Österreich hat ein «Babykatzengate». Im Ernst. Aber vor dem Ernst kommt die Ironie. Und eine Boulevardzeitung, die davon keine Ahnung hat. Weshalb sie seit Tagen gegen drei junge Frauen hetzt.
Aber fangen wir am Anfang an. Im Januar. Stefanie Sargnagel (bürgerlich heisst sie Sprengnagel, 31), Lydia Haider (32) und Maria Hofer (30) suchen sich eine billige Bleibe, um ein paar Tage lang gemeinsam an ihren neuen Büchern zu schreiben. Sie entschliessen sich für ein Haus in der marokkanischen Stadt Essaouira. Viele haben dort schon vor ihnen gekifft und Kunst gemacht.
Sargnagel ist die berühmteste. Sie hat aus Facebook-Posts und ihren Erfahrungen als Callcenter-Angestellte Romane gemacht, auf die auch Männer, die sonst nur «Top Gear» lieben, stehen (zum Beispiel unser Patrick Toggweiler). Sie ist sehr deftig und unerschrocken. Bevor sie nach Marokko reisen, tun sie und Haider, was Kulturschaffende eben so tun: Sie füllen einen Antrag auf Reisekostenbeteiligung aus. Beide erhalten von Österreich 750 Euro.
Aus Marokko schreiben sie für die Zeitung «Der Standard» ein Reisetagebuch, das am 25. Februar erscheint. Es ist nicht der genialste Text, aber er ist lustig. Total überzeichnet. Politisch unkorrekt. Und: Er ist Fiktion. Satire.
Es dauert ein paar Tage, doch dann platzt Richard Schmitt, dem Online-Chef der «Kronen Zeitung», das Totenkopf-Halstuch. Er schreibt – und dies am Frauentag! – «über eine ‹Literaturreise› nach Afrika samt Hasch, Alkohol und Tierquälerei – auf Kosten der Steuerzahler».
«Zwei mittelbekannte und mittelbegabte österreichische Autorinnen und eine noch unbekanntere deutsche Schriftstellerin jetten» da nach Afrika, und «wir Steuerzahler» blechen «mit 1500 Euro» für «das zehntägige Besäufnis, das Katzentreten sowie eine Muezzin-Schmuserei». Und daneben die wahren Opfer der Silvesternacht von Köln! Die irgendwie mit «Wiens Frauenhäusern» kurzgeschlossen werden. Wow.
retweeten die rechten jetzt ernsthaft dass wir in marokko 20 flaschen wein getrunken und babykatzen getreten haben?
— stefanie (@stefansargnagel) 8. März 2017
Das Schlimme: Die Zeitung legt nach. Und nach. Und nach. Der Journalist Fritz Kimeswenger veröffentlicht in der Kärntner Ausgabe der «Krone» Sargnagels Adresse in Klagenfurt, wo sie gerade als (natürlich subventionierte) Stadtschreiberin arbeitet, nennt sie «Fäkalautorin» und preist sie als «willig» an. FPÖ-Anhänger – Sargnagel ist eine äusserst umtriebige FPÖ-Gegnerin – pöbeln mit.
Die Polizei schaltet sich ein. Zwei Twitter-Accounts von besonders bösen Männern werden gelöscht. Der eine war wahrscheinlich eh ein Pseudonym, der andere nicht. Die Jungen Grünen twittern «Je suis Sargnagel». Es gibt eine Petition für die sofortige Entlassung von Kimeswenger. Sein Twitter-Account ist inzwischen gesperrt.
Die Hetze von #Krone & #FPOE gegen die Schriftstellerin #Sargnagel ist unerträglich! Stopp diesen Hetzkampagnen - Solidarität mit Sargnagel! pic.twitter.com/QicgVG4WIR
— junge✰grüne (@jungegruene) 11. März 2017
Österreichs prominenteste TV-Journalistin, Corinna Milborn, macht darauf aufmerksam, dass in der gleichen «Standard»- Ausgabe, in der das Marokko-Tagebuch erschien, auch ein Text des niederländischen Schriftstellers Arnon Grünberg mit folgender Passage stand:
Kein Mensch fand das pervers. Es ist halt Literatur. Und Männer hatten schon immer solche Fantasien. Frauen manchmal auch. Das war dann eher nicht so erfolgreich. «Und jetzt können wir alle gemeinsam darüber nachdenken, warum es weniger weibliche Comedians und Kabarettistinnen gibt und sich weniger Frauen im Fernsehen und in der ersten Reihe der Politik exponieren. Ein Grund ist, dass man sie nicht lässt», schreibt Milborn.
Stefanie Sargnagels Facebook-Account wird am vergangenen Freitag für 30 Tage gesperrt. Sie beschwert sich auf Twitter. Am Samstagmorgen schreibt ein Herr Fleischhacker auf NZZ.at, der österreichischen Dépendance der NZZ, dass eine, die öffentliche Gelder kassiert, gefälligst nicht jammern soll, wenn sie etwas härter angegangen wird.
nach 2 tagen massiver gewaltdrohungen auf allen kanälen bin ich 30 tage wegen problematischer Inhalte gesperrt lol
— stefanie (@stefansargnagel) 11. März 2017
schön langsam glaub ich dass sich da eine völlig wahnsinnige männergruppe auf einer koksparty gegen mich verschworen hat :D
— stefanie (@stefansargnagel) 11. März 2017
Richard Schmitt rastet auf Twitter weiterhin aus – vor Freude über die geile Quote, die Babykatzengate der «Krone» bringt, und vor triefendem Hass gegen Sargnagel. Und dann schaltet sich auch noch ein Verschwörungsfetischist, der Bestsellerautor Thomas Glavinic, ein, mit dem Sargnagel eh schon lang ein Beef hat (er sagt, sie sei ein hässlicher «Rollmops», sie sagt, sein Schwanz sei klein).
Glavinics Computer wird am Wochenende gehackt und die Nackt- und Sexfotos seiner Freundin, die Glavinic halt im Lauf einer Liebe so angefertigt hat, wurden auf einem eigens dafür erstellten Twitter-Account in die Welt hinaus verteilt. Glavinic ist sich sicher, dass Sargnagel die Hackerin ist. Inzwischen ist der Twitter-Account gesperrt.
Und Sargnagel? Lässt sich wie immer nicht den Mund verbieten. Sackt die Übergriffe ein und schlägt zurück. Ihre Rüstung besteht aus den gleichen Materialien wie schon in Marokko: Ironie, Satire, Übertreibung. Selbst ihre Eltern werden lustig als Altnazis verwurstelt (und verstehen dies im Gegensatz zu Schmitt auch nicht falsch).
Vor kronenzeitung verhetzt zu werden ist marktwertechnisch wie in malerei an überdosis zu sterben. Da freun sich die galleristen auch immer.
— stefanie (@stefansargnagel) 12. März 2017
Treff mama zum frühstück im cafe. Sie liest zufriedn zeitung (krone).
— stefanie (@stefansargnagel) 13. März 2017
Mein vater hilft trotzdem zu mir. Die krone war ihm eh immer zu links.
— stefanie (@stefansargnagel) 13. März 2017
Natürlich lassen wir ihr das letzte Wort. Und freuen uns, dass sie sich selbst in alledem kein bisschen als Opfer sieht. Jedenfalls nicht gegen aussen. Und dass Facebook am Montagnachmittag, um 16.20 Uhr, ein Einsehen hatte: