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Du willst nur das Beste? Voilà:
Die Kanzlerin ist
auf Reisen: Am Dienstag ist Angela Merkel zu einem mehrtägigen Besuch in Indien eingetroffen, einem riesigen, wirtschaftlich boomenden und einigermassen stabilen Land. Es muss für
Merkel eine willkommene Abwechslung zur Flüchtlingskrise
in Europa sein. Das Thema mag ein wenig aus den Schlagzeilen
verschwunden sein, doch nach wie vor sind Tausende auf der
Balkanroute unterwegs.
Die «Bild»-Zeitung
veröffentlichte am Montag «brisante» Zahlen: Bis zum Jahresende
könnten 1,5 Millionen Flüchtlinge in Deutschland
eintreffen, berichtete das Massenblatt unter Berufung auf «Geheimakten». Das wären fast doppelt so viele, wie die
Regierung offiziell angibt. Die Zahl scheint nicht aus der Luft
gegriffen. «In Anbetracht der derzeitigen Sicherheitslage in
mehreren Krisenregionen halte ich höhere Flüchtlingszahlen für
sehr wahrscheinlich», sagte Luise Amtsberg, Abgeordnete und
Flüchtlingsexpertin der Grünen, zu Spiegel Online.
Die euphorische «Refugees welcome»-Stimmung weicht der Ernüchterung.
Dies zeigt eine am Montag veröffentlichte Umfrage, wonach 59 Prozent
die Entscheidung der Bundeskanzlerin für falsch hielten, syrische
Flüchtlinge aus Ungarn unregistriert nach Deutschland einreisen zu
lassen. Im ZDF-Politbarometer von Anfang September hatten 66 Prozent
der Befragten die Massnahme noch begrüsst.
Zahlreiche weitere Indizien zeigen, dass die Deutschen an Merkels
Parole «Wir schaffen das» zu zweifeln beginnen.
In aufgeheizter Atmosphäre haben sich
am Montagabend Tausende an einer Demonstration der Pegida-Bewegung in
Dresden beteiligt. Sie schwenkten deutsche Fahnen und hielten
Schilder mit Parolen gegen Flüchtlinge wie «Asyltourismus stoppen»,
«Stopp Asylbetrüger, jeder ist einer zu viel», «Islam ist
Unterwerfung – Stoppt die Invasion jetzt!» sowie «Merkel schuldig,
begeht Ethnozid am eigenen Volk». Pegida-Gründer Lutz Bachmann sagte, es werde nicht
bei «1,5 oder zwei Millionen» bleiben. Die Frauen oder die Kinder
würden nachkommen. Es sei eine «unlösbare Aufgabe, diese Leute zu
integrieren».
In mehreren Flüchtlingsunterkünften
kam es zu Massenschlägereien. Die deutsche
Polizeigewerkschaft forderte, Flüchtlinge nach Religionen getrennt
unterzubringen. Die Streitereien sollen sich vor allem
entlang ethnischer und religiöser Grenzen entzündet haben. Christen bräuchten
besonderen Schutz, ebenso Frauen und Kinder. Diese Interpretation ist
allerdings umstritten. Die Unterkünfte sind häufig hoffnungslos
überfüllt. Ein Funke kann zu einer Explosion führen.
Skeptische Töne gab es am Samstag von
Bundespräsident Joachim Gauck. An der zentralen Feier zum 25.
Jahrestag der Wiedervereinigung in Frankfurt bezeichnete der einstige
DDR-Pastor die Flüchtlingskrise als «Herausforderung, die
Generationen beschäftigen wird». Anders als 1990 solle nun «zusammenwachsen, was bisher nicht zusammen gehörte». Gauck
äusserte auch Verständnis für die Ängste der Bevölkerung: «Dies
ist unser Dilemma: Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Aber
unsere Möglichkeiten sind endlich.»
Scharfe Kritik an der Kanzlerin kommt
von der CSU, der Schwesterpartei von Merkels CDU. Der bayerische
Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer warnte vor einem «Kollaps mit Ansage». Die Entscheidung Merkels, die
Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen, sei ein
Fehler gewesen, sagte Seehofer am Samstag. «Wir können nicht die
ganze Welt retten», ergänzte Bayerns Finanzminister Markus Söder.
Selbst beim Koalitionspartner SPD mehren sich die kritischen
Stimmen. «Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit
den Grenzen unserer Möglichkeiten», sagt Vizekanzler Sigmar Gabriel
im Spiegel-Online-Interview.
«Bild» hat sich dem
Stimmungswandel (noch) nicht angeschlossen. Die Zeitung rechnet jedoch vor,
was Deutschland für 1,5 Millionen Flüchtlinge benötige: Bis
400'000 Wohnungen, bis 25'000 zusätzliche Lehrkräfte, rund 15'000
Polizisten und 68'000 Kita-Plätze. Es wäre ein Kraftakt selbst für
ein Land wie Deutschland, das enorme Herausforderungen gewohnt ist.
Angela Merkel aber zeigt keinen Willen,
ihren Kritikern entgegen zu kommen. So vorsichtig sie in der Regel
agiert, so stur ist die Bundeskanzlerin, wenn sie sich auf einen Kurs
festgelegt hat. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte sie
vor der Abreise nach Indien, dass sie die Entscheidung vom September
für eine Öffnung der Grenze für Flüchtlinge genauso wieder
treffen würde. «Mich jetzt wegzuducken und damit zu hadern, das
ist nicht mein Angang», sagte Merkel.