In den USA mehren sich die Parallelen zum Totalitarismus der Dreissigerjahre: Donald Trumps einflussreicher Chefstratege Steve Bannon wähnt sich in einem «Weltkrieg gegen den islamischen Faschismus» und will die «jüdisch-christliche Zivilisation» retten.
Der Präsident selbst bezieht seine Informationen von FoxNews, Breitbart und rechtsextremen Radio-Talkern. Die Alt-Right-Bewegung, welche die Herrschaft der weissen Rasse propagiert, ist zu einer politischen Kraft geworden; und Stephen Miller, ebenfalls ein Trump-Berater, hatte über das Wochenende Auftritte im TV, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen und an Hitler Demagoge Joseph Goebbles erinnern. Rasen wir auf eine neue Katastrophe zu?
Ian Kershaw zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. In seinem jüngst erschienen Werk «Höllensturz» zeigt er auf, wie Benito Mussolini, Adolf Hitler und Josef Stalin an die Macht gekommen sind – und wie sie diese ausgeübt haben. Ein Vergleich mit Trump drängt sich auf.
Allerdings gibt es da ein klitzekleines Problem. «Faschismus zu definieren hat etwas vom Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln» stellt Kershaw fest. Eine wissenschaftlich präzise Analyse ist daher ein Ding der Unmöglichkeit. Immerhin gibt es Anhaltspunkte. Kershaw erwähnt folgende:
Zweifellos trifft diese Charakterisierung auch für Trump und seine Anhänger in weiten Teilen zu. Ebenso hat sein Stil Ähnlichkeiten mit Hitler. Er ist ebenfalls ein begnadeter Demagoge, der Auftritte in grossen Stadien liebt und sich nicht um Wahrheit oder Logik kümmert. Ein zusammenhängendes Programm hat er nicht – selbst konservative Ökonomen halten seine Wirtschaftspolitik für unsinnig –, doch das braucht er auch nicht.
«Die meisten Wähler suchten kein zusammenhängendes Programm, verlangten nicht nach bestimmten Reformen des Staates. Die Anziehungskraft von Hitlers Partei entsprang ihrem Versprechen eines radikalen Neuanfangs», so Kershaw.
Diese Widersprüche und die erratischen Ausbrüche Hitlers hatten zur Folge, dass er lange unterschätzt wurde. «Das lose Amalgam aus Phobien und nationalistischer Phrasendrescherei, das hinter der Gewaltrhetorik stand, brachte viele Kritiker dazu, die Nationalsozialisten als Protestbewegung mit unausgegorenen Vorstellungen abzutun», schreibt Kershaw.
Wie Hitler hat Trump auch keinerlei Hemmungen, der Wirtschaft Vorschriften zu machen und grossartige Versprechen abzuliefern: «In seiner ersten Rede als Reichskanzler, am 1. Februar 1933, versprach Hitler zwei grosse ‹Vierjahrespläne›; sie sollten die deutschen Bauern retten und die Arbeitslosigkeit beseitigen. Wie dies gelingen sollte, sagte er nicht, wusste es auch nicht», schreibt Kershaw.
Schliesslich trifft auch für Trump zu, was Kershaw über den Faschismus sagt: «Der Faschismus wollte eine Revolution, aber nicht wie die Marxisten den Umsturz der Klassengesellschaft, vielmehr eine Revolution der Mentalitäten, der Werte und des Willens.»
So weit die Parallelen.
Hitler hat Juden und Bolschewiken fanatisch gehasst. Dieser Hass war der Motor der nationalsozialistischen Bewegung und hat ihr eine unglaubliche Dynamik verliehen. Dazu gibt es bei Trump – wenigstens bisher – keine Anzeichen. Sein Schwiegersohn und Berater ist Jude. Trump spricht zwar ebenfalls von einer Bewegung, die er in Gang setzen will. Doch die paar Wirrköpfe der Alt-Right-Bewegung lassen sich auch nicht mit der SA oder gar der NSDAP vergleichen.
Allerdings sind im Umfeld von Trump immer wieder antisemitische Töne zu hören. So wurden beispielsweise im Communiqué des Weissen Hauses zum Holocaust-Jahrestag die Juden nicht erwähnt.
In Deutschland herrschte vor Hitlers Machtübernahme Arbeitslosigkeit und Massenelend. In den USA herrscht derzeit jedoch de facto Vollbeschäftigung. Es trifft zwar zu, dass der Mittelstand seit Jahren mit stagnierenden Löhnen zu kämpfen hat, und dass die Industriearbeiter teilweise empfindliche Lohneinbussen verkraften mussten. Doch mit den Zuständen im Deutschland der Dreissigerjahre ist dies nicht vergleichbar.
