Es heisst, der Streit zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung, sei vor allem finanzieller Natur. Die Katalanen wollten frei sein, weil sie alleine finanziell besser dastehen würden. Auch heisst es, bei dem Streit gehe es um eine alte Rivalität zwischen Spaniens grössten Städten Barcelona und Madrid. In Wahrheit sitzt der Konflikt aber viel tiefer. Kataloniens Zerwürfnis mit der Zentralregierung von Spanien ist über 300 Jahre alt.
Bis ins 15. Jahrhundert waren die Staaten Kastilien und Katalonien die dominierenden Mächte auf der iberischen Halbinsel. Die zwei Länder legten schon damals Wert auf ihre Unterschiedlichkeit. In Kastilien galt das königliche Wort als Gesetz. In Katalonien hingegen sagte man, sei der König eher etwas abstraktes, wichtiger seien die Institutionen. Ab dem 15. Jahrhundert teilten sich die zwei Staaten dieselbe Monarchie. Sie blieben aber in ihren Zuständigkeiten autonom.
Nach dieser Vereinigung begann sich die Rivalität zuzuspitzen. Die spanische Kolonialisierung von Amerika war Sache der Kastilier. Die Katalanen kämpften ausserhalb Europas nicht. Das wurde ihnen übel genommen. Kastilien bezeichnete sie als unsolidarisch. Während dieser Zeit entstand das Feinbild Katalonien. Deren Bevölkerung wurde als seltsam wahrgenommen, die Sprache als urchig. Der Katalane – so sagte man – sei eine durchtriebene, egoistische Kreatur.
Mit dem spanischen Erbfolgekrieg endete die katalanische Unabhängigkeit. Ein Jahr lang kämpfte Barcelona gegen die kastilische Belagerung. Am 11. September 1714 musste die Stadt kapitulieren.
Der 11. September, der «Diada» gilt heute als katalanischer Nationalfeiertag. Gefeiert wird nicht der Sieg, sondern man gedenkt der Kapitulation von damals. Es war der Beginn einer Zeit der Repression. Die katalanischen Institutionen wurden abgeschafft, Universitäten geschlossen, die eigene Sprache wurde verboten und kastilisch als Amtsprache eingeführt.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Katalonien industrialisiert. Die erste Eisenbahnstrecke Spaniesn wird 1848 zwischen Barcelona und Mataró eröffnet. Eine Arbeiterbewegung entstand, der Gedanke eines unabhängigen Nationalstaats gewann wieder an Stärke.
Während der «Zweiten Republik Spaniens», einer Epoche ab 1931, wurde Katalonien eine provisorische Autonomie gewährt. Diese endete mit dem Beginn des spanischen Bürgerkriegs. Unter der Führung von Francisco Franco putschte das spanische Militär gegen die republikanische Regierung. Darauf folgte ein drei Jahre andauernder Krieg. Katalonien wurde während dieser Zeit Schauplatz einer anarchistischen Revolution.
1939 marschierte Franco in Barcelona ein. Die Jahre der Diktatur begannen. Franco befahl: «Wenn du Spanier bist, sprich Spanisch!» Wieder wurde die katalanische Sprache verboten. Katalanische Namen wurden abgeändert. Bücher oder Zeitungen durften nicht mehr in der eigenen Sprache erscheinen. Viele Katalanen flohen ins Exil. Geschätzte 4000 wurden während der Diktatur hingerichtet. Die Gefängnisse füllten sich mit Gefangenen des Franco-Regimes.
1975 starb Franco im Alter von 82 Jahren. Die Menschen in Katalonien feierten seinen Tod zu Hause hinter zugezogenen Vorhängen. Noch immer war die Angst vor der Militärpolizei Guardia Civil zu gross.
Doch nur ein Jahr später versammelten sich bereits wieder 1,5 Millionen Menschen auf den Strassen, um die die Unabhängigkeit zu demonstrieren. Das Wir-Gefühl hatte die Franco Diktatur überlebt.
Es folgt die Zeit der «Transicion», dem Übergang der Diktatur zur Demokratie. Die neue Verfassung sah vor, dass auf die kulturellen Eigenheiten der einzelnen autonomen Gemeinschaften verstärkt eingegangen werden musste und diese nicht mehr unterdrückt werden durfte. Katalonien und das Baskenland sind die ersten Regionen in Spanien, denen ein Autonomiestatut anerkannt wird. Sie dürfen ihr eigenes Parlament und einen eigenen Präsidenten wählen. In Bereichen wie Bildung, Kommunalverwaltung, Polizei, Tourismus und Stadtplanung dürfen sie mitentscheiden. Katalanisch ist wieder Amtssprache.
Die politischen Institutionen von Katalonien beruhten noch immer auf dem Statut von 1979. Verschiedene katalanische Parteien verlangten 2005 nach einer Reform der alten Richtlinien. Denn damals seien noch ehemalige Politiker des Franco-Regimes mit am Verhandlungstisch gesessen. Nach langen und emotionalen Verhandlungen wurden rund die Hälfte der Artikel im Statut-Entwurf verändert.
2006 stimmte das Spanische Parlament dem Statut schliesslich zu. Auch in Katalonien wurde das neue Statut mit 74 Prozent angenommen. Doch die «Partido Popular» – eine konservativ-liberale Partei, die aus der Franco nahen «Alianza Popular» hervorging – reichte beim Verfassungsgericht eine Klage gegen neu abgesegnete Autonomiestatut ein.
Nach vier Jahren Beratung verkündete das Gericht im Juni 2010 sein Urteil: Es sah das Statut teilweise als verfassungswidrig an. Einzelne Artikel wurden daraufhin gestrichen. Für die katalanische Selbstverwaltung bedeutete dies ein herber Schlag und eine Rezentralisierung in Richtung Mardrid.
Es kam zu Massenprotesten. Unter dem unter dem Schlagwort «Som una nació. Nosaltres decidim!» («Wir sind eine Nation. Wir entscheiden!») gingen in Barcelona über eine Million Katalanen auf die Strasse.
2012 lehnte es Ministerpräsident Mariano Rajoy ab, weniger Geld aus Katalonien an den spanischen Zentralstaat abzuführen. Die Stimmung kippte endgültig. Der Wunsch nach Unabhängigkeit wurde mehrheitsfähig. In einer nicht verbindlichen Volksbefragung sprachen sich vier Fünftel der Katalanen für eine Loslösung von Spanien aus.
Die separatistischen Parteien gewinnen 2015 die Regionalwahlen. Sie peitschen das Gesetz zur Durchführung eines Referendums gegen die Opposition durch. Das Verfassungsgericht verbot es, die Regierung in Madrid war entschlossen, eine Abstimmung in Katalonien zu verhindern.
Trotz grosser Polizeigewalt stimmten vergangenen Sonntag 2,26 Millionen Katalenen über das Unabhängigkeitsreferendum ab. Das entsprach einer Wahlbeteiligung von 42,3 Prozent. Eine Mehrheit von 90 Prozent sprach sich für eine Abspaltung aus.