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Vor Gericht: Hat die Front-National-Chefin zum Hass gegen Muslime angestiftet? Die bürgerliche Fassade von Madame Le Pen bröckelt arg

Vor Gericht: Hat die Front-National-Chefin zum Hass gegen Muslime angestiftet? Die bürgerliche Fassade von Madame Le Pen bröckelt arg

20.10.2015, 22:4321.10.2015, 08:43
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Marine Le Pen will ihrem rechtsextremen Front National eine bürgerliche Fassade geben. Ein Prozess in Lyon passt nicht in dieses Konzept. Vor Gericht geht es um Hass und Diskriminierung. Die Staatsanwaltschaft fordert Freispruch.

«Verteufelt» sieht sie ihre Partei. Deswegen bemüht sich Marine Le Pen, das Erscheinungsbild des Front National (FN) in Frankreich zu «entdämonisieren». So nennt es die 47-Jährige, wenn sie vom Umgang ihr missliebiger Medien mit den Rechtsextremen spricht. Der jüngste Riss in der bürgerlichen Fassade geht auf ihre Kappe: In Lyon muss sich Le Pen wegen Anstiftung zum Hass verantworten.

«Ich habe gegen kein Gesetz verstossen»: Marine Le Pen vor Gericht in Lyon.
«Ich habe gegen kein Gesetz verstossen»: Marine Le Pen vor Gericht in Lyon.
Bild: Laurent Cipriani/AP/KEYSTONE

Der Auslöser liegt fünf Jahre zurück. Während einer öffentlichen Parteiveranstaltung verglich die Politikerin im Dezember 2010 eine Szene von Muslimen, die auf der Strasse beteten, mit der Situation im von Nazis besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkrieges.

Der Empörung von politischen Gegnern und Verbänden folgten Ermittlungen und schliesslich die Aufhebung der Immunität der EU-Parlamentarierin.

Es drohen Haft und eine saftige Geldstrafe

Im Fall einer Verurteilung wegen Anstachelung zu «Diskriminierung oder Hass oder Gewalt» gegen Menschen wegen Herkunft oder Zugehörigkeit «zu einer Ethnie, Nation, Rasse oder Religion» drohen ihr bis zu einem Jahr Haft und 45'000 Euro Geldstrafe.

Der Prozess passt nicht ins Öffentlichkeitskonzept der resoluten Politikerin. Seit der Übernahme der Parteiführung 2011 von ihrem Vater Jean-Marie versucht sie, den Rechtsextremen eine gemässigte Fassade zu verpassen.

«Ich habe gegen kein Gesetz verstossen», sagt sie in Lyon. Le Pen spricht vielmehr von einer «regelrechten juristischen Verfolgung» gegen sie. «Die Staatsanwaltschaft ist nicht unabhängig, sie untersteht direkt Madame (Christiane) Taubira.»

Schwarze Justizministerin als Zielscheibe

Frankreichs linke, schwarze Justizministerin ist beliebte Zielscheibe für den Front National. Auch den Prozesstermin fünf Jahre nach den Äusserungen und gut einen Monat vor den Regionalwahlen findet Le Pen wenig überraschend.

Nicht beliebt bei FN: Madame (Christiane) Taubira.
Nicht beliebt bei FN: Madame (Christiane) Taubira.
Bild: STEPHANE MAHE/REUTERS

Unabhängig oder nicht – Staatsanwaltschaft Bernard Reynaud forderte nach der Klage mehrerer Verbände nun Freispruch. Die Aussage Le Pens sei eine «freie Meinungsäusserung».

Ein Freispruch würde ins Öffentlichkeitskonzept der resoluten Politikerin passen. Seit Übernahme der Parteiführung 2011 von ihrem Vater Jean-Marie versucht sie, den Rechtsextremen eine gemässigte Fassade zu verpassen.

Für juristische Auseinandersetzungen wie jetzt in Lyon war bisher Parteigründer Jean-Marie Le Pen bekannt. Die Vorstrafen des 87-Jährigen reichen von Anstachelung zum Rassenhass bis zur Verharmlosung von Nazi-Verbrechen.

Jean-Marie Le Pen: Auffällig rassistisch und vorbestraft.
Jean-Marie Le Pen: Auffällig rassistisch und vorbestraft.
Bild: CHRISTIAN HARTMANN/REUTERS

Solche – über Jahre tolerierte – Ausfälle des Vaters wurden Partei und Tochter schliesslich zu viel. Allerdings wurde die FN-Spitze um Marine Le Pen auf dem Weg zum inzwischen vollzogenen Parteiausschluss mehrfach von französischen Gerichten gestoppt.

Bezeichnung als «Faschistin» nicht strafbar

Auch mit anderen juristischen Entscheidungen hat Tochter Le Pen zuletzt keine guten Erfahrungen gesammelt. So darf sie im Politstreit weiter als «Faschistin» bezeichnet werden. Zweimal verlor sie deswegen gegen den früheren Chef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon.

Le Pen verteidigt ihre Anti-Muslim-Bemerkungen vor dem gericht in Lyon.
YouTube/Ruptly TV

Im Diskurs hält sich Le Pen nicht immer mit Begründungen auf. Angesprochen auf Belege für ihre These, Flüchtlinge kämen über Deutschland nach Frankreich, entgegnete sie im Gespräch mit Journalisten: «Ich habe eine Überzeugung, ich mache eine politische Analyse.»

Auch an ihrem Freund-Feind-Bild rüttelt sie nicht. Bis heute benutzt Le Pen das zusammengesetzte Kürzel UMPS, um den Front National als einzigen Gegner von Nicolas Sarkozys konservativen Republikanern (der früheren UMP) und François Hollandes regierenden Sozialisten (PS) zu positionieren.

In diesem «bipolaren Frankreich» (Le Pen) hat die Partei wegen des Mehrheitswahlrechts meist nur im ersten Wahlgang gute Ergebnisse. Zuletzt verliefen die Entscheidungen in den Départements enttäuschend für den Front National. Für Dezember führt die Partei bei Umfragen in zwei der 13 neugeformten Regionen, gehofft wird im FN auf vier Erfolge. (sda/dpa)

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