Beim Faktencheck nach der zweiten TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump gab es ein kleines Problem: Gesucht waren je fünf Unwahrheiten, welche die beiden Kandidaten den Zuschauern aufgetischt hatten. Während bei Donald Trump eine Auswahl getroffen werden musste, kamen bei Hillary kaum fünf zusammen. Am Ende waren es sechs bei Trump und drei bei Clinton.
Ist das eine ausgewogene Berichterstattung?
Oder unfair gegenüber Trump?
Oder wohlwollend gegenüber Clinton?
Sind wir am Ende gar parteiisch?
Wer sich in den Kommentarspalten umhört, könnte diesen Eindruck erhalten. Trump komme zu schlecht, Clinton zu gut weg, heisst es dort. Beide seien schlimm, eine «Wahl zwischen Pest und Cholera», liest man oft. Einige finden die 68-Jährige «Killary» (eine Anspielung auf ihre aktive Rolle bei der Libyen-Intervention) sogar noch schlimmer.
In Teilen der US-Medien geht die Debatte genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie warnen vor «False Balance»: Der Anspruch, über beide Kandidaten ausgewogen und fair zu berichten, führe in der Realität dazu, dass die Kritik gegenüber Clinton übertrieben werde. Sozusagen, um all die vernichtenden Berichte über Trump ein bisschen zu kompensieren. Anders gesagt: Clinton komme nicht zu gut, sondern zu schlecht weg.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Berichterstattung über Interessenkonflikte der Clinton Foundation genannt. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hatte behauptet, grosszügige Spenden an die Stiftung seien mit Gefälligkeiten von Aussenministerin Clinton (2009-2013) belohnt worden. Diverse Medien zerrissen die Recherchen als tendenziös und implizierten, AP betreibe False Balance.
Auch NBC-Moderator Matt Lauer musste nach einer Diskussionssendung harte Kritik einstecken. Während er bei Trumps zahlreichen Unwahrheiten nicht insistierte, ging er mit Clinton hart ins Gericht.
Was also sollen Journalisten tun?
Gemäss Jacob Weisberg, Chefredaktor des eher linken Online-Nachrichtenportal Slate, ist eine «normale» Berichterstattung in diesem Präsidentschaftswahlkampf schlicht nicht möglich.
Glenn Greenwald ist so einer, dem False Balance vorgeworfen wird. Der Journalist, der durch die Berichterstattung über Edward Snowden und die NSA-Spionage berühmt wurde, ist ein scharfer Kritiker Hillary Clintons. Gelegentlich wird ihm vorgeworfen, er schade ihr und helfe so indirekt Trump. Neulich sah er sich genötigt, in der Meta-Debatte Stellung zu beziehen:
Das bisweilen gegen Greenwald vorgebrachte Argument, jeder Clinton-kritische Artikel erhöhe die Gefahr einer Trump-Präsidentschaft, ist eine Bankrotterklärung und zeugt nicht gerade von viel Vertrauen in die Bürger. Tatsächlich können sich weder Trump noch Clinton beklagen, die Medien hätten systematisch unfair über sie berichtet. Wenn einmal ein Vorwurf nicht stimmte, wurde er berichtigt.
Während der Vorwahlen freute sich Trump über das enorme Medieninteresse, egal wie sehr auf ihn eingedroschen wurde. Laut Schätzungen soll er so gratis Wahlkampfwerbung im Wert von zwei Milliarden Dollar eingesammelt haben. Doch was seine Fans damals verzückte, kommt jetzt bei den entscheidenden Mittewählern nicht so gut an. Nicht die Berichterstattung hat sich verändert, sondern das Publikum.
Roger Cohen von der «New York Times» plädiert dafür, keine der beiden Lager zu schonen. Gleichzeitig lässt er keine Zweifel offen, was am Ende herauskommt:
Dass Clinton als geeignete Kandidatin mit Fehlern und Trump als komplett ungeeignet rüberkommt, ist kein Beleg für unfaire oder unausgewogene Medienberichterstattung, im Gegenteil: Es zeigt, dass die Medien ihren Job gemacht haben.
Die Frage, wo denn der neutrale, auf Fakten basierende Journalismus bleibt, verkommt wohl zu einer Farce, wenn man diese auf einer gratis Plattform stellt.