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Bedrohtes Palmyra: Warum uns zerstörte Ruinen betroffener machen als menschliches Leid

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Schau dir die antike Oasenstadt Palmyra nochmals an, bevor der «IS» sie zerstört
Touristen 2008 im Theater.
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Bedrohtes Palmyra: Warum uns zerstörte Ruinen betroffener machen als menschliches Leid

22.05.2015, 13:5222.05.2015, 14:35
Kian Ramezani
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Am Ende der Lektüre dieses Artikels wird ein weiteres Leben im syrischen Bürgerkrieg gewaltsam ausgelöscht sein. Und zehn Minuten später wieder eins. Bis Mitternacht 144. Und morgen wieder 144. 220'000 Tote in vier Jahren herabgebrochen, in aller Regel namens- und gesichtslose Opfer, die im Westen nur noch wenige berühren. Ein trauriger Befund, den jede Online-Redaktion aufgrund ihrer Zugriffs-Statistiken bestätigen müsste.

Dann, inmitten dieser emotionalen Total-Überforderung: Die Kämpfer des «Islamischen Staats» haben die antike Wüstenstadt Palmyra eingenommen. Nach den obszön-inszenierten Zerstörungen im Nordirak drohen die Terroristen, ein weiteres Weltkulturerbe auszulöschen. Palmyra vermag Menschen aus ihrer Syrien-Lethargie zu reissen. Nicht nur jene, die das Glück hatten, die atemberaubenden Ruinen mit eigenen Augen zu sehen, als in dem Land noch Frieden herrschte.  

Und so stellt sie sich wieder, die zynische Frage:

Beschäftigt dich die drohende Zerstörung der antiken Wüstenstadt Palmyra mehr als die vielen Toten des syrischen Bürgerkriegs?

Die Empörung über ein zersägtes Relief sei nicht geringer als die Sorge um entführte, gequälte, ermordete Menschen, schreibt Martin Ebel im «Tages-Anzeiger». Man könnte noch weiter gehen: Sie scheint bisweilen sogar grösser. Zugeben will das freilich niemand. Und doch scheint es so zu sein. Wie sagte schon der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer: «Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.»

Warum also können wir nicht anders, als über das Schicksal ein paar alter Steine derart betroffen zu sein, wenn wenige Meter nebenan unschuldige Menschen sterben? Eine banale Erklärung wäre, dass Wüsten, Oasen und Palmen die Fantasie der Europäer schon immer beflügelt haben. Dabei ist es vermutlich gar nicht das Fremde, sondern vielmehr das Vertraute, was uns beim Anblick Palmyras ergreift.

Rundgang in Palmyra

Die Syrer nennen die Stadt nach ihrem ursprünglichen, semitischen Namen «Tadmor». Im Westen hingegen heisst sie «Palmyra», wie die griechischen Eroberer sie tauften und unter derer Herrschaft sie florierte. Palmyra mag in Syrien liegen, doch seine Ruinen könnten ebensogut irgendwo in Europa stehen. Sein Amphithater ist ebenso prächtig wie jene Griechenlands und Italiens.

Es sind Überreste unserer eigenen Geschichte, die der IS zerstören will. Sie zeugen von einer Zeit, als Syrien Teil der europäischen Ziviliation war und nicht ein gescheiterter Staat, dessen Vorgänge niemand mehr versteht. Vielleicht erscheint uns Palmyra deshalb so kostbar.

«Es ist einfältig zu glauben, dass es einen Widerspruch gibt zwischen der Trauer um Menschen und Trauer um Kunst und Architektur», schreibt Jonathan Jones im «Guardian». Er beschreibt seine Gedanken beim Anblick dieser Porträts von Bürgern des antiken Palmyras, die im British Museum stehen:

«Nur wenn wir uns als Teil einer Menschheitsgeschichte begreifen, welche diese alten Gesichter Palmyras mit uns selbst verbindet, dürfen wir uns zivilisiert nennen. Andernfalls sind wir bloss Tiere ohne Erinnerungsvermögen.» 

Man wäre versucht, die IS-Barbaren genau als das zu bezeichnen: unzivilisierte Tiere. Schlau genug sind die Terroristen leider, um zu erkennen, welche Bedeutung antike Stätten für den Westen haben. Anders ist nicht zu erklären, dass sie so viel Ressourcen in die Zerstörung sowie deren Dokumentation und Verbreitung stecken.

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