Im Amerika des Donald J. Trump gibt es eine Konstante: Immer wenn man glaubt, ein Tiefpunkt sei erreicht, kommt es garantiert noch schlimmer. So feiert derzeit eine besonders gruselige Gestalt aus der Vergangenheit ein Comeback auf der politischen Bühne: Die Waffenlobby NRA hat Oliver «Ollie» North zu ihrem neuen Präsidenten ernannt.
Was hat das mit der Kündigung des Atomabkommens mit Iran zu tun?
Der 74-jährige Ex-Offizier des Marine Corps war die Schlüsselfigur in einem der grössten US-Politskandale: Der Iran-Contra-Affäre, auch bekannt als Irangate. Während der Präsidentschaft von Ronald Reagan lieferten die USA heimlich Waffen an den Iran. Mit dem Erlös finanzierten sie den Guerillakrieg der so genannten Contras gegen die linke Sandinisten-Regierung in Nicaragua.
Der US-Kongress hatte die Unterstützung der rechtsradikalen Contra-Truppe gesetzlich verboten. 1986 flogen die illegalen Aktivitäten auf. Oberstleutnant Oliver North war militärischer Berater des Nationalen Sicherheitsrats. Bei Anhörungen belog er den Kongress unter Eid. North wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, doch das Verdikt wurde wegen Verfahrensfehlern aufgehoben.
Präsident Reagan kam ungeschoren davon. Er hatte angeblich nichts gewusst. Ein Aspekt war besonders unappetitlich: Iranische Studenten hatten nach der islamischen Revolution 1979 die US-Botschaft in Teheran gestürmt und 52 Amerikaner während 444 Tagen als Geiseln gehalten. Wenige Jahre später lieferten die USA dem Regime Waffen für seinen Krieg gegen den Irak.
Man kann die Affäre auch als Ausdruck amerikanischer Flexibilität interpretieren. Für Reagan und seine Entourage war der Kommunismus die grössere Bedrohung als der Islamismus. Im Kampf gegen die von Moskau unterstützten Sandinisten in ihrem «Hinterhof» heiligte der Zweck die Mittel. «Ruthless Pragmatism», nennt dies der fiktive Präsident Frank Underwood aus «House of Cards».
Nun sitzt im Weissen Haus ein Mann, für den Pragmatismus ein Fremdwort ist. Donald Trump liebt das Chaos. In seiner Welt gibt es nur Freund und Feind, Sieger und Verlierer. Für Zwischentöne hat der US-Präsident kein Musikgehör. Er umgibt sich lieber mit Schreihälsen wie Sicherheitsberater John Bolton, die ihm die Welt in simplen Worten erklären.
Dessen Vorgänger Herbert McMaster, Ex-Aussenminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister Jim Mattis hatten Trump lange davon abgehalten, den verhassten Iran-Vertrag zu zerreissen. Nun ist Mattis als letzte «Stimme der Vernunft» im Weissen Haus verblieben. Der Ex-General kapitulierte gemäss der «Washington Post» vor der Übermacht der Hardliner und Scharfmacher.
Trump hat recht, das Atomabkommen ist nicht perfekt. Dennoch gibt es für seinen Entscheid vom Dienstag nur ein Wort: Vertragsbruch. Denn die Iraner haben sich nach Ansicht aller unabhängiger Beobachter an die Vereinbarung gehalten. An einen besseren Deal glauben wohl nur Trump und seine Hofschranzen. Einen überzeugenden Plan B können die USA nicht vorweisen.
Trumps Entscheid macht die bereits unruhige Welt um einiges instabiler. Und das nicht nur im Brandherd Nahost, in den der US-Präsident nicht Öl, sondern Dynamit geworfen hat.
Donald Trump will sich demnächst in Singapur mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un treffen. Dieser wird sich seinen eigenen Reim auf den Iran-Entscheid machen. «Wie wollen die USA in einigen Wochen beim Gipfeltreffen mit Nordkorea glaubwürdige Zusagen machen, wenn sie gegenüber Iran soeben wortbrüchig geworden sind?», fragt sich nicht nur die NZZ.
