Das Ereignis füllte in den meisten Zeitungen nicht mehr als ein, zwei Spalten: Ein Transportflugzeug der saudi-arabischen Armee landete am vergangenen Mittwoch am Flughafen Zürich und verliess Kloten am Freitag Nachmittag wieder – vollbepackt mit Munition für Flugabwehrgeschütze.
Eigentlich keine grosse Meldung: Die Schweiz exportiert jährlich Kriegsmaterial im Wert von mehreren Hundert Millionen Franken. Aber seit im Jemen ein bewaffneter Konflikt ausgebrochen ist, hat der Bund ein Export-Moratorium für involvierte Staaten verhängt. Darunter fällt auch Saudi-Arabien, das die aufständische schiitische Huthi-Miliz mit durchschnittlich mehr als 125 Luftangriffen pro Tag von der Macht wegbomben will. Das Seco erklärte die Munitionslieferung an das saudische Königshaus im «Landboten» so: Geschäfte, die bereits vor Inkrafttreten des Moratoriums getätigt wurden, sind nicht von der Ausfuhrsperre betroffen.
Die Schweiz macht Geschäfte mit Saudi-Arabien, die USA macht Geschäfte mit Saudi-Arabien, die halbe Welt macht mit dem Königshaus am Golf Geschäfte.
Auch im Kampf gegen den sogenannten «Islamischen Staat» ist Saudi-Arabien an vorderster Front dabei – angeblich. Seit September 2014 ist die Golfmonarchie Teil der internationalen Koalition gegen die Schlächter mit der schwarzen Fahne. Zum G-20 Treffen vergangene Woche, zwei Tage nach den Anschlägen von Paris, war auch der saudische König Salman Bin Abdulaziz al-Saud geladen.
Was man dem «Islamischen Staat» vorwirft, das kann man, in ähnlicher Form, auch Saudi-Arabien vorwerfen. Der einzige Unterschied: Saudi-Arabien gilt als unerlässlicher Partner des Westens: Wegen seines Ölreichtums und weil es Stabilitätsgarant in einer notorisch instabilen Weltgegend ist.
Ein Überblick über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem «Islamischen Staat» und Saudi-Arabien zeigt: Die Terrororganisation und die absolutistisch-salafistische Golfmonarchie sind Brüder im Geiste.
Freie Meinungsäusserung? Fehlanzeige: Saudi-Arabien belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 164 von 180. Die NGO «Reporter ohne Grenzen» beschreibt den Zustand der Medienwelt in der Golfmonarchie so:
Der prominenteste Fall in jüngster Zeit ist derjenige des Bloggers Raif Badawi. Badawi wurde zu zehn Jahren Haft und zu 1000 Stockschlägen verurteilt. Zusätzlich droht eine Verurteilung wegen Abkehr zum islamischen Glauben. Das hätte die Todesstrafe mit Köpfung zur Folge. Am 17. November wurde zudem der Dichter Ashraf Fayadh zum Tode verurteilt.
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr fordert. «Saudi-Arabien muss endlich alle Medienschaffenden und Aktivisten freilassen, denen nichts als öffentliche Kritik an den Behörden oder kontroverse Meinungsäusserungen zur Last gelegt werden. Vorher sollte kein ausländischer Politiker zum Tagesgeschäft mit dem Königreich übergehen.»
Die obige Grafik zeigt: Das saudi-arabische Rechtssystem unterscheidet sich nur unwesentlich von demjenigen des «Islamischen Staates»: Auf Verrat, Blasphemie, ausgelebte Homosexualität und Mord steht in Saudi-Arabien die Todesstrafe. Ehebruch hat den Tod durch Steinigung zur Folge. Raub führt zur Amputation einer Hand und eines Fusses, Diebstahl zur Amputation der rechten Hand. 2014 wurde ein Mann gar wegen Hexerei zum Tod verurteilt.
