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NSA-Whistleblower Thomas Drake: «Geheimdienste sind in ihrer Sammelwut wie Junkies auf der Suche nach dem nächsten Schuss»

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Bild: Getty Images Europe

NSA-Whistleblower Thomas Drake: «Geheimdienste sind in ihrer Sammelwut wie Junkies auf der Suche nach dem nächsten Schuss»

Thomas Drake war der erste NSA-Whistleblower, der in den USA der Spionage bezichtigt wurde. Er gilt als Vorbild Edward Snowdens. Ein Gespräch über die Psychologie hinter der Datensammelwut, die Unbarmherzigkeit Barack Obamas und den dystopischen Kinohit «Divergent».
08.03.2015, 09:4208.03.2015, 22:50
Roman Rey
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Es ist das Festival du Film et Forum International sur les Droits Humains in Genf. Zwischen Stuhl und Bank in einem Kino begegnen sich Thomas Drake und Ewen MacAskill. Die beiden verbindet eines: Edward Snowden. Drake ist Snowdens Vorgänger, MacAskill hat seine Leaks publiziert. «Endlich lerne ich Sie kennen», sagt Drake. Die beiden unterhalten sich über den Erfolg des Films «Citizenfour» und über ihren gemeinsamen Freund. «Wir haben alle gehofft, jemand wie Snowden würde auftauchen», sagt Drake.

Ein Grossteil seines Lebens war Thomas Andrews Drake für US-Geheimdienste tätig. Und die Entwicklung, die er um die Jahrtausendwende beobachtete, bereitete ihm Sorgen: Die NSA plante, im grossen Stil Daten von US-Bürgern zu sammeln. Der heute 57-Jährige prallte bei jeder internen Instanz ab, bei der er das verfassungswidrige Programm «Trailblazer» meldete. 

Als Informationen über das Programm an die Öffentlichkeit gelangt waren, wurde Drake als Spion angeklagt – eine bis dahin extrem ungewöhnliche Prozedur. Ein Tag vor Prozessbeginn wurde die Anklage fallen gelassen. Drake kam um eine Gefängnisstrafe herum, doch sein Leben glich einem Scherbenhaufen.

Herr Drake, sollte die Schweiz Edward Snowden Asyl gewähren? 
Thomas Drake:
 Wenn es ein Land gibt, das ihm aufgrund seiner eigenen Geschichte Zuflucht gewähren sollte, dann ist es die neutrale Schweiz. Aber ich möchte mich nicht in ihre Angelegenheiten einmischen.

Snowden befürchtet einen unfairen Prozess in den USA. 
Er ist unter einem Spionagegesetz angeklagt, das aus den Zeiten des Ersten Weltkriegs stammt. Es unterscheidet nicht zwischen einem Spion, der Informationen zum persönlichen Profit verkauft, und einem Whistleblower, der im Interesse der Gesellschaft handelt. Das Gesetz verunmöglicht es ihm, sich zu verteidigen. Ich weiss, wie es ist: Auch bei mir hat man sich auf dieses Gesetz berufen, nachdem ich auf Missstände in der NSA aufmerksam gemacht hatte.

«Ich hatte immer gehofft, jemand wie Snowden würde kommen.»

Was war der Preis, den Sie dafür bezahlt haben? 
Ich bin zwar ein freier Mann. Aber ich habe all meine Ersparnisse und meinen Job verloren. Du wirst radioaktiv. Wer will schon mit einem Whistleblower in Berührung kommen, dem man Spionage vorwirft? Dein Leben wird praktisch zerstört. 

Haben Sie es je bereut? 
Nein. Ich war bereit, mich selbst im Namen der Freiheit zu opfern. Ich war bereit, ins Gefängnis zu gehen. 

Dasselbe hat Edward Snowden gesagt. Waren seine Leaks eine Genugtuung für Sie? 
Immens. Ich habe immer gehofft, jemand wie Snowden würde kommen. Er hat gesehen, wie fruchtlos meine Bemühungen waren, das System von innen zu reformieren. Und kam zum Schluss, dass er nur eine Möglichkeit hatte: Aus dem Land zu fliehen und die Daten an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn andere Whistleblower nach mir kamen nicht so glimpflich davon wie ich. 

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Wie kommt das? 
Ich war der erste Fall dieser Art, ein Probefall für die Obama-Regierung. Nachdem sie es nicht geschafft hatten, mich zu verurteilen, verstärkten sie ihre Bemühungen und verfeinerten ihre Methoden. Kein Whistleblower hat es seither geschafft, sich die Regierung vom Hals zu halten. Bis auf Snowden. 

Hatten Sie die Hoffnung, dass sich die Lage nach dem Amtsantritt von Barack Obama verbessern würde? 
In seiner ersten Kampagne, die ihm zur Wahl verhalf, feierte Obama Whistleblower als Helden, als Stützen der Demokratie. Vier Jahre später warb er mit seiner harten Linie gegen Leaker für seine Wiederwahl.