Kim hat in letzter Zeit bewiesen, dass er im Gegensatz zu Trump ein rationaler und schlauer Taktierer ist. Nordkorea-Kenner sind überzeugt, dass er seine atomaren Ambitionen kaum völlig aufgeben wird. Der Bruch des Iran-Abkommens wird ihn darin bekräftigen. Trump glaubt angeblich, er habe Kim in die Knie gezwungen. Es könnte für ihn ein böses Erwachen geben.
Kurz nach Trumps Statement trat Irans Präsident Hassan Ruhani vor die Fernsehkameras und bekräftigte, sein Land werde am Abkommen festhalten. Er drohte aber auch, dass Iran die Urananreicherung innerhalb weniger Wochen wieder aufnehmen könne. Für den eher moderaten Präsidenten, der auf wirtschaftliche Reformen setzt, ist die Kündigung des Deals ein Rückschlag.
In Washington hofft man auf einen «Regimewechsel» in Teheran, wie Trumps schwatzhafter Anwalt Rudy Giuliani am Wochenende bekräftigte. Das erinnert fatal an ähnliche Töne vor dem US-Einmarsch im Irak 2003. In Wirklichkeit dürfte Trumps Entscheidung die Hardliner um den geistlichen Führer Ali Chamenei stärken. Ihnen war das Abkommen stets ein Dorn im Auge.
Nur in zwei Ländern wurde die Kündigung des Atomabkommens bejubelt: Saudi-Arabien und Israel. Beide verfolgen die vorab von den iranischen Revolutionsgarden betriebene Expansion im Nahen Osten mit Argusaugen. Im Jemen und in Syrien sind bereits «Stellvertreterkriege» im Gang, die an ähnliche Geschehnisse im Kalten Krieg zwischen West und Ost erinnern.
Israel und Iran steuern ohnehin auf eine bewaffnete Konfrontation zu. Während die israelische Regierung am Dienstag Trumps Entscheid begrüsste, ordnete sie gleichzeitig die Öffnung der Zivilschutzanlagen wegen «irregulären Aktivitäten der iranischen Kräfte in Syrien» an. In der Nacht auf Mittwoch kamen neun proiranische Kämpfer in Syrien durch einen israelischen Raketenangriff ums Leben.
Israels Hightech-Armee wäre in einem Krieg mit Iran klar überlegen, doch eine solche Auseinandersetzung könnte die gesamte Region erfassen und Russland sowie die USA hineinziehen. Man müsste dann wohl von einem Dritten Weltkrieg sprechen. Das Atomabkommen hätte dies kaum verhindert, aber zur Entspannung trägt die Kündigung nicht bei.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Aussenminister Boris Johnson sind in den letzten Tagen ins Weisse Haus gepilgert, um Trump von der Eskalation abzuhalten. Nun müssen die Europäer einmal mehr feststellen, dass die USA unter ihrem heutigen Präsidenten kein verlässlicher Partner mehr sind.
Vor einem Jahr äusserte Merkel in einem bayerischen Bierzelt einen denkwürdigen Satz: «Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.» Er gilt mehr denn je. Zu lange haben sich die Europäer an die Frackzipfel von Uncle Sam geklammert. Sie müssen mehr Verantwortung übernehmen, im Interesse der globalen Sicherheit und Stabilität.
Die Bereitschaft scheint zumindest vorhanden, das Iran-Abkommen zu retten. Eine Möglichkeit wäre, sich bei den Wirtschaftssanktionen «antizyklisch» zu den USA zu verhalten und sie weiter zu lockern. Allerdings haben europäische Unternehmen schon heute Hemmungen, sich in der islamischen Republik zu engagieren, aus Angst vor Amerika.
Wie auch immer man es betrachten will: Es gibt kaum eine gute Option, um das «Erdbeben» (so CNN) zu stoppen, das der US-Präsident ausgelöst hat. «Trump ist Trump, der Chaos-Präsident, der die Welt hinter sich ins Chaos reisst», konstatiert David Frum, ein ehemaliger Redenschreiber von George W. Bush und scharfer Trump-Kritiker, der heute für «The Atlantic» schreibt.
Frum hat den Ausdruck «Achse des Bösen» kreiert, den Bush unter anderem zur Rechtfertigung des Irak-Kriegs verwendet hatte. Gemeint waren Iran, Irak und Nordkorea. Auch in diesem Punkt erleben wir ein Revival eines finsteren Abschnitts der US-Geschichte.