In einem Punkt unterscheiden sich der «Islamische Staat» und Saudi-Arabien allerdings: Das Terror-Kalifat verbreitet Aufnahmen von Hinrichtungen und Steinigungen gezielt im Netz, Saudi-Arabien vollstreckt die Gerichtsurteile zwar auch in der Öffentlichkeit, verbietet aber Aufnahmen.
2015 hat Saudi-Arabien seinen Bürgerinnen das erste Mal in der Geschichte des Landes das (kommunale) Wahlrecht zugestanden. Das ist aber nicht viel mehr als ein Feigenblatt. Ohne die Zustimmung eines Mannes kann die Frau keinen Pass ausstellen lassen, nicht reisen, nicht heiraten, keine höhere Ausbildung machen. Ausserhalb der eigenen vier Wände sollen Frauen den Kontakt mit Männern aufs Nötigste beschränken. Zudem verbietet der Golfstaat seinen Bürgerinnen nach wie vor, Auto zu fahren: Notabene als einziges Land der Welt. Auch in der Arbeitswelt sind Frauen auf ihre Männer, Brüder, Onkeln oder Söhne angewiesen.
9 Millionen Gastarbeiter zählt die Golfmonarchie. Gewalt und Ausbeutung sind für viele von ihnen an der Tagesordnung. Verantwortlich dafür ist das Kafala-System, das den ausländischen (ungelernten) Arbeitnehmer an einen sogenannten Sponsoren bindet, ohne dessen Zustimmung der Arbeitnehmer weder den Arbeitgeber wechseln, noch das Land verlassen darf. Faktisch kommt das Kafala-System der Leibeigenschaft gleich. Der Sponsor darf den Pass des Gastarbeiters behalten und kann ihn so unter Druck setzen. Auch das Zurückhalten von Löhnen ist üblich.
Werden Gastarbeiter für schuldig befunden, das restriktive Arbeitsgesetz verletzt zu haben, so droht ihnen die Zwangsdeportation: Laut einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden zwischen Juni 2013 und Juni 2014 458'911 Jemeniter des Landes verwiesen und deportiert. Das selbe Schicksal widerfuhr zwischen November 2013 und März 2014 163'018 Äthiopiern. Und zwischen Dezember und März 2014 deportierte Riad 38'164 Somalier in ihr Heimatland. Berichte über überfüllte Lager, Hungersnöte und systematische Missbräuche machen immer wieder die Runde.
In Saudi-Arabien ist der ultra-konservative Wahabismus Staatsreligion. Die puristisch-traditionalistische sunnitische Strömung lehnt alle anderen islamischen Religionsströmungen als unislamisch ab. Der sogenannte «Islamische Staat», al-Kaida und andere extremistische sunnitische Gruppierungen ähneln in vielen Aspekten dem wahabitischen Islam. Kein Wunder, dass die Terrororganisationen in Saudi-Arabien viele Anhänger findet: Die Golfmonarchie, bzw. Privatpersonen innerhalb des Herrschaftszirkels sowie klerikale Kreise gehören zu den grössten Förderern und Geldgebern des «IS».
Der Autor Kamel Daoud hat in einem Beitrag für die New York Times den Einmarsch der US-Amerikaner im Irak als Mutter des «IS» bezeichnet . Der Vater aber, so Daoud, ist Saudi-Arabien und seine religiös-industrielle Propaganda. Saudi-Arabien, folgert der algerische Autor weiter, ist das, was der «Islamische Staat» zu werden hofft.
Im Frühling dieses Jahres begann Saudi-Arabien, zusammen mit neun verbündeten Staaten, eine Militärkampagne gegen die aufständische schiitische Huthi-Miliz im Nachbarland Jemen. Bei den Luftangriffen kamen nach Angaben des UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) mehrere Hundert Zivilisten ums Leben. Dabei kommen unter anderem verbotene Streubomben zum Einsatz. Die von Saudi-Arabien eingeführte Seeblockade führte zu einer humanitären Katastrophe im Jemen.