Wir schreiben den März 2016: Die Staatsanwaltschaft wirft dem damals 20-jährigen Brock Turner – Elite-Schwimmer der Universität Stanford – vor, eine 22-jährige Studentin missbraucht zu haben. Konkret lautet die Anklage auf «Vergewaltigung einer berauschten und bewusstlosen Person». Ausserdem auf «Überfall mit der Absicht, eine berauschte Frau zu vergewaltigen», «sexuellen Einführens eines Fremdobjekts» und «sexuellen Einführens eines Fremdobjekts bei einer bewusstlosen Frau».
Zum Entsetzen vieler verurteilt Aaron Persky, Richter am Santa Clara County Superior Court im US-Bundesstaat Kalifornien, den beschuldigten Brock Turner nur für die drei letzteren Vergehen. Ein Vergewaltiger, auch bei drückender Beweislage, ist der Schwimmer juristisch gesehen nicht. Und dies, obwohl zwei schwedische Austauschstudenten den Täter bei seinem Missbrauch hinter einem Müllcontainer auf einem Uni-Campus auf frischer Tat erwischt haben. Persky brummte Brock Turner eine Haftstrafe von sechs Monaten und drei Jahre Bewährung auf, ausserdem muss sich der 20-Jährige als Sexualstraftäter registrieren lassen. Die Strafe fällt in der Tat nicht allzu hart aus, hatte die Staatsanwaltschaft doch sechs Jahre gefordert.
Richter Aaron Persky, selbst einst Athlet an einer Elite-Universität, sorgte damals insofern für Empörung, als er das milde Urteil gegen Turner auch mit dessen sozialer Herkunft und seinem Status als Elite-Sportler begründete. Mehr als sechs Monate Gefängnis seien dem jungen Mann nicht zuzumuten und würden sein Leben «schwer beeinflussen». Zusätzlich tauchte ein Brief von Vater Turner auf, aus dem hervorgeht, dass er seinen Sohn für «20 Minuten Action» zu hart bestraft sieht.
Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb in ihrer Berichterstattung über den Fall Brock Turner, dass die Frage aufkam, ob der Richter ein ähnlich mildes Urteil ausgesprochen hätte, wenn Turner nicht der weisse, überprivilegierte Stanford-Student mit beeindruckenden Bestzeiten im Schwimmen gewesen wäre.
Dass der Verurteile bereits nach drei Monaten Gefängnis wieder frei kam, ist bei sauberem Strafregisterauszug und guter Führung in den USA üblich und soll hier deshalb nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
Heute, rund eineinhalb Jahre nach dem Urteil, kommt wieder Wind in das prominente Stück amerikanischer Justizgeschichte. Die beiden Professorinnen Mary Dodge und Callie Rennison – sie lehren an der Universität Colorado-Denver für öffentliche Angelegenheiten und haben ein Schulbuch veröffentlicht – erwähnen Brock Turner in diesem als beispielhaften Fall für eine Vergewaltigung. Die Jura-Studentin Hannah Kendall Shuman von der Washington State University hat den entsprechenden Eintrag auf Facebook veröffentlicht und damit für mächtig Viralität gesorgt.
Hannah Shuman schreibt auf Facebook: «Er musste vielleicht seine Gefängnisstrafe nicht absitzen, doch in meinem Einführungs-Strafrechtsbuch ist Brock Turner die Definition von Vergewaltigung.»
Zudem sagt die Jura-Studentin: «Obwohl seine Tat der staatlichen Definition von Vergewaltigung entspricht, ist er dafür nicht verurteilt worden. Ich finde es gut, dass dieser Fall in der Öffentlichkeit erneut besprochen wird. Dass er (durch den Eintrag im Schulbuch) als Beispiel für eine Vergewaltigung in die amerikanischen Geschichtsbücher eingeht, ist für viele Leute eine kleine Genugtuung.»
Auf Seite 20 des entsprechenden Schulbuches steht denn auch: «Ein kürzlich breit veröffentlichtes Beispiel ist das vom Vergewaltiger Brock Turner. Turner, ein Student der Universität Stanford, wurde in flagranti erwischt und anschliessend für drei Kapitalverbrechen für schuldig befunden: Überfall mit der Absicht, eine berauschte Frau zu vergewaltigen, sexuelles Einführen eines Fremdobjekts und sexuelles Einführen eines Fremdobjekts bei einer bewusstlosen Frau. Turners Opfer war während dem Übergriff, der sich hinter einem Müllcontainer auf dem Universitäts-Campus abspielte, bewusstlos.»
Zudem schreiben die beiden Autorinnen unter das Foto von Brock Turner: «Gewisse Menschen waren schockiert, wie kurz die Strafe ausgefallen ist. Andere wiederum, die sich öfters mit dem Strafrecht in Bezug auf Sexualstraftaten beschäftigen, waren schockiert darüber, dass er überhaupt für schuldig gesprochen und verurteilt wurde. Was denkt ihr?»