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Im Fall Weinstein gibts vor allem eins zu sagen: Fuck you! An mehrere Adressen

epa06254011 (FILE) - Harvey Weinstein, head of Miramax talks on his mobile phone at the third day of meeting at Allen and Company's 22nd Annual Media Conference in Sun Valley, Idaho, USA, 09 July ...
Harvey Weinstein, ganz entspannt in Idaho.Bild: EPA/EPA POOL
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Im Fall Weinstein gibt's vor allem eins zu sagen: «Fuck you!» – an mehrere Adressen

Über 30 Frauen haben sich schon als Opfer von Attacken des Filmproduzenten geoutet. Eine widerliche und tragische Geschichte, die weh tut.
11.10.2017, 16:2812.10.2017, 13:18
Simone Meier
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Er sei jetzt irgendwo in Arizona*, heisst es, in einer Rehab für Sexsüchtige. Harvey Weinstein muss jetzt ja dringend seine «Dämonen» in den Griff kriegen. Auf das Laster folgt die Läuterung, und alles ist gut, so will es die amerikanische Legende. Die Entzugsklinik als Kirche der Gegenwart. Aber wie es so ist in der Kirche: Wunder sind längst keine mehr zu erwarten. Harvey Weinstein, bis eben noch mächtigster Mann von Hollywood, ist am Ende und möge nie mehr auferstehen.

George Clooney sagt, Harvey Weinsteins Verhalten sei «unhaltbar, nicht zu verteidigen». Harvey Weinsteins Ehefrau Georgina Chapman nennt es «unverzeihlich», was ihr Mann getan hat und verlässt ihn. Clooney und Chapman verdanken Weinstein ihre Karrieren, Clooney als Schauspieler und Regisseur, Chapman als Chefin des Modelabels Marchesa, das zufälligerweise in jenem Jahr ganz viele Schauspielerinnen für allerlei rote Teppiche einkleidete, als sie Weinstein heiratete.

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Georgina Chapman und das Model Karolina Kurkova 2016, beide in Marchesa.Bild: Evan Agostini/Invision/AP/Invision

Beide sind entsetzt, wollen aber nichts von der Schneise der Demütigung gewusst haben, die Weinstein fast dreissig Jahre lang durch die Riege junger Hollywood-Schauspielerinnen zog. Nichts von den Belästigungen, den Vergewaltigungen. Den sorgfältig mit einer Beruhigungstablette in Gestalt einer weiblichen Assistentin (die dann plötzlich verschwinden musste) eingefädelten Hotelzimmertreffen, die in Massagen, Masturbation oder auch einfach Sex endeten. 

Dazu kam fieses Bodyshaming («Du bist zu dick!»), das die Frauen umso beschämter und verunsicherter zurückliess.

Weinstein war so präzise in seinen Vivisektionen wie ein guter Filmbösewicht. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versahen in Frage kommende junge Frauen mit dem Kürzel «F.O.H.». Friend of Harvey. Seine Produktionsfirma Miramax funktionierte als Weinsteins Bordell. Wer gegen ihn war, hatte in Hollywood keine Freunde mehr, fand sich plötzlich in der Klatschpresse breitgetreten, kriegte keine Aufträge mehr.

Mila Kunis attends the premiere of Warner Bros. Pictures' "Jupiter Ascending" at TCL Chinese Theatre on Monday, Feb. 2, 2015, in Hollywood, Calif. (Photo by Paul A. Hebert/Invision/AP)
Mila Kunis blieb zum Glück von Weinstein verschont, war aber sein grosser Traum. Sein grösstes Kompliment an eine Frau war, dass sie Mila Kunis gleiche.Bild: Paul A. Hebert/Invision/AP/Invision

Er gab gerne damit an, dass er nicht wie Bill Cosby zu Beruhigungsmitteln habe greifen müssen, um die Frauen gefügig zu machen. Er hielt es ganz mit Donald Trump: «Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun ... grab 'em by the pussy.» Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten Verschwiegenheitsklauseln in ihren Arbeitsverträgen unterzeichnen. Das Aufgebot an Anwälten, mit denen er journalistische und polizeiliche Recherchen gegen ihn in den letzten Jahren zum Erliegen brachte, war bedrohlich.

