International
Analyse

Barack Obama tritt ab: Die grosse Bilanz seiner Amtszeit

Der «Professor» zeigt Emotionen: Barack Obama während seiner Abschiedsrede in Chicago.Bild: Charles Rex Arbogast/AP/KEYSTONE
Analyse

Ist Barack Obama ein Versager? Nein, die Zeit war nicht reif für ihn

Die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama geht zu Ende. Gemessen an den immensen Erwartungen ist er gescheitert. Doch auf lange Sicht hat er sein Land mehr verändert, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
17.01.2017, 14:2018.01.2017, 11:08
Mehr «International»

Es ist einfach, von Barack Hussein Obama enttäuscht zu sein. Und enttäuschte Liebe tut besonders weh. Exemplarisch dafür ist die Bilanz des schwarzen Philosophen und Bürgerrechtlers Cornel West zur «traurigen Hinterlassenschaft» des ersten schwarzen US-Präsidenten. Sie kommt einer schonungslosen Abrechnung gleich: Obama habe «wieder und wieder versagt».

Die Wut des bekennenden Sozialisten auf Obama und dessen nach seiner Ansicht zu unkritische Anhängerschaft mag ein «Ausreisser» sein. Doch viele, die seine Botschaft von «Hope and change» und «Yes we can!» vor neun Jahren bejubelt hatten, fühlen sich desillusioniert. Während auf der rechten Seite Schadenfreude herrscht. Obama kann nicht hoffen, dass sein Erbe bewahrt und weitergeführt wird. Er muss fürchten, dass es im Schredder landet.

Obamas grosser Durchbruch: die Rede am Parteikonvent 2004.Video: YouTube/CNN

Ist Barack Obama ein Versager? Zumindest hat er die hohen Erwartungen nicht erfüllt. So lautet der Tenor der Rückschauen auf seine Amtszeit, die in den letzten Wochen und Monaten publiziert wurden. Obama habe sehr viel versprochen und wenig geliefert.

Stimmt diese Einschätzung?

USA sehnten sich nach dem Erlöser

Oberflächlich betrachtet könnte man sie teilen. Die Fallhöhe zwischen Anspruch und Realität scheint beträchtlich zu sein. Aber man sollte genauer hinschauen. Ich habe Barack Obamas Weg verfolgt, seit er 2004 am Parteikonvent der Demokraten als Kandidat aus dem Staat Illinois für einen Sitz im US-Senat eine fulminante Eröffnungsrede gehalten hatte. Nur vier Jahre später gelang ihm mit 47 Jahren der Einzug ins Weisse Haus, trotz wenig politischer Erfahrung.

Die USA befanden sich damals auf einem Tiefpunkt, gebeutelt von zwei scheinbar endlosen Kriegen und der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Die Nation sehnte sich nach einem Erlöser von den bleiernen Bush-Jahren, und der charismatische, rhetorisch brillante Sohn eines Kenianers und einer weissen Amerikanerin schien dafür die Idealbesetzung zu sein. Er erhielt sogar den Friedensnobelpreis 2009, einzig dafür, dass er Obama war.

Der Guantánamo-Flop

Wer mit solchen Vorschusslorbeeren startet, kann fast nur scheitern. Kurz nach seinem Amtsantritt ordnete Präsident Obama die Schliessung des Gefangenenlagers Guantánamo an, ohne Rücksprache mit dem Kongress. Prompt machten ihm die Republikaner und einige Demokraten einen Strich durch die Rechnung. Das «Schandlager» auf Kuba ist noch immer in Betrieb.

Obamas Jugend – als er noch nichts von seiner Karriere wusste

1 / 16
Obamas Jugend – als er noch nichts von seiner Karriere wusste
Barack Obama, fotografiert von Lisa Jack im Jahre 1980, als Erstsemester-Student an seiner Universität.
quelle: imgur
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Die US-Wirtschaft ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, die Arbeitslosigkeit hat sich von zehn auf fünf Prozent halbiert. Aber der seit Jahrzehnten anhaltende Abbau von gut bezahlten Jobs setzte sich fort und verstärkte die Abstiegsängste des Mittelstands. Die Wall Street, die das Desaster verursacht hatte, wurde von Obamas Regierung viel zu zögerlich angepackt. Kaum ein Banker musste in den Knast. «Too big to jail» wurde zu einem geflügelten Wort.

