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Südostasien

Rohingya-Krise in Myanmar und Bangladesh: 7 Fragen und Antworten zur

Wie buddhistische Mönche Hass schüren: 7 Fragen und Antworten zur Rohingya-Krise

Bild: EPA/EPA
19.09.2017, 07:2719.09.2017, 15:56
William Stern
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Die UNO-Hochkommissarin sprach von einem «Musterbeispiel einer ethnischen Säuberung», Nichtregierungsorganisationen warnen seit Wochen vor einer humanitären Katastrophe. Türkei, Bangladesch und andere muslimische Länder appellieren an die internationale Gemeinschaft, nicht länger tatenlos zuzusehen: Dennoch überqueren Tag für Tag Hunderte Rohingya die Grenze von Myanmar nach Bangladesch – auf der Flucht vor der systematischen Verfolgung durch das Militär. 400'000 Menschen sind es nach nach Angaben der UNO seit August, darunter viele Frauen und Kinder. Was passiert da eigentlich genau in Myanmar?

Gliedstaat Rakhine im Westen Myanmars.

Wer sind die Rohingya?

Die Rohiynga sind eine ethnische Minderheit, die mehrheitlich im Westen Myanmars (früher: Burma) leben. Der überwiegende Teil ist muslimischen Glaubens und unterscheidet sich damit von der buddhistischen Mehrheit im Vielvölkerstaat Myanmar. Die Rohingya werden staatlich nicht anerkannt, somit bleibt ihnen der Zugang zu Bildungseinrichtungen, sozialen Diensten und dem Staatsdienst verwehrt. Auch die Bewegungsfreiheit ist für die Rohingya eingeschränkt. Wie viele Rohingya genau im Land leben, ist unklar, Schätzungen gehen von 1 bis 1,3 Millionen Menschen aus.   

Über die historischen Hintergründe der Rohingya existieren widersprüchliche Darstellungen. Die offizielle Version in Myanmar lautet, dass die Rohingya mehrheitlich nach der Abspaltung Bangladeschs von Indien ins Land gekommen sind. Deshalb hätten sie keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft. Es ist aber historisch verbürgt, dass es bereits im 16. Jahrhundert muslimische Kaufleute in Myanmar gab. Im 19. Jahrhundert kam es während der Kolonialisierung durch die Briten zu einer grossen Einwanderungswelle. 

Die Rohingya werden vielfach als «grösste staatenlose Minderheit der Welt» bezeichnet. Die UNO beschrieb sie 2012 als «die am meisten verfolgte Minderheit der Welt».

Rohingya in Burma: Flüchtling im eigenen Land

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Rohingya in Burma: Flüchtling im eigenen Land
Die Rohingya fühlen sich als muslimische Burmesen. Die Militärregierung in Yangon stempelt sie jedoch als artfremde «Immigranten» ab.
quelle: epa/epa / nyunt win
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Wie ist es zur jüngsten Eskalation gekommen?

Das Verhältnis zwischen den muslimischen Rohingya und der buddhistischen Mehrheit des grössten Landes in Südostastien ist seit langem angespannt. Seit der Unabhängigkeit 1948 werden die Rohingya von den Behörden marginalisiert, vertrieben und verfolgt. In den Jahren 1978, 1991/92, 2012 und 2015 kam es zu gewaltsamen Übergriffen durch Regierungstruppen. Im Oktober 2016 eskalierte die Lage erneut, nachdem Mitglieder der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA), einer angeblich von Saudi-Arabien unterstützten und bewaffneten Widerstandsarmee, die die nationale Anerkennung fordert, mehrere Grenzposten im Gliedstaat Rakhine angegriffen hatten. Armeeeinheiten antworteten mit Vergeltungsaktionen in muslimisch bewohnten Dörfern, Augenzeugen berichteten von willkürlichen Exekutionen, Massenvergewaltigungen, Verschleppungen und Folter.

Aufnahmen von brennenden Rohingya-Dörfern im Westen Myanmars.
Aufnahmen von brennenden Rohingya-Dörfern im Westen Myanmars.bild: Amnestyinternational

Am 25. August 2017 kamen bei einem Angriff durch ARSA-Milizen auf mehrere Polizeiposten 71 Menschen ums Leben. Das burmesische Militär startete daraufhin die bislang härteste Offensive gegen die Rohingya. 400'000 Menschen wurden gemäss Berichten von NGOs vertrieben, bis zu 3000 getötet. Was sich in Rakhine tatsächlich abspielte, ist schwer zu beurteilen, die burmesischen Behörden haben das Gebiet faktisch abgeriegelt. Geflüchtete berichten von Übergriffen auf Zivilisten, abgebrannten Dörfern und Helikoptern, die auf Menschen geschossen haben.

Beobachter gehen davon aus, dass Myanmar das Ziel verfolgt, die Rohingya vollständig aus dem Land zu vertreiben. UNO-Sonderberichtserstatterin Yanghee Lee sprach jüngst von einem «Musterbeispiel für ethnische Säuberung».

Bild: ABIR ABDULLAH/EPA/KEYSTONE

Wer schürt den Konflikt?

Im Vielvölkerstaat Myanmar leben über 135 ethnische Minderheiten, die meisten davon sind buddhistischen Glaubens. Ressentiments gegen die muslimischen Rohingya sind auch in der Bevölkerung verbreitet. Buddhistische Mönche haben in der Vergangenheit Hass gegen die muslimische Minderheit geschürt: Mit flammenden Reden und blutrünstigen Plakaten warnen sie davor, dass der Islam den Buddhismus im Land verdrängen werde. Dass gerade einmal vier Prozent der 53 Millionen Burmesen muslimischen Glaubens sind, spielt keine Rolle. Die buddhistischen Fanatiker ernten die Früchte aus der weitverbreiteten Angst vor dem islamischen Terrorismus. Ein Myanmar-Experte erklärte in der «NZZ am Sonntag» (Artikel online nicht verfügbar), der Hass auf die Muslime sei der kleinste gemeinsame Nenner im Vielvölkerstaat. 

Daneben vertreten andere Beobachter die Theorie, dass hinter der jüngsten Vertreibungswelle ökonomische Motive lägen. Der Rohstoffboom habe in Rakhine und anderen Gliedstaaten zu einem «rigorosen Abbau» geführt, schreibt die WOZ, die ansässige Bevölkerung sei da im Weg. «Der Rohstoffabbau ist am einfachsten, wenn keine Menschen mehr da sind», sagt die investigative Journalistin Mahi Ramakrishnan (Artikel online nicht verfügbar). 

Unklar ist auch, ob der pakistanische Geheimdienst ISI seine Finger im Spiel hatte. Gemäss Medienberichten stand ein hochrangiges ISI-Mitglied in Kontakt mit dem Anführer der Rohingya-Widerstandsarmee ARSA, um die von Kofi Annan geleiteten Friedensverhandlungen zu torpedieren. Allerdings sind diese Informationen nicht bestätigt. Die indische Regierung gab am Dienstag bekannt, dass sie 40'000 Rohingya wegen Terrorgefahr abschieben will.

Weshalb fliehen die Rohyngya nach Bangladesch?

Mehrere Hunderttausend Rohingya flüchteten in den letzten Wochen aus Myanmar nach Bangladesch. Das muslimische Land hatte schon zuvor viele Rohingya aufgenommen, insgesamt leben circa 900'000 Rohingya in Bangladesch, viele davon in Flüchtlingslagern. Noch ist die Grenze offen, wie Reto Rufer, Asienexperte bei Amnesty International, gegenüber watson sagt. Aber das könne sich angesichts der grossen Zahl an Geflüchteten schnell ändern. «Die bengalische Grenzregion ist extrem arm, wenn der Flüchtlingsstrom anhält – und danach sieht es aktuell aus –, dann könnte die Unterstützungsleistung durch die Zivilbevölkerung in Ablehnung und Ressentiments umschlagen.» 

Warum laviert die Nobelpreisträgerin?

epa06201620 (FILE) - Myanmar's State Counselor Aung San Suu Kyi talks to rural youth during her peace talk conference meeting with Myanmar rural youth at the Myanmar Convention Center - 2 in Nayp ...
Nobelpreisträgerin und informelle burmesische Staatschefin Aung San Suu Kyi.Bild: EPA/EPA

Als die Nobelpreisträgerin und Politikerin Aung San Suu Kyi bei den Wahlen 2015 einen überwältigenden Sieg errang, waren sich viele sicher: Myanmar sollte endlich reif für die Demokratie werden – und San Suu Kyi das strahlende Aushängeschild. 15 Jahre hatte die «Lady» in Rangung im Hausarrest gesessen, wegen ihres Widerstands gegen die Militärjunta wird sie in einer Reihe mit Nelson Mandela und Mahatma Gandhi genannt.

Bei der jüngsten Eskalation aber sieht sich die Nobelpreisträgerin heftiger Kritik ausgesetzt. Lange hat sich Suu Kyi, die als informelle Staatschefin amtet, geweigert, die Gewaltwelle gegen die Rohingya zu verurteilen. Sie sprach vielmehr von einer gerechtfertigten Militäraktion gegen «Terroristen».

Erst am Dienstag hat Suu Kyi in einer mit Spannung erwarteten Fernsehansprache die Vorkommnisse erstmals öffentlich verurteilt. Sie wandte sich gegen die «Menschenrechts-Verletzungen» im Bundesstaat Rakhine und versicherte, dass sie mit «allen Menschen» mitfühle, die von dem Konflikt betroffen seien. Ausserdem erklärte sie sich bereit, ausländische Beobachter ins Land zu lassen.

Wann unternimmt die internationale Gemeinschaft etwas?

Die Hilfsappelle von Geflüchteten, NGOs und Politikern scheinen bislang wirkungslos zu verhallen. Myanmar spricht weiterhin von einer «Militäraktion gegen Terroristen». Bis jetzt gebe es keine Signale seitens Myanmar, dass die Gewaltwelle bald abebben werde, so Rufer.

epa06210711 An overview of the crowded camp near Tangkhali, Ukhiya, Bangladesh, 17 September 2017. According to UNHCR more than 400 thousand Rohingya refugees have fled Myanmar from violence over the  ...
Rohingya-Flüchtlingslager in Tangkhali Ukhiya, Bangladesch. Bild: EPA/EPA

Was sind die Folgen für die Region?

Die Beziehungen zwischen den Staaten Bangladesch und Myanmar waren zuvor schon angespannt. Jetzt, nach der gewaltsamen Vertreibung von knapp einer halben Millionen Menschen, dürften sich diplomatische Bemühungen noch schwieriger gestalten. Ob die Rohingya-Krise zu einer politischen Destabilisierung in der Region Südostasien führe, sei schwierig abzuschätzen, so Amnesty-Experte-Rufer. Das Zusammenleben zwischen den Religionen dürfte sich aber mittelfristig verschlechtern. «Religiöse und nationalistische Fundamentalisten sind nicht nur in Myanmar auf dem Vormarsch, sondern auch in Malaysia, Thailand, Pakistan und Indien. In all diesen Ländern wird der Hass auf religiöse Minderheiten geschürt, oft auch mit Unterstützung der Regierung.»

Video: srf
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63 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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René Obi (1)
19.09.2017 08:32registriert Januar 2016
Safe us from religion.
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Energize
19.09.2017 12:04registriert Februar 2015
Erst wenn wir sämtliche Religionen als das abtun was sie sind - erfundene Geschichten mit schlechten und guten Moralvorstellungen - können wir uns als Zivilisationen weiterentwickeln. Solange wir Bücher als absolute Wahrheiten interpretieren werden wir stehenbleiben oder uns gegenseitig vernichten. Dabei spielt die zugrundeliegende Religion fast keine Rolle.
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so wie so
19.09.2017 12:57registriert Juli 2015
Es gibt mir zu denken, dass Muslime offenbar immer weniger toleriert werden. Es scheint, dass niemand mehr mit ihnen zusammen leben will. Über die Gründe kann man sich streiten.
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