Was ist passiert? 
Ich glaube, die Macht hat ihn geblendet. Nachdem er all die Mittel seines Vorgängers auf dem Silbertablett serviert bekommen hatte, dachte sich Obama: Hm, ich mag die Macht, die Bush hatte, ich möchte nicht mehr darauf verzichten. Und dann weitete er sie aus.

«Bei der Sammelwut geht es längst nicht mehr um die nationale Sicherheit. Die Verantwortlichen wollen aus den Informationen Profit schlagen.»

Sie sind kein Fan des Präsidenten.
Barack Obama ist äusserst unbarmherzig bei der Bestrafung aller, die irgendeine Form von Illoyalität gezeigt haben. Er ist viel schlimmer als Bush. Er nimmt es persönlich.

Sammelt die NSA auch Daten über mich? 
Das ist gut möglich. Wenn sie auf einem US-Server liegen, und das ist bei den meisten sozialen Medien der Fall, hat die NSA wohl Zugriff. Zudem tauschen die USA Daten mit Geheimdiensten anderer Länder. Ob so ein Abkommen mit der Schweiz existiert, kann ich nicht sagen. Mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst schon, das kann ich bezeugen. 

Die Schweiz ist ein interessanter Ort für Spionage. 
Ganz genau, und das ist ein wichtiger Punkt. Bei der Sammelwut geht es längst nicht mehr um die nationale Sicherheit. Die Verantwortlichen wollen aus den Informationen Profit schlagen. Ich spreche von wirtschaftlicher, industrieller und diplomatischer Spionage.  

«Unzugängliche Daten steigern ihr Verlangen sogar noch. Der psychologische Effekt der Massenüberwachung wird oft übersehen.»

Die Geheimdienste sind offenbar auf den Geschmack gekommen ... 
Sie sind wie Drogensüchtige. Sie können nie genug Daten bekommen und suchen immer nach dem nächsten Schuss. Es ist die institutionalisierte Form eines Junkies. Es ist egal, ob es effizient ist. Wir brauchen es einfach. 

Eine süchtige Institution. 
Das führt dazu, dass sie immer nach neuen Daten Ausschau halten, vor allem nach solchen, zu denen sie keinen Zugang haben. Das steigert ihr Verlangen zusätzlich. Dieser psychologische Effekt der Massenüberwachung wird oft übersehen. Es geht nicht mehr um die Frage: Was dient der Sicherheit, sondern: Wie viel können wir sammeln? 

Ohne konkretes Ziel?
Das ist das Problem. Ich mache mir gar nicht so grosse Sorgen, dass Obama die Daten missbraucht, sondern ein zukünftiger Präsident. Einer, der sagt: Hm, was kann ich mit dem ganzen Wissen anstellen? Es gibt einem Staat die Macht, die Bürger zu kontrollieren. Jemand stört? Machen wir sein Leben zur Hölle. Schauen Sie nur, was sie mit Martin Luther King getan haben.  

Sie denken, früher oder später wird es jemand ausnutzen? 
Wenn wir nach der Geschichte gehen, werden diese Informationen missbraucht werden, und zwar massiv. Darum ist das Recht auf Privatsphäre so wichtig. Geheimdienste sind zu mächtig, und sie überdauern das politische Establishment. Es gibt diesen Spruch in der NSA: Präsidenten kommen und gehen, NSA-Chefs kommen und gehen, aber die Organisation bleibt. Geheimdienste sind mittlerweile transnationale Gebilde, die unsere demokratischen Werte untergraben. 

«Geheimdienste sind zu mächtig, und sie überdauern das politische Establishment.»

Wo führt das hin? 
Es werden Erinnerungen an dunkle Kapitel der europäischen Geschichte wach: Deutschland im Zweiten Weltkrieg und schliesslich der Kalte Krieg. Die Stasi war unglaublich effektiv im Überwachen von fast 17 Millionen Bürgern. Die Menschen lebten in einer einfarbigen Gesellschaft und konnten niemandem trauen. Wollen wir das wirklich? Vertreter der jüngeren Generation, die verstehen wollen, worum es geht, sollen sich den Film «Divergent» (dt. Titel «Die Bestimmung») ansehen. 

video: youtube/SummitScreeningRoom

Dort lebt eine geschlossene Gesellschaft in fünf Fraktionen unterteilt.
Und eine junge, starke Frau passt nichts ins Muster. Sie ist divergent, sie weicht von der Norm ab. Das heisst, sie ist gefährlich. Ihre Widersacher argumentieren, Divergenz sei Teil der menschlichen Natur. Man müsse sie ausmerzen. Wow! Sie wollen nicht, dass die Leute menschlich sind. Der Film zeigt die Gefahren, denen wir gegenüberstehen, gibt aber auch Anlass zur Hoffnung.

Whistleblower

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Whistleblower
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quelle: x00303 / philippe wojazer
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