So nah, aber doch so fern: Nachdem sich letzte Woche eine Lösung im Streit um Grossbritanniens Brexit-Rechnung abzeichnete, ging es am Montag in Riesen-Schritten einem Deal entgegen. Die britische Premierministerin Theresa May war auf Brüssel-Besuch und sollte mit dem EU-Kommissionspräsidenten letzte Differenzen bei den Fragen der Rechte der vom Brexit betroffenen Bürger und der künftigen EU-Aussengrenze in Nordirland klären. EU-Ratspräsident Donald Tusk twitterte nach einem Telefonat mit Irlands Regierungschef Leo Varadkar schon euphorisch «Sag mir warum ich Montage mag» – eine Anspielung auf Bob Geldofs 80er-Jahre-Hit «I don’t like Mondays».
Aber schlussendlich sollte es nicht sein. Trotz grossen Fortschritten sei es nicht möglich gewesen, eine «komplette Einigung» zu erzielen, so Juncker am Nachmittag. Und auch Theresa May bedauerte, dass es trotz dem «konstruktiven Treffen» nicht zu einem Abschluss kam. Juncker zeigte sich aber zuversichtlich, dass die letzten Meter noch diese Woche geschafft werden können. Dann könnten die EU-Staats- und -Regierungschefs Mitte Dezember grünes Licht für die Gespräche über ein Freihandelsabkommen geben.
Am Geld hat es nicht gelegen: Die EU und Grossbritannien haben sich letzte Woche auf eine gemeinsame Berechnungsmethode geeinigt, die zu einer Brexit-Rechnung von 50 bis 55 Milliarden Euro führen dürfte. Auch die Rechte der EU-Bürger in Grossbritannien wurden weitgehend geklärt. Der Knackpunkt liegt bei der Frage der künftigen EU-Aussengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland.
Die Grenze zwischen Nordirland und Irland muss möglichst unsichtbar gehalten werden, um den Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion nicht zu gefährden. Anscheinend wurde eine Übereinkunft gefunden, dass Nordirland sämtliche EU-Regeln beibehalten und damit praktisch Teil der Zollunion bleiben würde. Die nordirischen Unionisten, die Theresa May zur hauchdünnen Mehrheit verhelfen, sperren sich dagegen. Sie fürchten die Wiedervereinigung mit Irland und dass die EU-Aussengrenze statt zu Irland künftig zwischen Nordirland und Rest-Grossbritannien gezogen wird. Ausserdem meldeten sich umgehend auch Regionen wie London und Schottland, die ebenfalls einen Sonderstatus wollen.
Genau betrachtet, handelte es sich bei den Austrittsverhandlungen nie um richtige Verhandlungen, sondern eher um einen Prozess im Rahmen des Artikel-50-Austrittsantrags. Dieser wird weitgehend von der EU diktiert. So hat sich Grossbritannien, gemessen an den im Frühling vertretenen Positionen, auch stark auf Brüssel zubewegt.
Die zweijährige Verhandlungsfrist für den Brexit ist so schon sehr kurz bemessen. Es braucht wahrscheinlich so oder so eine Übergangsphase von schätzungsweise zwei Jahren, um ein Freihandelsabkommen zu verhandeln. Würde der Start dieser Gespräche nochmals bis im Frühjahr 2018 verzögert, wäre es nahezu unmöglich, rechtzeitig einen Abschluss zu schaffen. Damit würde wahrscheinlich, dass Grossbritannien ohne Regelung aus der EU ausscheidet. Die jetzt schon grosse Unsicherheit in der britischen Wirtschaft könnte in Panik umschlagen. Firmenwegzüge und der Absturz des britischen Pfundes wären die Folge.
Sofern sich Theresa May mit den Gegnern eines Irland-Kompromisses noch diese Woche arrangieren kann und dem auch Brüssel zustimmt, dürften die EU-Staats- und -Regierungschefs am 15. Dezember grünes Licht für Phase 2 geben. Die Brexit-Arbeitsgruppe im EU-Ministerrat hat das Verhandlungsmandat für das Handelsabkommen bereits massgeblich vorbereitet. Dieses muss noch von den Staats- und Regierungschefs gebilligt werden – erst dann kann es losgehen. (aargauerzeitung.ch)