Der «Guardian» liess am Samstag eine journalistische Bombe platzen. Zwei britische Journalistinnen enthüllen in einer Artikel-Serie unter dem Titel «The Cambridge Analytica Files», wie die persönlichen Daten von bis zu 50 Millionen Facebook-Usern missbräuchlich verwendet worden seien, um ein Tool zur Beeinflussung von Wahlen zu kreieren.
Das Tool soll auf Anweisung von Steve Bannon bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 eingesetzt worden sein und könnte Donald Trump mit zum Sieg verholfen haben. Und auch die Brexit-Abstimmung, also den folgenschweren Ausstieg Grossbritanniens aus der EU, könnte das Tool beeinflusst haben.
Nach dem Bericht des «Observer» hat Cambridge Analytica Daten von Facebook-Mitgliedern 2014 ohne deren Zustimmung genutzt, um ein Programm zu erstellen, mit dem Wahlentscheidungen vorhergesagt und beeinflusst werden können. Durch das Programm erstellte Nutzerprofile hätten es erlaubt, ihnen personalisierte Wahlwerbung zukommen zu lassen.
Auch die «New York Times» wartete mit Enthüllungen zu einem möglicherweise grossen Skandal auf. Auf einen Bericht am Freitagabend (US-Ortszeit) folgt diese Schlagzeile:
Die Staatsanwaltschaft des US-Bundesstaates Massachusetts hat Ermittlungen gegen die Datenanalysefirma Cambridge Analytica eingeleitet. Anlass dafür seien Berichte, Cambridge Analytica habe private Information von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern ausgewertet und mit den Analyse-Ergebnissen den Wahlkampf von Donald Trump unterstützt.
«Die Bewohner von Massachusetts erwarten umgehend Antworten von Facebook und Cambridge Analytica. Wir beginnen mit Ermittlungen», twitterte die Generalstaatsanwältin Maura Healey.
Die Firma Cambridge Analytica dürfte spätestens seit Dezember 2016 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sein. Damals berichtete «Das Magazin» über deren angebliche Big-Data-Wunderwaffe, die es ermöglichen soll, Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook «minutiös zu analysieren».
Der entsprechende Tagi-Magi-Artikel sorgte für ein gewaltiges Echo und wurde auch heftig kritisiert. Die Autoren selber relativierten später und schrieben, sie hätten die Behauptungen des Psychologen Michal Kosinski, einem führenden Experten für Psychometrik, zu wenig kritisch hinterfragt.
Das Zauberwort lautet Micro-Targeting: Potenzielle Wählerinnen und Wähler werden psychologisch analysiert, um sie mit personalisierter Wahlkampfwerbung in den sozialen Netzwerken einzudecken. Anhand von Facebook-Likes soll es möglich sein, die sexuelle Orientierung, Rasse, Geschlecht der User – und sogar Intelligenz und Kindheitstraumata herauszulesen. Diese höchst privaten Informationen dienen dazu, Individuen mit massgeschneiderten Botschaften zu manipulieren.
Wie sich nun herausstellt, könnte mehr hinter dem Tool stecken, als manche Kritiker meinten: Ein ehemaliger Mitarbeiter von Cambridge Analytica hat dem «Guardian» als Whistleblower über Monate Detailinformationen geliefert.
Laut «Guardian» hat Cambridge Analytica Millionen Facebook-Profile von US-Wählern gesammelt und verwendet, um eine leistungsstarke Software zu entwickeln. Mit ihr könne man Entscheidungen an der Wahlurne vorhersagen und beeinflussen.
Facebook widerspricht der Darstellung, dass Daten von 50 Millionen Usern missbräuchlich verwendet wurden und behauptet, es seien deutlich weniger User betroffen.
Gleichzeitig gab das US-Unternehmen am Freitag bekannt, dass es Cambridge Analytica und den Wissenschaftler Aleksandr Kogan (siehe Akteure unten) von der Plattform suspendiert habe, bis Informationen über den Missbrauch von Daten im Zusammenhang mit einem «Forschungsprojekt» vorliegen.