Abschied vom Weltpolizisten

Aussenpolitisch ragen die Aussöhnung mit Kuba und das Atomabkommen mit Iran heraus. Ob beides Bestand haben wird, muss sich zeigen. Gegen Wladimir Putins Muskelspiele aber konnte und wollte Obama wenig ausrichten. Im Nahen Osten hinterlässt er Probleme ohne Ende, auch weil er nicht mehr den Weltpolizisten spielen wollte. Dafür beschädigte er mit dem Drohnenkrieg gegen echte und vermeintliche Terroristen sein Image als Friedensnobelpreisträger.

Die Drohnenangriffe und die von Edward Snowden aufgedeckte NSA-Bespitzelung werden ihm von links angekreidet. Die Rechten schlachteten den Terroranschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi aus. Insgesamt aber verlief Obamas Präsidentschaft bemerkenswert frei von Skandalen. Zum Glück für ihn, denn so fanden die Republikaner nie einen Vorwand für ein Amtsenthebungsverfahren, das ultrarechte Hardliner gefordert hatten.

«No drama Obama»

Die – auch privat – skandalarmen acht Jahre im Weissen Haus sind Ausdruck zweier Tugenden des Präsidenten: Integrität und Selbstdisziplin. Nicht umsonst erhielt er den Übernamen «No drama Obama». Nie hätte er sich zu Entgleisungen hinreissen lassen, wie sie Nachfolger Donald Trump am laufenden Band absondert. Die Selbstkontrolle hat auch eine Kehrseite, sie mindert die Lust am Risiko. Man hätte sich von Obama manchmal mehr Mut gewünscht.

Die besten Bilder von Barack Obama

1 / 26
Die besten Bilder von Barack Obama
Ein Präsident beliebt zu scherzen, hier als sich ein Mitarbeiter auf die Waage stellt.
quelle: the white house / pete souza
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Hätte er als Präsident aber wirklich mehr erreichen können? Vielleicht hätte er sich in seinen ersten zwei Jahren nicht so stark auf die Umsetzung seiner Gesundheitsreform Obamacare konzentrieren sollen, mit der er die Opposition bis zur Weissglut reizte. Man vergisst dabei aber, dass die Republikaner wild entschlossen waren, Obamas Präsidentschaft zu sabotieren. So hintertrieben sie selbst minimale Verschärfungen der Waffengesetze.

Der «Erwachsene im Sandkasten»

Angesichts der Amokläufe und Massenschiessereien, die in den letzten Jahren stark zugenommen hatten, zeigte Barack Obama immer wieder Emotionen. Aber eigentlich ist er ein Rationalist und ein überzeugter Pragmatiker. Was Stärke und Schwäche zugleich war. Er konnte brillant argumentieren, hatte aber auch einen Hang zu professoralem Dozieren. Wie viele sehr intelligente Menschen neigt Obama dazu, die Kraft des guten Arguments zu überschätzen.

Der Präsident spielte die Rolle des «Erwachsenen im Sandkasten», was auf dem polarisierten Washingtoner Tummelplatz der Eitelkeiten nicht gut ankam. Bei den Republikanern hätte er wohl auch mit einem umgänglicheren Auftreten wenig bewirkt. Bill Clinton, ein ungleich grösseres Talent im Umgang mit Menschen, biss sich an ihnen ebenfalls die Zähne aus. Doch selbst Abgeordnete und Senatoren der Demokraten fremdelten mit «ihrem» Präsidenten.

«He doesn't like people»

Obamas vielleicht grösstes Defizit liegt im zwischenmenschlichen Bereich. Es gibt Politiker, die bei öffentlichen Auftritten farblos und hölzern wirken, im persönlichen Gespräch die Menschen aber für sich einnehmen können. Barack Obama ist das Gegenteil. Bei seinen Ansprachen begeistert er die Massen, doch der direkte Umgang mit Menschen, die ihm fremd sind, fällt ihm schwer.

In this Nov. 10, 2016 photo, President Barack Obama and President-elect Donald Trump shake hands following their meeting in the Oval Office of the White House in Washington. (AP Photo/Pablo Martinez M ...
Obama beim Treffen mit Nachfolger Donald Trump: Socializing war nie seine Stärke.Bild: Pablo Martinez Monsivais/AP/KEYSTONE

Nie werde ich einen Satz vergessen, den der Watergate-Enthüller und «Washington Post»-Journalist Bob Woodward im Wahlkampf 2012 an einer Veranstaltung in New York geäussert hat: «He doesn't like people» – er mag die Menschen nicht. Obama sei kein Menschenfeind, betonte Woodward, aber er lasse sich nicht gerne mit Leuten ein, die nicht zu seinem Umfeld zählen.

