtuelles Muskelspiel auslöste. Nun ist der Präsident dafür bekannt, dass er gerne aus dem Bauch heraus handelt. Auslöser des Tweets soll ein Beitrag in «Fox and Friends» gewesen sein, eine Lieblingssendung des Dauerglotzers im Weissen Haus.
Man darf nicht jedes Wort von Donald Trump auf die Goldwaage legen. Auf die leichte Schulter nehmen kann man sein Säbelrasseln jedoch auch nicht. Er setzt sich mit solchen Ankündigungen selbst unter Druck. Er muss handeln, wenn er nicht als Schwächling gelten will. Und mit John Bolton hat er die vielleicht grösste Kriegsgurgel in Washington zum Sicherheitsberater ernannt.
Dabei ist die Lage in Syrien kompliziert genug. Anfangs mischten vor allem Iran (auf Seiten des Regimes) und Saudi-Arabien (auf Seiten der überwiegend islamistischen Rebellen) im Bürgerkrieg mit. Die Weltmächte hielten sich zurück, denn Syrien ist geopolitisch ein gröberes Kaliber als Libyen, dessen Diktator Muammar Gaddafi eine üble Figur, ansonsten aber ein Leichtgewicht war.
Übersehen wird oft, dass Baschar Assad einen ansehnlichen Teil des syrischen Volkes hinter sich hatte und vielleicht immer noch hat. Die Christen etwa betrachten seine säkulare Diktatur als kleineres Übel im Vergleich mit einem Islamisten-Regime. Diese Perspektive führte dazu, dass sich die USA unter Barack Obama auf den Kampf gegen die Terrormiliz «IS» konzentrierten.
Mit zunehmender Dauer mischten immer mehr Mächte in Syrien mit. Russlands Präsident Wladimir Putin hilft Assad seit 2015 bei der Rückeroberung seines Landes. Die Türkei marschierte in die Region Afrin ein, um die Kurdenmiliz YPG zu bekämpfen, die von den Amerikanern unterstützt wird, was sogar einen bewaffneten Konflikt zweier NATO-Länder möglich macht.
Der deutsche Filmemacher und Autor Alexander Kluge verglich in der «NZZ am Sonntag» die Lage in Syrien mit dem Dreissigjährigen Krieg, der vor fast genau 400 Jahren begann: «Wenn in Syrien die eine Armee siegt, wie schlimm das auch sein mag, beendet sie nicht den Krieg, sondern dann kommt eine andere Partei und dringt ein, wie jetzt die Türken.»
Der Vergleich ist nicht völlig daneben, im Gegenteil. Der Dreissigjährige Krieg begann 1618 als regionaler Konflikt zwischen den katholischen Habsburgern und den Protestanten in Böhmen und entwickelte sich zu einem europäischen Religionskrieg, in dem immer mehr Mächte mitmischten: Dänemark, Schweden, Frankreich. Er verwüstete grosse Teile des heutigen Deutschland.
Das epische Ringen endete nicht auf dem Schlachtfeld, sondern durch die Erschöpfung der Kriegsparteien. Für Syrien wird ein ähnliches Szenario vorhergesagt. Dadurch wächst die Versuchung, dem Kriegsglück ein wenig nachzuhelfen – etwa mit Chemiewaffen. Assad besass ein grosses Arsenal. 2013 willigte er in dessen Zerstörung ein, um einen US-Angriff abzuwenden.
Experten bezweifeln, dass der Autokrat alle Bestände vernichtet hat. Noch ist nicht klar, wer für den mutmasslichen Giftgasangriff in Duma verantwortlich ist, doch vieles spricht dafür, dass Assads Armee die islamistischen Rebellen zum Abzug bewegen und einen Häuserkampf vermeiden wollte. Tatsächlich verliessen die Rebellen die Stadt. Am Donnerstag übernahmen syrische Regierungstruppen die Kontrolle über Duma und die gesamte Region Ost-Ghuta.
Die Verwendung von Massenvernichtungswaffen kann die Weltgemeinschaft eigentlich nicht tolerieren. Die UNO aber ist durch das russische Veto im Sicherheitsrat gelähmt. Die Frage ist deshalb, ob die USA im Alleingang handeln werden, allenfalls unterstützt von Grossbritannien und Frankreich. Donald Trump ist sich längst nicht so sicher, wie er in seinem Tweet vom Mittwoch andeutete.
Our relationship with Russia is worse now than it has ever been, and that includes the Cold War. There is no reason for this. Russia needs us to help with their economy, something that would be very easy to do, and we need all nations to work together. Stop the arms race?
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 11. April 2018
Im weniger beachteten Folgetweet sandte er versöhnliche Signale Richtung Russland aus. Der US-Präsident ist ein Mann ohne erkennbare Überzeugungen. Er bewundert «starke Männer» wie Wladimir Putin. Nach seiner «Wiederwahl» gratulierte ihm Trump telefonisch, obwohl ihm seine Berater dringend davon abgeraten hatten, und lud ihn sogar ins Weisse Haus ein.
Never said when an attack on Syria would take place. Could be very soon or not so soon at all! In any event, the United States, under my Administration, has done a great job of ridding the region of ISIS. Where is our “Thank you America?”
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 12. April 2018
Am Donnerstag legte Trump auf Twitter nach. Er habe nie gesagt, wann es zu einem Angriff kommen könnte: «Es kann sehr bald oder überhaupt noch nicht so bald sein.» Von seinem Naturell her ist Trump ein Isolationist. Erst kürzlich stellte er einen baldigen Abzug der US-Soldaten aus Syrien in Aussicht, ohne Absprache mit dem Aussenministerium.
Vielleicht wird es zu einem symbolischen Vergeltungsschlag kommen, wie vor einem Jahr, als Trump einen Luftwaffenstützpunkt bombardieren liess. Vielleicht hat Bestsellerautor Michael Wolff recht, wenn er behauptet, Trump sei «zu dumm», um einen Krieg zu beginnen. Grund zur Panik vor einem Dritten Weltkrieg besteht nicht. Aber beruhigt zurücklehnen kann man sich bei einem Typ wie Trump auch nicht.