Bis kurzem war Kim Yo Jong in Nordkorea weitgehend unsichtbar. Bei offiziellen Auftritten hielt sich die jüngere Schwester von Kim Jong Un im Hintergrund, obwohl ihr ein beträchtlicher Einfluss auf den Diktator nachgesagt wird. Sie soll verantwortlich sein für sein Image in der Öffentlichkeit. Im letzten Jahr wurde sie ins Politbüro gewählt, das Machtzentrum der Arbeiterpartei.
Nun erhielt Kim Yo Jong erstmals einen grossen Auftritt. Bei der Heimkehr von den Olympischen Winterspielen in Südkorea wurde die nordkoreanische Regierungsdelegation am Montag auf dem Flughafen von Pjöngjang mit militärischen Ehren empfangen. Angeführt wurde sie von Kim Yong Nam, dem protokollarischen Staatsoberhaupt, doch im Mittelpunkt stand Kim Yo Jong.
Später wurde ein Foto veröffentlicht, das Kim Jong Un mit den vier führenden Mitgliedern der Delegation zeigt. Darunter befindet sich auch seine Schwester, die seinen Arm umklammert. In einer Mitteilung drückte der Machthaber seine Zufriedenheit über den erfolgreichen Olympia-Trip aus. Er geizte dabei auch nicht mit Lob für den verfeindeten «Bruderstaat» im Süden.
Er sei dankbar für die «sehr beeindruckenden» und «aufrichtigen» Bemühungen Südkoreas als Gastgeber der nordkoreanischen Delegation, die zur Eröffnung der Winterspiele angereist sei, liess Kim über staatliche Medien mitteilen. Nun gelte es, «das warme Klima der Versöhnung und des Dialogs weiterzuführen, das durch den starken Wunsch und den gemeinsamen Willen des Norden und des Südens mit den Olympischen Winterspielen als Antrieb entstanden ist».
Aus Sicht des Nordens war die Reise von Kims Schwester in der Tat ein voller Erfolg. Sie traf sich viermal mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In und überreichte ihm eine Einladung von Kim Jong Un zu einem Besuch in Pjöngjang. «Ich möchte Sie bald in Pjöngjang wiedersehen», sagte Kim Yo Jong dem Präsidenten bei einem gemeinsamen Mittagessen am Samstag.
In südkoreanischen Medien stiess ihr Besuch auf viel Wohlwollen. Sie wurde unter anderem als «nordkoreanische Ivanka Trump» bezeichnet. Gerühmt wurde nicht zuletzt ihr bescheidender Auftritt. «Ich kann in der Öffentlichkeit nicht so gut reden», soll sie bei einem Dinner in einem Luxushotel in Seoul gesagt haben. Sogar über eine mögliche Schwangerschaft wurde spekuliert.
Nicht alle jedoch waren begeistert. Eine konservative Zeitung bezeichnete Kim Yo Jong gemäss der «New York Times» als «Atombombe mit einem Lächeln». Kritiker warnen, Nordkorea wolle mit seiner Charmeoffensive einen Keil zwischen Südkorea und die USA treiben. Ein Kolumnist der «Washington Post» verglich die jüngere Kim mit Paula Hitler, der Schwester von Adolf.
Angesichts der Kritik bemühte sich Präsident Moon, den Ball flachzuhalten. Der erste Schritt zu einer friedlichen Lösung auf der koreanischen Halbinsel sei vollbracht, teilte seine Regierung am Montag mit. Es gebe aber weiterhin Differenzen beim nordkoreanischen Atomprogramm: «Derzeit gibt es keinen Fortschritt bei der Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel».
Aus den USA kommen zwiespältige Signale. Vizepräsident Mike Pence hatte Kim Yo Jong bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele am Freitag komplett ignoriert, obwohl er nur eine Armlänge von ihr entfernt sass. Beim Einmarsch der gemeinsamen koreanischen Mannschaft erhob er sich nicht vom Sitz, was auch von südkoreanischen Medien als Affront empfunden wurde.
Auf dem Rückflug in die USA betonte Pence in einem Interview mit der «Washington Post», man müsse weiterhin «maximalen Druck» auf Nordkorea ausüben und noch intensivieren. Dazu gehöre eine weitere Verschärfung der Sanktionen. Gleichzeitig schloss Donald Trumps Vize Gespräche mit Nordkorea nicht aus: «Wenn sie reden wollen, werden wir reden.»
Die Sanktionen gelten als weiterer Grund für Kim Jong Uns Charmeoffensive. Zwar bemüht sich Nordkorea, sie zu umgehen, dennoch dürften sie die Wirtschaft des Landes empfindlich treffen, und das in einer Zeit, in der sich Kim um eine sanfte Liberalisierung bemüht.
Einen Propagandacoup kann sein Regime jedenfalls bereits verbuchen. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), erklärte der Agentur Reuters, er wolle nach Abschluss der Winterspiele nach Nordkorea reisen. «Wir suchen noch ein passendes Datum, damit wir den Dialog auf der sportlichen Seite weiterführen können», sagte Bach.