Zehn Jahre Haft, eine Geldstrafe von 200'000 Franken und 1000 Peitschenhiebe, aufgeteilt auf 20 Wochen: So lautete das Urteil gegen den Blogger und Menschenrechtsaktivisten Raif Badawi. Badawi hatte sich nach saudi-arabischem Recht der Beleidigung des Islam schuldig gemacht – wegen Kritik am fundamentalistischen Staats- und Religionsverständnisses des Landes.
Die Todesstrafe blieb dem 31-Jährigen wohl nur wegen seines Bekanntheitsgrads und dank seiner internationalen Kontakte erspart.
Bei den 1000 Peitschenhiebe zeigten die Richter keine Gnade – anfänglich. Denn nachdem Badawi die ersten 50 Hiebe über sich ergehen lassen musste, wurde die Bestrafung ausgesetzt. Zuerst mit der Begründung, sein Gesundheitszustand lasse eine Fortsetzung der Strafe vorerst nicht zu. Dann herrschte Funkstille. Seit zehn Wochen.
Über die Gründe wird gerätselt. Wahrscheinlich ist jedoch, dass der Aufschrei und die Proteste, die sich nach Bekanntgabe des Urteils gegen Badawi weltweit erhoben hatten, Saudi-Arabien zum Umdenken zwang. Drei Faktoren spielten eine Rolle:
Die Nichtregierungsorganisation Amnesty International (AI) hatte nach der Inhaftierung Badawis eine grossangelegte Kampagne gestartet. Mit Demonstrationszügen, Flyern, offenen Briefen und Petitionen versuchte AI, das Thema auf die internationale Agenda zu bringen. Anscheinend mit Erfolg.
#JeSuisRaif : 4 moyens d’agir maintenant en faveur de Raif Badawi | Amnesty International France http://t.co/jwwmRfqCC8
— Elizabeth Schils (@ElizabethSchils) 20. März 2015
Ensaf Haidar, die Ehefrau von Badawi, tritt immer wieder als unermüdliche Kämpferin für die Rechte ihres Mannes auf. Die 35-Jährige lebt mit den gemeinsamen Kindern in Kanada und koordiniert von da aus die Bemühungen, Badawi einen fairen Prozess zu garantieren.
Mittels Aufrufen an westliche Regierungen, unter anderen an die deutsche und österreichische Regierung, will Haidar den Druck auf Saudi-Arabien erhöhen. Zuletzt hatte Deutschlands Vizekanzler Sigmar Gabriel bei einem Staatsbesuch in Saudi Arabien die Menschenrechtslage im Land angesprochen. Mehr als Lippenbekenntnisse hat Gabriel aber nicht geleistet – öffentlich. Ob er hinter den Kulissen andere Töne anschlug, ist nicht bekannt.
Am 12. März erreichte der diplomatische Zwist zwischen Saudi-Arabien und Schweden den Höhepunkt. Saudi-Arabien zog seinen Botschafter aus Stockholm ab. Zuvor hatte Schweden einem geplanten Waffendeal mit dem Golfstaat eine Absage erteilt.
Hintergrund: Saudi-Arabien war erbost über die schwedische Kritik am politischen System und an der Menschenrechtssituation. Schwedens Aussenministerin Margot Wallström hatte im Januar ungewohnt deutlich die Rückständigkeit des saudi-arabischen Justiz- und Politapparat angeprangert.
Ob der internationale Druck aber tatsächlich Wirkung zeitigte, ist unklarer denn je. Vor einigen Tagen tauchten nämlich Gerüchte auf, dass die saudi-arabische Justiz einen neuen Prozess anstrebt.
Urgent:
i just know that the criminal Court send the case of Raif again to the high Court
http://t.co/pSY6oaGxJL
— Ensaf haidar (@miss9afi) 19. März 2015
Diesmal soll Badawi wegen Lossagung vom Islam verurteilt werden. Darauf steht nach saudi-arabischem Recht die Todesstrafe durch Enthauptung. Wie aus einem Statement von Badawis Familie hervorgeht, wird der Fall von demselben Richter behandelt, der bereits für das Urteil in erster Instanz verantwortlich ist. (wst)