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«Mir gefror das Blut in den Adern»: Die Bilder des kleinen Aylan und seines trauernden Vaters erschüttern die Welt 

«Mir gefror das Blut in den Adern»: Die Bilder des kleinen Aylan und seines trauernden Vaters erschüttern die Welt 

03.09.2015, 18:0103.09.2015, 20:14
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Die Bilder eines toten dreijährigen Flüchtlingsbuben aus Syrien, der nach dem Untergang eines Flüchtlingsboots an einen türkischen Strand gespült wurde, sorgen für grosse Bestürzung. Die Fotos gingen um die Welt.

Die Bilder zeigen die Leiche des kleinen Aylan Kurdi, der am Mittwoch mit dem Gesicht im Sand an einem Strand nahe dem westtürkischen Ferienort Bodrum gefunden wurde. Er war in einem Flüchtlingsboot gewesen, das am Mittwochmorgen sank. Auch sein Bruder Galip und seine Mutter überlebten die Überfahrt nicht.

Vater schildert das Drama im Meer

Der Vater schilderte den Tod seiner Familie im Meer. Das Boot sei auf der Fahrt von Bodrum zur griechischen Insel Kos bei hohem Wellengang gekentert, sagte Abdullah Kurdi dem oppositionellen syrischen Radiosender Rosana FM am Donnerstag in einem Telefonat.

Vater Abdullah Kurdi aus Kobane hat seine Frau und seine beiden Söhne auf der Flucht verloren.
Vater Abdullah Kurdi aus Kobane hat seine Frau und seine beiden Söhne auf der Flucht verloren.
Bild: STRINGER/REUTERS

«Ich half meinen beiden Söhnen und meiner Frau und versuchte mehr als eine Stunde lang, mich am gekenterten Boot festzuhalten. Meine Söhne lebten da noch. Mein erster Sohn starb in den Wellen, ich musste ihn loslassen, um den anderen zu retten.»

4000 Euro für Überfahrt bezahlt

Weinend fügte der Vater hinzu, dass trotz seiner Bemühungen auch der andere Sohn gestorben sei. Als er sich dann um seine Ehefrau habe kümmern wollen, habe er sie tot vorgefunden. «Danach war ich drei Stunden im Wasser, bis die Küstenwache ankam und mich rettete.»

Abdullah Kurdi will seine Familie in Kobane begraben.
Abdullah Kurdi will seine Familie in Kobane begraben.
Bild: MURAD SEZER/REUTERS

Er habe den Schleppern 4000 Euro für die Überfahrt seiner Familie gezahlt. Der Menschenschmuggler an Bord sei nach Beginn des hohen Wellengang ins Wasser gesprungen, um sich in Sicherheit zu bringen, und habe die Flüchtlinge alleine gelassen.

Ziel der Familie war Kanada gewesen

Eine in Vancouver lebende Tante des Jungen sagte der Tageszeitung «Ottawa Citizen», das Ziel der Familie sei Kanada gewesen. Die Familie stammt aus der nordsyrischen Stadt Kobane, der Vater arbeitete nach seinen Worten vor der Flucht in die Türkei als Coiffeur in Damaskus.

Die Tante in Kanada ist untröstlich, als sie hört, dass ihre Neffen und deren Mutter tot sind.
Die Tante in Kanada ist untröstlich, als sie hört, dass ihre Neffen und deren Mutter tot sind.
Bild: AP/The Canadian Press

Die Fotos von der Kinderleiche, bekleidet mit einem roten T-Shirt und einer kurzen blauen Hose, gingen um die Welt. Ein junger Polizist nahm den toten Knaben in die Arme und trug ihn davon. Auf einem Foto ist zu sehen, wie der Beamte den Kopf zur Seite dreht, als könne er den Anblick der Kinderleiche nicht ertragen.

Auf der Flucht gestorben: Aylan (links) und sein Bruder Galip auf undatierten Aufnahmen.
Auf der Flucht gestorben: Aylan (links) und sein Bruder Galip auf undatierten Aufnahmen.
Bild: AP/Photo courtesy of Tima Kurdi /The Canadian Press

Selbst wenn die Fotos zu einem Umdenken und zu mehr Offenheit in Europa führen sollten: Für Aylans Familie und für Tausende weitere tote Flüchtlinge käme das zu spät. Die Tante aus Vancouver sagt, der Vater habe nur noch einen Wunsch: Mit den Leichen seiner Kinder und seiner Ehefrau nach Kobane zurückzukehren – und dann neben ihnen beerdigt zu werden.

Fotografin will zum Nachdenken anregen

Nilüfer Demir, die die Fotos für die Nachrichtenagentur Dogan machte, schilderte im Fernsehsender CNN Türk den Moment, als sie das Foto schoss: «Als ich den dreijährigen Aylan Kurdi gesehen habe, gefror mir wirklich das Blut in den Adern. In dem Moment war nichts mehr zu machen. Er lag mit seinem roten T-Shirt und seinen blauen Shorts, halb bis zum Bauch hochgerutscht, leblos am Boden. Ich konnte nichts für ihn tun. Das einzige, was ich tun konnte, war, seinem Schrei – dem Schrei seines am Boden liegenden Körpers – Gehör zu verschaffen. Viele Zeitungen – auch in der Schweiz – veröffentlichten das Foto als Sinnbild der Flüchtlingskrise.

Im westtürkischen Bodrum wurden vier Schlepper festgenommen. Es handle sich dabei um syrische Staatsbürger, meldete die Nachrichtenagentur DHA am Donnerstag unter Berufung auf die Polizei in Bodrum. Sie sollen für den Tod von zwölf Flüchtlingen verantwortlich sein, darunter für den des Dreijährigen, dessen Leiche angespült wurde.

(whr/sda/afp/dpa/reu)

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rodolfo
03.09.2015 18:40registriert Juni 2014
Verdammt noch mal! Braucht es diese Bilder des 3-jährigen, ertrunkenen Kindes, damit wir uns bewusst werden, was mit Flüchtlingen wirklich abläuft. Boat people, Menschenhändler, "Fluchthelfer" die skrupellos und gierig die Flüchtlinge bis zum letzten Cent "ausnehmen". Eltern, die Kleinkinder bei sich haben, sind bereit, jede Summe zu bezahlen.
Aber: Das wussten wir doch schon längst - oder etwa nicht. Erst die Bilder des ertrunkenen Kindes brauchte es, um das Blut in den Adern stocken zu lassen! Für einen Moment - dann gehen wir zur Tagesordnung zurück! Wo sind wir angekommen?
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Androider
03.09.2015 19:41registriert Februar 2014
Ich bin ja sonst auch eher rechts eingestellt, aber wer bei solchen Bildern nicht mitfühlt, dem ist jegliche Menschlichkeit abhanden gekommen.
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DerWeise
03.09.2015 21:29registriert Februar 2014
Und schon bald werden Mio ausgegeben um Schlepper zu jagen, anstatt man offizielle Flüchtlingskorridore eröffnet, um den Menschen, die man Jahre lang in Stich gelassen hat, wenigstens etwas entgegen zu kommen.

EU und Friedensnobelpreis. Ein Witz. Ein Klub voller selbstgefälliger, zynischer, vollgefressener Funktionäre...
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