Was wir wissen: Der Psychologieprofessor hatte 2015 mit einer App für Persönlichkeitsprognose («thisisyourdigitallife») per Facebook-Login Benutzerdaten gesammelt und ausgewertet – im Einklang mit Facebooks Richtlinien. Dabei konnte er auch Daten von Facebook-Freunden sammeln.
Kogan soll die Daten an Dritte weitergeleitet haben, unter anderem an Cambridge Analytica, und damit gegen die Plattform-Richtlinien verstossen haben. Und er soll der Aufforderung zur Löschung der Daten nicht nachgekommen sein.
In Grossbritannien laufen laut «Guardian» zwei Untersuchungen im Zusammenhang mit Cambridge Analytica, unter anderem wegen Datenschutz-Verstössen.
Und auf der anderen Seite des Atlantiks werden Vorgänge rund um die US-Präsidentenwahl untersucht. Sonderermittler Robert Mueller soll sich für die Firma interessieren. Er ist damit beauftragt, die mögliche Einflussnahme Russlands auf die Präsidentschaftswahlen unter die Lupe zu nehmen.
Update: Mittlerweile ist in den USA eine Online-Petition lanciert worden, die Auskunft verlangt von Facebook:
Since last night, nearly 2,000 people have signed the petition demanding Facebook notify all 50 million users exposed in the Cambridge Analytica Breach. Sign here: https://t.co/qJ7pJGrgA1 pic.twitter.com/AGYtKFNEgo
— Justin Hendrix (@justinhendrix) 18. März 2018
Versucht durch Big Data auf die soziale Stellung und politische Einstellung von Individuen zu schliessen, um diese zu beeinflussen. Der Firmenname rührt von der Zusammenarbeit mit Psychometrikern der britischen University of Cambridge.
Laut «Guardian» wurden zwischen 2014 und 2016 die Daten von 50 Millionen Usern ohne deren Zustimmung genutzt. Die britische Zeitung schreibt von einer der bislang «grössten Datenpannen». Die Daten seien von Cambridge Analytica missbräuchlich verwendet worden, um US-Wähler zu beeinflussen.
Firma, die mit Cambridge Analytica kooperiert hat. Gründer und Geschäftsführer ist Aleksandr Kogan.
Tochterfirma von Cambridge Analytica. Ging laut «Observer» eine kommerzielle Vereinbarung mit GSR ein, zwecks Erfassung und Verarbeitung von Facebook-Daten.
Experte für Psychometrie.
Psychologie-Professor. Hat einen Online-Persönlichkeitstest entwickelt, den hunderttausende Facebook-User freiwillig absolvierten und damit nicht nur persönliche Daten preisgaben, sondern auch die Daten ihrer Facebook-Freunde.
Kogan hat laut «Guardian» russische Stipendien für Forschungszwecke in Anspruch genommen und besass von Facebook eine Lizenz zum Sammeln von Profildaten, allerdings nur zu Forschungszwecken. Indem er die User-Daten für kommerzielle Zwecke aufsaugte, habe er gegen die Bestimmungen des Social-Media-Unternehmens verstossen.
Setzte im Wahlkampf auf die Dienste von Cambridge Analytica.
Hat sein Vermögen durch Software gemacht, die mit «Predictive Modeling» die Entwicklung von Aktienkursen prognostiziert. Er ist der Hauptfinancier von Cambridge Analytica. Ehemaliger Geldgeber von Steve Bannon, bis zum Zerwürfnis Anfang 2018.
Sass im Verwaltungsrat von Cambridge Analytica und vermittelte die Dienste der Firma für Trumps Wahlkampf 2016. Ab August 2016 leitete er die Wahlkampagne.
Ex-Mitarbeiter von Cambridge Analytica.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA