Sag das doch deinen Freunden!
Benoît Violier hatte alles erreicht, was es als Koch zu erreichen gibt auf dieser Welt. Er hatte die höchste Auszeichnung, also drei Sterne im Guide Michelin, erhielt 19 Punkte des Restaurantführers Gault-Millau und war 2012 vom gleichen Organ als «Koch des Jahres» ausgezeichnet worden. Noch im Dezember ernannte «La Liste», ein Ranking des französischen Aussenministeriums und Tourismusbüros, das Hôtel de Ville in Crissier zum besten Restaurant der Welt. Wer einen Tisch bei Violier wollte, musste schon mal ein Jahr im Voraus reservieren. Am Tag vor der Vorstellung des neuen Guide Michelin in Frankreich brachte sich Violier um.
Auf dem Weg in ähnliche Sphären der Spitzengastronomie war auch der Basler Koch Friedrich Zemanek. Mit seinem Restaurant Matisse arbeitete er auf Spitzenplätze in den Rankings der Gastroführer hin. 2012 erhielt er auf Anhieb 14 Punkte von Gault-Millau. Er hatte 16 Punkte erwartet. Noch am Erscheinungstag der entsprechenden Ausgabe des Gault-Millau brachte sich Zemanek um.
Tragischer Vorgänger der beiden war der französische Spitzenkoch Bernard Loiseau. Er hielt mit seinem Restaurant im burgundischen Saulieu wie Violier drei Sterne im Guide Michelin und 19 von 20 möglichen Punkten im Gault-Millau. 2003, nachdem der Gault-Millau ihn auf 17 Punkte zurückgestuft hatte und Gerüchte eines Sterne-Verlustes im Guide Michelin die Runde machten, brachte sich Loiseau um.
Die Suizide von Spitzenchefs werfen jeweils für kurze Zeit ein Schlaglicht auf eine Welt, die Normalsterblichen im Alltag ansonsten verborgen bleibt: Die Welt der Spitzengastronomie, wo perfekte Rankings lebenswichtige Qualitätssiegel darstellen, Details über Erfolg oder Untergang entscheiden und mit riesigem Aufwand nur wenig Gewinn erwirtschaftet wird.
Nach dem Tod Loiseaus beschwerte sich Paul Bocuse über die Tester der Restaurantführer. Sie seien wie Eunuchen, wüssten wie es geht, könnten es aber nicht, und sie entschieden doch über die Schicksale von Restaurants und deren Chefs, die nach Rückstufungen in den Rankings oft vor existenziellen Problemen stünden.
Die Spitzengastronomie ist teuer, braucht viel Personal und wirft wenig ab. Französische Spitzenrestaurants machen laut ihren Chefs zwischen 0,2 und 0,5 Prozent Rendite. Bleiben auch nur wenige Besucher aus, weil die Spitzengourmets andere Etablissements bevorzugen, klaffen sofort Löcher in der Kasse. Zahlreiche französische Spitzenköche gaben im Nachgang der Tragödie um Loiseau ihre Sterne zurück und tauschten ihre Spitzenrestaurants gegen Brasserien und Imbisse an guten Lagen ein, die weniger glamourös waren, dafür zuverlässig Gewinn abwerfen.
Hinzu kommt der persönliche Leidensdruck der verantwortlichen Chefs, die weltweit auf Spitzen-Niveau kochen. Sie tragen die Verantwortung für die bis zu 100 Angestellten und müssen sicherstellen, dass Essen und Service Tag für Tag perfekt sind, weil niemand weiss, wann die Tester der grossen Gastro-Führer einkehren. Und dann ist da noch der Wettbewerb in der eigenen Peer-Group, unter den Spitzenköchen selbst, deren Können ausser den Restaurantkritikern gar niemand mehr richtig beurteilen, geschweige denn messen kann. «Was, wenn du plötzlich ein Michelin-gekrönter Koch bist? Von da an wird ständig Perfektion verlangt und ich frage mich, ob diese Perfektion nicht hin und wieder gefährlich obsessiv wird», sagt der britische Gastrokritiker im Dokumentarfilm «Michelin Stars: The . Madness of Perfection»
Kommen wirtschaftlicher Druck, ständige Erwartung kulinarischer Perfektion und private Probleme zusammen, dann wird es für die Spitzenköche emotional eng. Der Griff zu Alkohol und Drogen sind in der Gastrobranche weit verbreitet. Der schottische Starkoch Gordon Ramsay fällt immer wieder durch Alkoholeskapaden auf. Der amerikanische TV-Koch und Autor des Bestsellers «Kitchen Confidential», Anthony Bourdain, hielt sich während seiner Zeit in Grossküchen mit Heroin über Wasser, und die englische TV-Köchin Nigella Lawson gab zu, während langer Jahre kokainabhängig gewesen zu sein.
Die Verbreitung von Aufputschmitteln in der Gastrobranche und besonders in den Grossküchen ist so gross, dass sie bereits zum Klischee verkommen ist. Kürzlich machte ein slowakischer TV-Koch Schlagzeilen, der während einer Live-Schaltung in seiner Küche grinsend mit einer gerollten 500-Euro-Note und Puderzucker-Linien auf der Ablage posierte – ein Kalauer, der ihn den Job kostete.
Angesichts des rauhen Klimas, das in den Grossküchen herrscht, verwundert der Einsatz von Drogen nicht. Küchenmannschaften heissen nicht umsonst Küchenbrigaden, sind männlich dominiert und militärisch geführt. Beleidigungen, Erniedrigungen und Schläge sind offenbar dermassen an der Tagesordnung, dass kürzlich sogar das Zürcher Bezirksgericht eine Köchin abblitzen liess, die den Chefkoch eines Zürcher Edelrestaurants angezeigt hatte. Dieser hatte sie mit dem Tod bedroht, sexuell belästigt und tätlich angegangen. Die Begründung des Gerichts für den Freispruch: Mehrere Zeugen hätten ausgesagt, dass diese rauhen Umgangsformen in besagter Küche Usus seien.
Star- und Skandalköche wie Ramsay, Bourdain und Lawson hatten persönliche Probleme, die auch von den langen Arbeitstagen herrührten, die selten nach sechs Uhr morgens auf dem Markt beginnen und kaum je vor ein Uhr morgens enden. Kommt in solch einer Situation noch die Herabstufung durch einen der grossen Restaurantführer hinzu, dann ist das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Besonders dann, wenn sie sich zuvor für neue Restaurants, bessere Einrichtung oder modernere Küchen verschuldet hatten, um den gestiegenen Ansprüchen gerecht zu werden und mit der Konkurrenz mithalten zu können.
Beim manisch-depressiven Loiseau war dies der Fall, wie im Nachhinein bekannt wurde und auch Violier vom Hôtel de Ville in Crissier rüstete auf, nachdem er das Restaurant vor drei Jahren von seinem Vorgänger Philippe Rochat übernommen hatte. «Ich will die schönste Küche der Welt haben», sagte Violier und investierte 1,3 Millionen in seinen Arbeitsplatz von der Grösse eines Basketballplatzes.
Ob medizinische, finanzielle oder persönliche Probleme Violier letztlich in den Freitod trieben oder eine Kombination von allen dreien, wird sich vielleicht noch herausstellen. Sicher ist, dass die Kollegen über Violier dasselbe sagen, wie über seine zuvor verstorbenen Leidensgenossen: «Er hatte ein grosses Talent und ein wahnsinniges Potenzial. Er machte immer einen perfekten Eindruck.»
(thi)