Dem «Führer» ist es gelungen, die Massenarbeitslosigkeit sehr rasch zu beseitigen. Ähnlich wie Putin heute in Russland war Hitler deshalb bis zum Ausbruch des Krieges sehr beliebt. Das trifft auf Trump nicht zu. Schon bei Amtsantritt wurde er von mehr als der Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner abgelehnt.
Auch ausserhalb der USA kommt Trump schlecht an, vor allem in Europa. Es gibt einen Grund, weshalb Blocher auf Distanz zu ihm geht und weshalb sich SVP-Politiker beklagen, dass die Medien viel zu viel über Trump berichten. Anders als gehofft, schadet er der neuen Rechten.
Der Faschismus der Dreissigerjahre hatte auch unter bedeutenden Intellektuellen Anhänger. Martin Heidegger, der führende Philosoph seiner Zeit, war ein glühender Nazi, ebenso wie – zumindest eine Zeitlang – der Dichter Gottfried Benn. Winston Churchill hat anfänglich Benito Mussolini bewundert, genauso wie der Dichter Ezra Pound, der dies bis zum bitteren Ende tat. Dass Trump unter Dichtern und Denkern Bewunderer hat, ist nicht bekannt.
Hitler brachte den Staat in nur sechs Monaten vollständig unter Kontrolle. Das dürfte Trump kaum gelingen. Wie die Schweiz sind die USA ein föderalistischer Staat, und die Bundesstaaten verteidigen ihre Rechte mit Zähnen und Klauen. Die reichsten und bedeutendsten Bundesstaaten – Kalifornien, New York und Massachusetts – haben Trump nicht gewählt und bereits angekündigt, dass sie seine Umwelt- und Einwanderungspolitik nicht mittragen werden. Trump hat deshalb Kalifornien bereits gedroht, die Bundesbeiträge zu streichen. Das dürfte schwierig werden. Kalifornien schickt mehr Geld nach Washington, als es bezieht.
Trumps Wahl hat sofort zu einer breiten Protestfront geführt. Frauen, Linke, Studenten und Comedians wie Stephen Colbert, Trevor Noah, John Oliver oder Bill Maher stellen Trump und seine Regierung täglich bloss. Sein Sprecher Sean Spicer wurde von Melissa McCarthy in einem legendären Auftritt bei S.N.L. in seine Einzelteile zerlegt.
Die Zivilgesellschaft hat die Gefahr erkannt: «Die Institutionen, welche die Macht des Präsidenten überwachen und seine Skandale aufdecken müssen – von den Gerichten über die Comedians bis zu den Journalisten – befinden sich alle auf Alarmstufe 1, ausser dem republikanischen Kongress, der sich im Tiefschlaf befindet», stellt die «New York Times»-Kolumnistin Maureen Dowd fest.
Trump ist schlecht gestartet. Sein Bannstrahl gegen die Muslime war so schlampig verfasst, dass er sogleich von Richtern wieder aufgehoben wurde. Das Chaos in der Verwaltung hat bereits das erste prominente Opfer gefordert: Der umstrittene Sicherheitsberater Michael Flynn musste zurücktreten, weil er seine Kompetenzen überschritten und gelogen hat.
In einer solchen Situation pflegen ruchlose Diktatoren zu drastischen Massnahmen zu greifen. Hitler erfand den Brand des Reichstages, um die Presse unter Kontrolle zu bringen und Oppositionelle in Konzentrationslager zu sperren. Putin soll seinen Geheimdienst beauftragt haben, Terroranschläge auf Moskauer Wohnblöcke zu verüben, um den Krieg gegen Tschetschenien zu rechtfertigen. Wird auch Trump einen realen oder erfundenen Terroranschlag zum Anlass nehmen, mit Notrecht seine Ziele durchzuboxen?
Dieses Szenario ist Ernst zu nehmen und Trump-Kritiker wie Paul Krugman warnen in der «New York Times» davor. Es ist jedoch auch, wie es in der Börsensprache heisst, eingepreist. Bereits beginnt der zivile Widerstand, allfällige Gegenmassnahmen vorzubereiten.
Ist Trump also ein Faschist? Die Frage ist falsch gestellt. Der 45. Präsident der USA ist kindisch, narzisstisch, ignorant und ein notorischer Lügner. Er hat einen miesen Charakter, ist gierig, rücksichtslos und hat in seinem Umfeld mehr als fragwürdige Gestalten wie Steve Bannon und Stephen Miller. So gesehen muss man mit dem Schlimmsten rechnen.
Doch gleichzeitig hat er massive, in dieser Form unerwartete Gegenreaktionen ausgelöst. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wird es den Medien, den Comedians, der Zivilgesellschaft und einzelnen progressiven Bundesstaaten gelingen, Trump in seine Schranken zu weisen? Bisher sehen die Anzeichen gut aus. Aber bei Trump weiss man bekanntlich nie.