Die grösste Truppenverlegung nach Osten seit dem Ende des Kalten Krieges sorgt bei manchen Leuten für ein mulmiges Gefühl. Provoziert das Säbelrasseln an der russischen Grenze den von Einkreisungsängsten geplagten Kreml? Stehen sich bald russische und NATO-Panzer gegenüber, droht eine bewaffnete Konfrontation – und womöglich ein neuer Weltenbrand? Diese 5 Dinge musst du zu den Truppenverlegungen wissen:
Die NATO selber baut derzeit im Rahmen der «NATO Enhanced Forward Presence» (eFP), zu Deutsch «Verstärkte Vorwärtspräsenz», eine Truppenmacht von vier Bataillonen mit insgesamt rund 4000 Soldaten auf:
Nicht als NATO-Operation läuft zudem seit 2014 die Operation «Atlantic Resolve». In deren Rahmen wurde eine komplette US-Kampfbrigade nach Europa verlegt. Die insgesamt 3500 Soldaten und 446 Kettenfahrzeuge – darunter Abrams-Kampfpanzer und Bradley-Schützenpanzer – sollen ab Februar 2017 in den baltischen Ländern, aber auch in Bulgarien und Rumänien stationiert werden.
Der Beschluss zur Verstärkung der militärischen Präsenz der NATO im Baltikum wurde auf dem Bündnisgipfel im Sommer 2016 gefasst. Er ist die Antwort auf die russische Annexion der Krim im März 2014 und die verdeckte russische Unterstützung der Separatisten in der Ost-Ukraine.
Putins Politik der Sammlung verlorener «russischer Erde» hat insbesondere die baltischen Staaten alarmiert, die wie die Ukraine ehemalige Sowjetrepubliken sind. In allen drei Staaten lebt zudem eine starke russischsprachige Minderheit.
Die baltischen Staaten, die sich lange als EU- und NATO-Mitglieder in Sicherheit wähnten, sind überdies beunruhigt, weil Moskau an den Grenzen zu den osteuropäischen NATO-Staaten eine Reihe grosser Manöver abgehalten hat. Mehrfach kam es auch zu russischen Flugmanövern über der Ostsee, nahe an der Seegrenze der baltischen Länder.
Zudem verlegte Russland letztes Jahr atomwaffentaugliche Iskander-M-Raketen in die Oblast Kaliningrad. Das ehemalige nördliche Ostpreussen, heute eine russische Exklave zwischen Polen und Litauen, ist das westlichste Gebiet Russlands. Von dort aus können die Raketen Berlin erreichen.
Trotz ihrer modernen Ausrüstung wären die Truppenkontingente im Baltikum kaum in der Lage, einem massiven russischen Angriff lange zu widerstehen. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, einen russischen Vormarsch derart zu bremsen, dass unterdessen genügend Streitkräfte aus den USA und Mitteleuropa ins Baltikum verlegt werden könnten.
Die Präsenz von NATO- und US-Truppen dient zudem als Versicherung: Zwar wäre bei einem russischen Angriff der NATO-Bündnisfall ohnehin gegeben, doch der Kreml müsste damit rechnen, dass Kampfhandlungen mit diesen Truppen-Kontingenten zu einer vollumfänglichen militärischen Reaktion der betroffenen Mächte führen.
Nein. Die im Baltikum und in Polen stationierten Streitkräfte sind allein schon quantitativ gar nicht in der Lage, die ungleich grössere russische Armee anzugreifen.
Gleichwohl betrachtet Russland die Verstärkung der NATO-Präsenz im Baltikum als Gefahr für seine nationale Sicherheit. Der russische Pressesprecher Dmitri Peskow sagte: «Wir sehen dies als eine Drohung. Diese Handlungen stellen eine Gefahr für unsere Sicherheit und Interessen dar.» Jedes Land nehme eine Ansammlung von ausländischem Militär an seinen Grenzen negativ auf, sagte Peskow. «Das ist genau, wie wir es aufnehmen.» Schon zuvor hat die Osterweiterung der NATO seit der Wiedervereinigung Deutschlands russische Einkreisungsängste verstärkt.
Eher nicht. Oberstleutnant Christian Huber, Kommandant des deutschen NATO-Bataillons, sagte, es gebe «keinerlei Anzeichen» dafür, dass der Ernstfall «greifbar» wäre – Litauen sei ein «Land im tiefsten Frieden».
Russland könnte zwar mit einem Blitzkrieg die baltischen Hauptstädte Tallinn, Riga und Vilnius in 36 bis 60 Stunden einnehmen, schätzen US-Militärs. Doch eine grossangelegte russische Offensive würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Krieg mit der NATO führen, den auch die Atommacht Russland nicht riskieren dürfte.
Weniger klar ist, wie das westliche Bündnis auf niederschwellige russische Aktionen regieren würde. Denkbar wäre zum Beispiel, dass Moskau versuchen könnte, die russischen Minderheiten in den baltischen Staaten aufzuhetzen und so bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen. Dies wiederum würde eine russische Intervention zum Schutz dieser Minderheiten vertretbar erscheinen lassen.
Ein drittes Szenario geht von einem russischen Angriff auf die «Suwalki-Lücke» aus. Dieser nur 65 Kilometer breite Korridor verbindet Polen mit Litauen; ein russischer Vorstoss auf diese einzige Verbindungsstelle zwischen Mitteleuropa und dem Baltikum könnte Letzteres isolieren und zu einer leichten Beute machen. Für die NATO wäre es danach nur mit einem verlustreichen Krieg möglich, die drei Staaten wieder zu befreien.
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg rollen deutsche Panzer durch Litauen. Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre das undenkbar gewesen – die Erinnerung an die Verbrechen der Wehrmacht waren lange Zeit noch durchaus präsent. Allerdings hatte der Furor der Nazis vornehmlich die Juden getroffen; allein in Litauen ermordeten sie 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung.
Die meisten Balten sahen ohnehin eher die Sowjetunion als Hauptgegner. Diese hatte die baltischen Länder nach dem Hitler-Stalin-Pakt annektiert und Teile der Bevölkerung nach Sibirien deportiert. Auch nach der Vertreibung der Wehrmacht liess Stalin bis 1949 zehntausende von Balten deportieren; zugleich wurden ethnische Russen und Ukrainer angesiedelt.
Die Vorgänge in der Ukraine haben die Litauer nachhaltig erschreckt. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat nicht viel zur Beruhigung beigetragen – Trumps isolationistische Neigungen und öffentlich vorgebrachte Zweifel am Sinn der NATO haben die Litauer zusätzlich verunsichert. Sie sehen deshalb die deutschen Soldaten, um deren Entsendung Litauen ausdrücklich gebeten hat, als Verbündete. Der ehemalige Präsident Vytautas Landsbergis sagte dazu: