Am Himmel rauschen die Jets, als Abu Fahd, ein irakischer Soldat mit Gewehr in der Hand und Schlappen an den Füssen, die Klinik-Lobby betritt. Mossuls Salam-Spital galt einst als bestes Haus der Stadt, ein Vorzeigeprojekt. Jetzt läuft Abu Fahd über Papiere, Akten und Mauerreste, die auf dem Boden verstreut sind. Monitore hängen von der Decke, Chaos überall, Spuren schwerer Gefechte gegen die Terrormiliz «Islamischer Staat» («IS»).
Geblieben sind zerschossene Wände, zerbombte Decken und verwüstete Gänge, eine Klinik in Trümmern, die nie wieder Patienten aufnehmen wird. «Da», sagt Abu Fahd, während er durch einen dunklen Flur läuft und mit dem Handy in einen Nachbarraum leuchtet: Im Lichtschein ist die Leiche eines «IS»-Kämpfers zu sehen, die noch niemand weggeräumt hat. Nicht nur wegen solcher Szenen ist auch hier, im befreiten Ostteil der bisherigen nordirakischen «IS»-Hochburg Mossul, der Krieg gegen die Extremisten noch immer allgegenwärtig.
Das Salam-Spital liegt unweit des Flusses Tigris, der die Stadt in zwei Hälften teilt. Explosionen und Schüsse sind vom anderen Ufer zu hören, wo sich der «IS» in der Altstadt Mossuls verschanzt hat und Widerstand leistet. Rauchsäulen stehen über den dicht bebauten Gassen. Doch das Ende des «IS» in Mossul rückt immer näher: Seit Beginn der irakischen Offensive im Oktober haben die Angreifer mehr als 90 Prozent der Stadt eingenommen. Noch vor dem Fastenmonat Ramadan, der in einer Woche beginnt, könnte der «IS» vollständig aus der Stadt vertrieben sein. Es wäre auch ein Geschenk an US-Präsident Donald Trump, der am Samstag eine Reise in den Nahen Osten und nach Europa beginnt, auf der es um den Kampf gegen den Terror gehen wird.
Von Hoffnung oder gar Euphorie aber ist in Mossul und im Umland trotz der bevorstehenden «IS»-Niederlage wenig zu spüren. An den vielen Checkpoints auf der Hauptstrasse nach Mossul stauen sich jeden Tag Laster und Autos, die Waren und Menschen in die Stadt bringen. Strassenreiniger sammeln in der Stadt im Auftrag der UNO Müll auf. Am Strassenrand wird das Benzin aus Kanistern oder direkt aus Tankwagen verkauft, weil Tankstellen fehlen. Handwerker haben sich hier und dort daran gemacht, Häuser zu reparieren. Doch die unzähligen zerstörten Gebäude, die überall zu sehen sind, lassen erahnen: Der Wiederaufbau wird Jahre dauern und Milliarden kosten.
Immerhin, Musab darf wieder rauchen, und er nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, den er sichtlich geniesst. Zu «IS»-Zeiten sei Tabak nur heimlich verkauft worden, zehn Dollar die Zigarette, erzählt der 24-Jährige. «Wer erwischt wurde, erhielt Peitschenhiebe.» Musab ist anzumerken, dass schwierige Zeiten hinter ihm liegen. Die Haare sind trotz seines jungen Alters angegraut, die Fingernägel abgekaut, er wippt ständig mit einem Bein. Er gehört zu einer Generation, die wichtige Jahre verloren hat: Als der «IS» im Juni 2014 Mossul überrannte, paukte Musab gerade für das Examen, das er dann nie ablegen konnte. Heute steht er ohne Abschluss da. «Ich weiss nicht, was ich machen soll», sagt Musab, der in einem Café jobbt.
Ernüchtert sind Menschen wie Musab nicht nur, weil sie eine rigide «IS»-Herrschaft erdulden mussten, sondern weil der Wiederaufbau schleppend läuft. Die im Irak allgegenwärtige Korruption steht auch in Mossul besseren Zeiten im Wege. Ausländische Staaten geben zwar Geld – doch irakische Politiker halten gern die Hand auf. So erzählt ein UNO-Mitarbeiter, der zuständige Provinz-Gouverneur Nufal al-Sultan habe Dutzende Projekte nicht abgezeichnet. Er habe selbst entscheiden wollen, welche Firmen die Aufträge erhalten – um sich so seinen Teil am Kuchen zu sichern. Dabei ist schnelle Hilfe notwendig: Mehr als 600'000 Menschen sind seit Beginn der Mossul-Offensive im Oktober vertrieben worden und warten auf ihre Rückkehr.
Besonders dramatisch, sagt ein anderer junger Iraker, sei es im noch immer umkämpften Westen Mossuls. Laith Dabbagh zeigt ein Handy-Video, das er dort aufgenommen hat: Völlig zerbombte Strassenzüge sind zu sehen, Viertel dem Erdboden gleich gemacht. «Ein normales Leben ist dort unmöglich», sagt Laith.
Der 27-Jährige und andere Freiwillige ziehen sich regelmässig grüne T-Shirts über und räumen Strassen oder Gebäude auf. Stolz läuft Laith durch eine Schule, aus der sie die Trümmer beseitigt haben. Geblieben sind nur Einschusslöcher in den Wänden, aber der Unterricht hat wieder begonnen. Ihre Initiative nennen sie «Lass es schöner zurück». Doch ihre Mittel sind begrenzt. Laith hat wie viele in Mossul nicht einmal Arbeit. «Das Leben hier ist zerstört», sagt er.
Kaum besser sieht es in Mossuls Umland aus, in dem christlichen Ort Hamdanija etwa, wo Steven in einem schmalen Laden auf Kunden wartet. Das Geschäft, so viel lässt sich der wortkarge Iraker entlocken, läuft ordentlich. Auf wenigen Quadratmetern verkauft er eine Ware, die unter dem «IS» streng verboten war: Alkohol. Aufgereiht in zwei Regalen stehen Flaschen mit Whiskey, Ouzu, Gin und Arak, Iraks Anisschnaps, knapp fünf Dollar das Stück. Stevens Laden ist Symbol für ein wenig Freiheit, die die Menschen zurückgewonnen haben.
Und trotzdem: Wenn der 21-Jährige die Wahl hätte, würde er wie viele Verwandte nach Australien gehen, weg vom Elend und der Trostlosigkeit. Hamdanija, auch Karakusch genannt, gleicht sieben Monate nach der Befreiung noch immer einer Geisterstadt mit zerschossenen Gebäuden, geschlossenen Geschäften und Strassen voller Löcher. Das Einzige, was hier gedeiht, sind Disteln. Am besten verkaufe sich Whiskey, erzählt Steven, die meisten Kunden kämen aus Mossul. Ein Soldat betritt den Laden, er will zwei Flaschen Whiskey, die Steven in einer schwarzen Tüte verstaut, damit sie nicht zu erkennen sind. Ob die meisten seiner Kunden Christen sind? Nein, sagt der junge Iraker und lacht: «Sie sind alle Muslime.» (sda)