Jetzt jubeln sie. Jetzt dürfen sie jubeln. «Wir haben gewonnen», schreit Daniel Businger und springt wie wild durch den ganzen Raum. Sein Anzug zeigt eine amerikanische Flagge, auf seinem roten Baseball-Cap steht in grossen Buchstaben «Make America Great Again», der Slogan von Donald Trump. Unterdessen hat er Tränen in den Augen. «Als Republikaner muss ich in San Francisco immer lügen. Ich muss sagen, dass ich Clinton wähle, dass Trump ein Rassist sei. Jetzt darf ich mich freuen – jetzt gewinnen endlich mal wir!»
Die Präsidentschaftswahlen werden in ganz San Francisco gezeigt, in fast allen Bars, sogar in einigen Kino-Sälen. Aber vermutlich nur an wenigen Orten läuft wie hier der konservative Fernsehsender Fox News: San Francisco ist durch und durch demokratisch – genauso wie der Bundesstaat Kalifornien selbst. Die wenigen Republikaner in der Stadt haben sich im Hauptquartier von Twitter versammelt und schauen gemeinsam zu, wie Trump immer mehr Staaten gewinnt. Nach jedem neuen Resultat wird der Jubel grösser. Dass sie wirklich gewinnen werden, das hätte hier niemand erwartet. Trump wird der nächste Präsident – für das seit Jahrzehnten demokratisch wählende Kalifornien ist es ein Schock.
Während die Republikaner im Twitter-Büro feiern, herrscht einige Strassen weiter pures Entsetzen. In der Bar «620 Jones» haben sich die Jungen Demokraten von San Francisco versammelt. Einige schweigen, einige schreien. Viele diskutieren darüber, in welches Land sie auswandern könnten. Hillary Clinton hat verloren. Wie man mit der Situation umgehen soll, das weiss hier niemand. Und wie die Stadt reagieren wird, das ist vor allem in den sozialen Medien ein grosses Thema: «Ich gehe jetzt sicher nicht alleine auf die Strasse», schreibt jemand auf Facebook. «Es wird Gewalt geben, es wird Eskalationen geben. Nehmt ein Taxi nach Hause!» Ob solche Sorgen angebracht sind, ist schwer abzuschätzen. Es zeigt jedoch, wie schlimm diese Wahl für die Bewohner San Franciscos tatsächlich ist. Kurz nach dem definitiven Wahlentscheid finden bereits Proteste vor dem Gebäude der Republikaner statt. Die Wahlparty muss frühzeitig abgebrochen werden.
Dass es knapp werden könnte, hat eine Clinton-Unterstützerin bereits am frühen Morgen geahnt. Nach dem Abgeben ihrer Stimme sagte sie: «Ich selber kenne niemanden, der Trump wählen könnte. Aber diesen Amerikanern kann man nicht trauen.» San Francisco ist in einzelne Wahlkreise unterteilt, die jeweils ein eigenes Wahllokal haben. Das sind häufig private Garagen, die mit einfachen Mitteln zum offiziellen Wahllokal umfunktioniert werden.
In einzelnen Vierteln sind zeitweise weit über hundert Personen angestanden, um an der Urne zu wählen. Mit dem Kaffeebecher in der linken und dem Smartphone in der rechten Hand haben sie mehr als eine Stunde in der Schlange verbracht. Wieso stimmen nicht viel mehr Personen bequem per Post ab? «Nun», sagt Wahlleiter Steven mit tiefer Stimme und hämischen Grinsen, «das ist wohl einfach die amerikanische Art. Es gehört dazu – wir mögen das Drama.» Damit beschreibt er die folgende Wahlnacht sehr treffend.
So gross wie dieses Jahr sei der Andrang noch nie gewesen, erzählt er. Das liegt einerseits am polarisierenden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, andererseits auch an den diversen anderen Vorlagen, über die heute abgestimmt wurde. Unter anderem geht es dabei um die Legalisierung von Cannabis (angenommen) und das Stimmrechtsalter 16 in der Stadt San Francisco (abgelehnt). Beim überraschenden Ausgang der Präsidentenwahl rücken diese Ergebnisse aber in den Hintergrund. San Francisco muss sich jetzt überlegen, wie sich die durch und durch demokratische Stadt mit dem Präsidenten Donald Trump arrangieren kann.