«Oh, die Mädchen sagen immer ‹nein›. Weisst du, ‹nein, nein›. Und dann trinken sie ein Bier oder zwei und schmeissen sich mir an den Hals.»
Harvey Weinstein zu einer unwilligen Angestellten, zitiert im «New Yorker».
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Die prominentesten Anklägerinnen: Léa Seydoux, Emma de Caunes, Gwyneth Paltrow, Asia Argento, Ashley Judd (oben, von links), Cara Delevingne, Rosanna Arquette, Judith Godreche, Angelina Jolie und Rose McGowan (unten, von links).Bild: EPA/EPA

Clooney sagt, natürlich habe man über Weinstein geredet im Sinn von «alter Sack macht schöne junge Frauen an», aber das sei ja nun mal einfach normal im Business. Wieso? Wieso können Arbeitsverhältnisse, die auf einem eklatanten Machtverhältnis beruhen, nicht allgemein mit Respekt und professioneller Souveränität angegangen werden? Fuck you, George Clooney!

Matt Damon, dem nachgesagt wird (er bestreitet es), 2004 zusammen mit Russell Crowe eine Enthüllungsstory über Weinstein verhindert zu haben, sagt, er hätte von nichts eine Ahnung gehabt. Aber jetzt, «als Vater von vier Töchtern», sei er angewidert und würde sich so seine Gedanken machen.

Fuck you, Matt Damon! Wie oft haben wir dieses «Jetzt, wo ich Töchter habe»-Argument schon gehört, wenn es um Fragen von sexueller Belästigung oder Missbrauch ging! Können sich Männer sowas erst richtig vorstellen, wenn ein weibliches Wesen so vollkommen unschuldig, schutzbedürftig und in allem von ihnen abhängig ist, wie das nur die eigene Tochter sein kann?

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Von Brad Pitt, Matt Damon und George Clooney hat einer eine Frau vor Weinstein in Schutz genommen. Welcher wohl?Bild: AP/AP

Vorher schweigt man darüber. Oder sagt: Schon schlimm, aber ... Eigentlich müsste man ihn jetzt entlassen, aber ... Ihr fühlt euch unwohl mit ihm? Hm, er ist halt einfach ein ganz armer Kerl, er kann nicht anders, er meint das nicht böse, nehmt ihn einfach nicht so ernst ... Und dann wird so lange geschwiegen, bis sich die lästige Verstörtheit heikler Frauen verzogen hat. Fuck you, silence!

Harvey Weinstein versucht, das Model Ambra Battilana Gutierrez zu verführen, sie nimmt ihn auf

Der 29-jährige Jurist und Journalist Ronan Farrow (der Sohn von Mia Farrow und Woody Allen oder Frank Sinatra, so genau weiss man das nicht) hat zehn Monate lang im Fall Weinstein recherchiert, das Resultat ist jetzt ein riesiger Artikel im «New Yorker». Die italienische Schauspielerin Asia Argento beschreibt darin detailliert, wie sie von Weinstein vergewaltigt und gefügig gehalten wurde. Es ist zum Heulen.

«Ich bin keine Hure», sagte Asia Argento nach der Vergewaltigung. Weinstein lachte und sagte, das werde er sich auf ein T-Shirt drucken lassen.
Asia Argento, left, and Anthony Bourdain arrives at night one of the Creative Arts Emmy Awards at the Microsoft Theater on Saturday, Sept. 9, 2017, in Los Angeles. (Photo by Richard Shotwell/Invision/ ...
Stand by your woman: Promikoch Anthony Bourdain unterstützt seine Freundin Asia Argento und die anderen Frauen im Kampf gegen Weinstein.Bild: Richard Shotwell/Invision/AP/Invision

Im Fall von Argento dauerte der Alptraum fünf Jahre lang. Abwechslungsweise gab er ihr zu verstehen, dass er sie wirklich schätze, und forderte Sex, etwa für die Promotion ihres neuen Films. Als sie plötzlich als überforderte, alleinerziehende Mutter dastand, besorgte er eine Nanny für ihr Kind. Wohin auch immer sie sich drehte: Weinstein versperrte ihr den Weg, mit Drohungen oder perverser Güte.