Die grosse Enttäuschung

Daraus entstand ein Hang zur Eigenbrötlerei. Bill Clinton oder Ronald Reagan luden am Abend gerne Gäste ins Weisse Haus ein. Barack Obama hingegen verkroch sich nach dem Nachtessen mit der Familie, das ihm «heilig» war, in sein privates Büro, wo er weiter arbeitete, im Internet surfte oder Sportübertragungen am TV schaute.

Mit seiner Abneigung gegen das Socializing machte sich Obama das Regieren selber schwer. Viele Demokraten beklagten sich, dass ihr Präsident sie ignorierte und ihnen auch kein «Goodie» spendierte, etwa eine Einladung ins Weisse Haus oder einen Flug mit der Präsidentenmaschine «Air Force I». Ähnlich erging es ausländischen Besuchern, die sich enorm auf das Treffen mit dem Charismatiker freuten und am Ende von ihm geschäftsmässig abgefertigt wurden.

In der Aussenpolitik erwies sich dieser Wesenszug Obamas als wenig hilfreich. Zu keinem Staats- oder Regierungschef baute er eine persönliche oder gar freundschaftliche Beziehung auf, nicht einmal zu Angela Merkel, angeblich die einzige Persönlichkeit aus diesen Reihen, die er wirklich respektiert. Gerade auf internationaler Ebene aber sind persönliche Beziehungen ein Schlüssel für erfolgreiche Deals. Obama konnte oder wollte das nicht verstehen.

Das Glas ist halbvoll

Ist die entzauberte Lichtgestalt also doch gescheitert? So einfach ist das nicht. Er hinterlässt den Eindruck einer unvollendeten Präsidentschaft. Aber bei genauer Betrachtung hat Obama mehr erreicht, als man auf den ersten Blick annehmen könnte, gerade auf psychologischer Ebene:

People take part in a protest against police brutality and in support of Black Lives Matter in New York July 9, 2016. REUTERS/Eduardo Munoz
Black Lives Matter: Schwarze wehren sich gegen Polizeibrutalität.Bild: EDUARDO MUNOZ/REUTERS
  • Ja, der erste schwarze Präsident konnte die Gräben zwischen Weissen und Afroamerikanern kaum zuschütten. Aber die Schwarzen lassen sich nicht mehr alles gefallen. Sie wehren sich gegen Willkür und Polizeigewalt, etwa mit der «Black Lives Matter»-Bewegung. Die Wahl Obamas hat ihr Selbstbewusstsein gestärkt.
  • Ja, Guantánamo ist noch in Betrieb. Aber Obama konnte die Zahl der Häftlinge in seiner Amtszeit deutlich reduzieren, von 242 auf 55. 19 weitere könnte er noch vor dem Machtwechsel an ein Drittland überstellen.
  • Ja, Obamacare droht die Abwicklung durch die Republikaner. Aber einige von ihnen zögern, den mehr als 20 Millionen Menschen den Versicherungsschutz zu entziehen, den sie dank der Reform erhalten haben. Auch realisieren immer mehr Amerikaner, dass eine allgemeine Krankenversicherung kein Teufelszeug ist.
  • Ja, viele solide Mittelstands-Jobs sind verloren gegangen. Aber es wäre viel schlimmer gekommen, wenn die Regierung Obama die wankenden Autogiganten General Motors und Chrysler 2009 nicht mit Milliardenhilfen gestützt hätte. Heute geht es der Branche besser denn je. «Osama bin Laden is dead and General Motors is alive», lautet ein Slogan, mit dem sich der Präsident 2012 die Wiederwahl sicherte.

In vielerlei Hinsicht ist das Glas nicht halb leer, sondern halb voll.

«Man hat oft das Gefühl, dass auf zwei Schritte nach vorne einer zurück folgt», sagte Obama in seiner grossen Abschiedsrede in Chicago. Bei allen persönlichen Defiziten: Seine Präsidentschaft kam vermutlich zu früh. Die Zeit war nicht reif für einen coolen, reflektierten Denker an der Spitze des Landes. Auf längere Sicht aber dürften sich seine Ideen durchsetzen.

