Grosse Überraschung: Der US-amerikanische Sänger und Songwriter Bob Dylan erhält den Literaturnobelpreis 2016. Er wird für seine poetischen Neuschöpfungen in der grossen amerikanischen Song-Tradition geehrt, wie die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekannt gab.
Es passt, dass der grösste Songschreiber des vorigen Jahrhunderts als erster Popmusiker den Literaturnobelpreis erhält. Mit seinen höchst anspruchsvollen Liedtexten galt Bob Dylan bei vielen schon lange als reif für diese Premiere. Nun sprang die Jury über ihren Schatten.
Rund 20 Jahre lang wurde Bob Dylan mit schöner Regelmässigkeit für den Nobelpreis vorgeschlagen, doch stets ging der Dauerbrenner unter den Kandidaten leer aus. Zu gewagt erschien es offenkundig der Jury, einem Musiker – und sei es auch der berühmteste Songschreiber überhaupt – die höchste Literaturauszeichnung der Welt zuzuerkennen. Nun hat sie sich getraut. Diesmal haben die favorisierten Romanautoren und Dramatiker das Nachsehen.
«Blowin' In The Wind» und «Like A Rolling Stone» gehören zu Bob Dylans berühmtesten Stücken. Der Musiker feierte im Mai seinen 75. Geburtstag.
Von einigen Skeptikern abgesehen, dürften die meisten gut 50 Jahre nach Dylans Karrierestart anerkennen, dass der Autor von Folk-, Blues- und Rock-Lyrik wie «Masters Of War», «Like A Rolling Stone» oder «Visions Of Johanna» ein würdiger Preisträger ist. Den Pulitzer-Preis für «lyrische Kompositionen von ausserordentlicher poetischer Kraft» hatte er ja bereits.
Seinen Ruf als Revolutionär der Folk- und Rockmusik erwirbt sich Dylan schon Anfang der 60er Jahre, als er die Zeichen einer unruhigen Zeit richtig deutet. Seinen Start als Singer-Songwriter beschreibt er später in der literarisch anspruchsvollen Autobiografie «Chronicles» (2004) so: «Amerika wandelte sich. Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung.»
Der als Robert («Bobby») Allen Zimmerman geborene junge Mann aus Duluth/Minnesota benennt sich vermutlich nach einem literarischen Idol um, dem walisischen Dichter Dylan Thomas. Der Erfolg stellt sich mit dem Song «Blowin' In The Wind» (1963) ein. Wütende Lieder wie «Masters Of War» oder «A Hard Rain's A-Gonna Fall» qualifizieren Dylan für die weltweite Jugend- und Protestbewegung.
Danach mutiert er zum Rockmusiker mit elektrischer Gitarre, komponiert und textet Mitte, Ende der 60er Jahre Album- und Songklassiker in Serie. Seine mit Metaphern, Symbolen und Anspielungen durchsetzten Lyrics sind von beispielloser Qualität.
Seinem deutschen Biografen Heinrich Detering zufolge beziehen sich die Songtexte des Amerikaners «auf Dichtungen unterschiedlichster Zeitalter und Kulturen: von der Bibel und Homers »Odyssee« über die Dichtungen der römischen Kaiserzeit (Ovid, Vergil, Juvenal), die mittelalterlichen Mysterienspiele und Shakespeares Dramen bis zur amerikanischen Romantik, den französischen »poètes maudits« und dem Theater Bertolt Brechts».
(whr/sda/dpa)