Theresa May pokerte hoch, als sie im April überraschend Neuwahlen ausrief – drei Jahre vor dem eigentlich fälligen Termin. Für die EU-Austrittsverhandlungen brauche das Land eine starke Führung, begründete die britische Premierministerin ihren Schritt. Es müsse verhindert werden, dass die Opposition die Brexit-Arbeit der Regierung gefährde.
Mays Chancen standen gut: Umfragen sahen ihre Tories mehr als 20 Punkte vor der Konkurrenz von Labour. Sechs Wochen später sieht das Bild anders aus: Zwar liegen die Tories in den meisten Umfragen noch vorn – aber nur hauchdünn.
Und die Wirkung des jüngsten Anschlags an Pfingsten ist unklar. Labour verweist auf Mays langjährige Rolle als Innenministerin, wo sie Tausende Stellen bei der Polizei gestrichen habe. Andererseits könnten sich die Briten angesichts der Bedrohung auch erst recht hinter der Regierung sammeln.
Kurz vor dem Wahltermin am Donnerstag ist jedenfalls von einem Erdrutschsieg für Mays konservative Tories keine Rede mehr. Selbst die aktuelle Zwölf-Sitze-Mehrheit im Parlament ist nach einer am Dienstag veröffentlichten YouGov-Modellrechnung in Gefahr, die nach dem Anschlag am Samstag erhoben wurde.
Diese Berechnungen, eine Mischung aus Wählerbefragung kombiniert mit Erfahrungswerten, gelten zwar als unzuverlässig. Sollte die Mehrheit der Konservativen aber schmelzen oder sollten sie gar nicht mehr alleine regieren können, wäre die Premierministerin genau zu Beginn der Brexit-Verhandlungen geschwächt.
Der Absturz in den Umfragen hatte zuletzt jedoch nichts mit der Brexit-Debatte zu tun. Sowohl die Tories als auch Labour haben angekündigt, sich an den Ausgang des Referendums zu halten und das Land aus der EU zu führen.
Der Wahlflopp kam aus der Sozialpolitik. May sah sich gezwungen, einen Rückzieher bei einer ihrer zentralen Wahlkampfaussagen zu machen, die Alten an ihren Pflegekosten stärker zu beteiligen.
Kritiker bezeichneten das Vorhaben als «Demenzsteuer». Rentner befürchteten, sie müssten ihre Häuser verkaufen, anstatt sie an ihre Kinder vererben zu können. Auch die Zusicherung Mays, es werde eine Obergrenze geben, konnte den Schaden nicht mehr gutmachen.
Zugleich kam ihr Kontrahent, Labour-Chef Jeremy Corbyn, immer besser ins Rennen. Er will die Privatisierung staatlicher Unternehmen zurückdrehen und Reiche höher besteuern.
Gestartet als hoffnungsloser Fall entwickelte sich der 68-jährige Veteran der Friedensbewegung zu einem ernstzunehmenden Kontrahenten, der bei Wahlkampfkundgebungen grossen Zulauf erhält. «Er ist ein ganz normaler Mensch, was wohl gut ankommt», beschreibt die Teilnehmerin einer Corbyn-Veranstaltung in Reading, Trish Whitham, den Labour-Chef.
Der versucht jedoch angesichts von drei Anschlägen binnen zehn Wochen jetzt mit dem Thema innerer Sicherheit zu punkten und sein Image als verträumter Friedensbewegter abzulegen. Er attackiert May, weil sie in ihrer Amtszeit als Innenministerin 20'000 Stellen abgebaut habe.
Hatten Corbyn und Labour lange Widerstand gegen zu weitgehende Befugnisse der Polizei geleistet, will er den Sicherheitskräften jetzt weitgehend freie Hand geben. Inwieweit Labour am Donnerstag damit punkten kann, bleibt eine entscheidende Frage: Labour hatte in seinen Hochburgen im Norden Englands eine tolerante Politik gegen Einwanderer verfochten.
May wirft ihnen das mit Blick auf den Anschlag von Manchester jetzt vor und sagt, dass es zu den abgeschlossenen, islamischen Gesellschaften innerhalb des Landes geführt habe. Damit müsse Schluss sein. (whr/sda/reu)