Die Zukunft gehört einem neuen, offenen Amerika, das auf der Weltbühne nicht mehr als Dominator agiert, sondern als Partner. Die Akzeptanz der Homo-Ehe und die fortschreitende Cannabis-Legalisierung sind Vorboten dieser Entwicklung. Sie gehört auch einem «bunteren» Amerika, das in wenigen Jahrzehnten nur noch aus Minderheiten bestehen wird. Die «Obama-Koalition», die ihn zu zwei Wahlsiegen getragen hat, war ein Vorgeschmack darauf.

Highlights aus Obamas Abschiedsrede.Video: YouTube/USA TODAY

Und je heftiger Donald Trump berserkert, umso mehr werden sich viele nach «No drama Obama» zurücksehnen. Bereits heute ist dies spürbar. Barack Obama wird das Weisse Haus mit einer Zustimmungsquote von rund 55 Prozent verlassen. Die Mehrheit der Amerikaner scheint erkannt zu haben, dass er seinen Job nicht so schlecht gemacht hat. Donald Trump kommt auf 35 Prozent. Nie hat ein Präsident sein Amt mit einer so geringen Akzeptanz angetreten.

War Barack Obama ein guter Präsident?

Obama hat dem Nachfolger vor seinem Abgang noch einige Knüppel zwischen die Beine geworfen. Im Gegensatz zu George W. Bush, der in den letzten acht Jahren praktisch von der Bildfläche verschwunden ist, wird er ein aktiver Ex-Präsident sein. Er wird sich hüten, zu stark in die Rolle des Anti-Trump zu schlüpfen. Das ziemt sich nicht für einen ehemaligen Präsidenten. Aber er wird weiter in der Politik mitmischen und seine demoralisierte Partei wieder aufrichten.

Barack Hussein Obama, in Hawaii und Indonesien aufgewachsen, in New York und Chicago sozialisiert, war als US-Präsident eine Ausnahmeerscheinung. Das werden mit der Zeit auch jene realisieren, die heute enttäuscht sind. Die Zukunft dürfte ihn weit positiver beurteilen als die Gegenwart.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
78 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Gavi
17.01.2017 15:44registriert Februar 2016
Also jetzt muss ich mal für Obama eine Lanze brechen:
Der Mann hat von diesem Analphabeten Busch einen regelrechten Saustall übernommen. Ausserdem wurde er von der Republikanern tagtäglich ausgebremst. Und wenn ein Kommentator behauptet, das würden jetzt die Demokraten mit Trump machen, dann täuscht er sich, weil diese schändlichen und gefährlichen Republikaner in der Mehrheit sind. Obama war nicht besser und nicht schlechter als alle andern. Er hat wenigstens privat keine Leichen im Keller. Da hat es andere vor ihm, die haben einen ganzen Friedhof.
14949
Melden
Zum Kommentar
avatar
m:k:
17.01.2017 14:42registriert Mai 2014
Natürlich hat er nicht alles richtig gemacht und nicht alles erreicht was er wollte. Aber das richtig Enttäuschende ist, dass die Republikaner öffentlich sagten, ihr einziges Ziel sei Obama zu sabotieren. Sie nahmen mehrmals fast den Staatsbankrott in Kauf nur um zu Sie verbreiteten Gerüchte und teilweise Lügen. Und genau diese absolut destruktive Politik wurde nun von den Wählern mit Mehrheiten in beiden Kammern und der Präsidentschaft eines 70-jährigen Kindergärtners belohnt.
9634
Melden
Zum Kommentar
avatar
Angelo C.
17.01.2017 17:35registriert Oktober 2014
Zitat Blunschi : "Die Zukunft dürfte ihn weit positiver beurteilen als die Gegenwart."

Mag sein, das können wir naturgemäss heute nur erahnen 🤔!

Im grossen Ganzen scheint mir die heutige Sicht, die uns durch den Artikel vermittelt wird, zumindest nicht grundfalsch, auch wenn jeder Leser daraus das Positive oder Negative entnehmen wird, das ihm aus seiner ganz persönlichen Sicht als relevant erscheint.

Womit wir wieder bei der bei der späteren historischen Beurteilung angelangt sind 😊!

Ich werde ihn einstweilen als gebildeten Schwarzen mit Charme und Charisma in Erinnerung behalten.
7718
Melden
Zum Kommentar
78
Frankreich fliegt 240 Menschen aus Haiti aus – auch Schweizer

Angesichts der desolaten Sicherheitslage in Haiti hat Frankreich 170 seiner Bürger sowie 70 weitere Europäer – darunter auch Personal des Schweizer DEZA-Büros – und andere Staatsangehörige aus dem Karibikstaat ausgeflogen.

Zur Story