Eines Tages stellte Weinstein Asia Argento seiner Mutter vor. Er betrachtete sie als seine Freundin.

Heute ist Asia Argento mit dem Koch Anthony Bourdain zusammen. «Ich bin stolz und geehrt, dich zu kennen. Du hast gerade das härteste Ding der Welt getan», twitterte dieser nach Erscheinen ihres Geständnisses im «New Yorker». «Können wir jetzt das Wort ‹Vergewaltiger› brauchen? #Weinstein», doppelte Bourdain nach und von Matt Damon erwartet er «The Bourne Apology». Argentos Bild auf Instagram versah er mit dem Kommentar «Proud as Hell».

Der einzige Mann in Hollywood, der es in all den Jahren wagte, Harvey Weinstein an die Gurgel zu gehen und dies erst noch in der Öffentlichkeit einer Branchenparty, war Brad Pitt. Gwyneth Paltrow war damals 24, Weinstein bedrängte sie, sie lief davon, erzählte alles ihrem Boyfriend Brad und der stauchte Weinstein zusammen. Worauf dieser wiederum Paltrow bedrohte. Worauf dann auch Brad Pitt lieber schwieg.

Alle wussten es, sagen die Frauen, die einander vor Weinstein warnten und sich jetzt nach lähmenden Jahren im Schatten der Macht gemeinsam an die Öffentlichkeit wagen, zuerst in der «New York Times», jetzt im «New Yorker» und anderswo. Alle, auch die Männer. Wir wussten von nichts, sagen die Männer.

Die einzigen Frauen, die Weinstein zur Seite eilen, sind übrigens die gründlich enthirnte Lindsay Lohan und die Designerin Donna Karan, die vorschlägt, die Frauen hätten ja geradezu danach gebettelt, gewiss seien sie alle viel zu aufreizend angezogen gewesen. Sie muss es ja wissen, sie zieht Frauen schliesslich an. Fuck you!

*In einer früheren Fassung dieses Textes war von Europa die Rede. Dies ist inzwischen von den amerikanischen Medien korrigiert worden.

Lindsay Lohan steht trotzdem hinter Harvey Weinstein, wie sie über ihre Instagram-Story in die Welt posaunt:

Video: Angelina Graf
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88 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Palatino
11.10.2017 18:23registriert Juli 2015
Dieses Verhalten, dieser Missbrauch ist durch nichts zu entschuldigen. Aber zeigen nicht gerade Formate wie DSDS, GNTM und andere Castingformate, dass das Erleiden von verbalem, körperlichem und psychischem Missbrauch Voraussetzung für eine Karriere im Showbusiness ist? Wird nicht schon da etwas normalisiert, was nicht normal sein darf?
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Amadeus
11.10.2017 16:48registriert September 2015
Ein sehr guter Artikel, der die Recherche des New Yorker gut zusammenfasst. Es zeigt sehr schön, wie sie alle weggesehen haben. Zwei Fragen bleiben dennoch übrig. Warum gingen die Frauen nicht früher an die Öffentlichkeit, sondern liessen es zu, dass Weinstein auch andere sexuell belästigte? Und wo waren all die Reporter und Hollywood Kltaschpresse-Insider. Haben die auch von nichts gewusst?
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Binnennomade
11.10.2017 20:19registriert Juli 2016
Vielen Dank für den guten Artikel. Was ich mich aber frage ist, wieso Sie hier vor allem gegen die männlichen Mitwisser schiessen. Es gab doch sicher auch weibliche Mitwisserinnen, die nicht selber betroffen waren? Bei Matt Damon scheint's zu sein, weil er angeblich eine Enthüllungsreportage verhindert hat. Warum aber Clooney?
Ich habe den Eindruck, dass man Ihren Artikel so interpretieren kann, dass doch die starken Männer die armen Frauen hätten beschützen sollen. Das finde ich schade.
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