International
Grossbritannien

Vernichtender Befund der Chilcot-Kommission

Der Kommissionsvorsitzende John Chilcot bei der Vorstellung des Berichts in London (06.07.2016).
Der Kommissionsvorsitzende John Chilcot bei der Vorstellung des Berichts in London (06.07.2016).
Bild: EPA/GETTY IMAGES

Vernichtender Bericht: Tony Blair führte Grossbritannien ohne Not in den Krieg

06.07.2016, 13:5406.07.2016, 19:56
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Die britische Untersuchungskommission zum Irak-Krieg hat den Entscheid der damaligen Regierung unter Tony Blair zur Beteiligung an der US-geführten Invasion 2003 als voreilig bewertet. Es seien nicht alle friedlichen Optionen ausgeschöpft worden.

Die Angaben von Geheimdiensten, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, hätten in Frage gestellt werden müssen, sagte der Kommissionsvorsitzende John Chilcot bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch in London. Blair habe sie als beweiskräftiger dargestellt, als gerechtfertigt gewesen sei.

Deshalb sei der Entscheid der Regierung Blair zur Beteiligung an der US-geführten Invasion voreilig gewesen. Die politische Entscheidung sei gefallen, bevor alle «friedlichen Optionen für eine Entwaffnung» des Irak unter Machthaber Saddam Hussein ausgeschöpft worden seien.

Kaum Pläne für Nachkriegszeit

Zudem seien die Pläne für die Nachkriegszeit «völlig unzureichend» gewesen, kritisierte der ehemalige Diplomat. «Ein Militäreinsatz war damals nicht das letztmögliche Mittel», sagte Chilcot, nach dem auch die Kommission benannt ist.

Dennoch habe Blair dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush Gefolgschaft versprochen, «was auch geschehen möge». Für die Nachkriegsphase gelte: «Trotz ausdrücklicher Warnungen wurden die Folgen der Invasion unterschätzt. Die Planungen und Vorbereitungen für einen Irak nach Saddam waren völlig unzureichend.» Für die Untersuchung der Chilcot-Kommission waren während sieben Jahren Beteiligte befragt und geheime Dokumente ausgewertet worden.

Die beiden Protagonisten des Irakkriegs: US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair.
Die beiden Protagonisten des Irakkriegs: US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair.Bild: reuters

Kein Friede

Die Invasion in den Irak 2003 war heftig umstritten, weil sie nicht durch ein klares UNO-Sicherheitsratsmandat gedeckt war. Angebliche Massenvernichtungswaffen des damaligen irakischen Machthabers Saddam Hussein wurden nie gefunden.

Bereits 2004 kam ein britischer Bericht zu dem Schluss, dass Blair die «Beweise» der Geheimdienste für angebliche Massenvernichtungswaffen im Parlament aufbauschte.

Bis zu 46'000 britische Soldaten waren in Spitzenzeiten während des jahrelangen Konflikts und danach im Irak im Einsatz. Während des Krieges und der anschliessenden konfessionell motivierten Gewalt wurden zehntausende Iraker getötet; auch 179 britische Soldaten starben im Einsatz.

Bis heute wird der Irak von Gewalt erschüttert. Die «IS»-Terrormiliz konnte seit dem Sommer 2014 weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Zwar wurde sie zuletzt militärisch stark zurückgedrängt, mit Anschlägen verbreitet sie dennoch weiterhin Angst und Schrecken. (sda/afp/dpa)

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Thomas Binder
06.07.2016 15:48registriert Januar 2014
Gemäss Nürnberger Prinzip stellt jeder Angriffskrieg ausserhalb des Völkerrechts (ohne UNO-Mandat) ein schwerstgradiges Kriegsverbrechen dar. Alle Regierungen, zumindest Staatschef, Verteidigungs-, Aussen- und Innenminister, jedes NATO-Staates, die an den USA/NATO-Angriffskriegen ausserhalb des Völkerrechts gegen Serbien, Afghanistan, den Irak, Libyen und Syrien beteiligt waren, gehören nach Den Haag und, weniger als Strafe denn als Sekundärprävention und Abschreckung, lebenslang verwahrt.
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karl_e
06.07.2016 15:38registriert Februar 2014
Der Tony soll sich nun vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten.
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smoking gun
06.07.2016 14:47registriert Oktober 2015
"Ohne Not"? Haha, der ist gut! Angriffskriege um einfach an Öl ranzukommen oder aus strategischen Gründen sind immer ohne Not.

Feindbildgenese ist der Anfang von jedem Krieg. Und die westlichen Leitmedien machen munter mit. Auch heute, auch Watson!
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