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Warum die Schweiz auch ein kleines bisschen «mitschuldig» ist am Putschversuch in der Türkei

Warum die Schweiz auch ein kleines bisschen «mitschuldig» ist am Putschversuch in der Türkei

17.07.2016, 19:39
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epa05427110 Turkish soldiers stand guard at the Taksim Square in Istanbul, Turkey, 16 July 2016. Turkish Prime Minister Yildirim reportedly said that the Turkish military was involved in an attempted  ...
Soldaten am zentralen Taksim Square in Istanbul.Bild: SEDAT SUNA/EPA/KEYSTONE

Als am späten Freitagabend in Istanbul die Panzer auf der Bosporus-Brücke auffahren und einen Putsch in der Türkei ausrufen, ist auch die Schweiz daran beteiligt. Auch beim Putsch in Burkina Faso vergangenes Jahr, und in Niger – kurz: bei allen Putschs überhaupt. Nicht in einem politischen oder gar militärischen Sinn, aber in einem etymologischen.

Der Begriff «Putsch» stammt gemäss Duden aus dem Schweizerdeutschen, abgeleitet von «Bütsch», was soviel wie heftiger Stoss, Zusammenprall, Knall bedeutet.

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«[...] keck bewegte sich das stubenmädchen im getümmel, man sah, dasz es ihm auf einige putsche mehr oder weniger nicht ankam.»
Jeremias Gotthelf

Aus dem «wahrscheinlich lautmalerischen» Stoss und Zusammenprall (Duden) entwickelte sich im 16. Jahrhundert ein Synonym für einen «plötzlichen, aber nicht nachhaltigen Anstoss, Anlauf zu einem Unternehmen», wie das Schweizerische Idiotikon schreibt. Einen kleinen Seitenhieb auf das Wesen der Zürcher kann sich der Verfasser nicht verkneifen: Nicht nachhaltig nämlich deshalb, weil dies dem «Naturell des Zürchers entspricht».

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bild: screenshot/idiotikon

Von Zürich aus brach der Begriff im 19. Jahrhundert schliesslich zu seinem Siegeszug auf: Zuerst in den deutschsprachigen Raum, später auch in englische Sprachgefilde. Auslöser war der Züriputsch, der 1839 zum Fall der liberalen Regierung und zur Installation einer reaktionären Verfassung führte. Die Berichterstattung über den Umsturz führte zur Verbreitung des Begriffs Putsch, der seither auch im Hochdeutschen für «von einer kleineren Gruppe [von Militärs] durchgeführter Umsturz[versuch] zur Übernahme der Staatsgewalt» steht. 

Züriputsch: Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen auf dem Paradeplatz, im Hintergrund das alte Hotel Baur, heute Savoy Baur en Ville.
Züriputsch: Kämpfe zwischen Aufständischen und Regierungstruppen auf dem Paradeplatz, im Hintergrund das alte Hotel Baur, heute Savoy Baur en Ville.

Im Englischen hat sich der Ausdruck im 20. Jahrhundert ebenfalls etabliert. Der gescheiterte Münchner Umsturz von 1923, als eine Gruppe von reaktionären Verschwörern um Hitler, Ludendorff, Göring und Röhm versuchte, die sozialistische Räterepublik aus dem Amt zu kegeln, ist Briten und Amerikanern als «Beer-Hall-Putsch» geläufig – bezeichnend für die Priorisierung der Anglophonen. Im Münchner Bürgerbräukeller verkündete Hitler am 8. November die nationale Revolution.

NSDAP-Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller.
NSDAP-Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller.bild: wikimediacommons/bundesarchiv

Der eine oder andere Deutschschweizer wird das Wort auch heute noch in seiner ursprünglichen Bedeutung verwenden – speziell während der Chilbi-Saison. Dann nämlich, wenn man versucht, mit den knallbunten Elektroautos – oder eben «Putschautos» – seine meist minderjährigen Mit-Verkehrsteilnehmer aus der Spur zu drängen und ihnen ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma zuzufügen. (wst)

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kronrod
18.07.2016 08:18registriert März 2015
Weiteres fun fact: die Türkei wollte 1912 ein modernes Zivilrecht einführen und das meiste vom Schweizer ZGB abgeschrieben. Wir hatten offenbar schon damals ein überdurchschnittlich gut strukturiertes und ausgewogenes Rechtssystem. Vielleicht hätte die Türkei am besten auch gleich die Verfassung mitkopiert...
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Bulwark
18.07.2016 09:10registriert April 2015
Muss man eigentlich immer überall die Schweiz mit rein ziehen? Kommt mir so vor als würden alle immer nur suchen, bis sie einen Grund finden um die Schweiz zu einem winzig kleinen Teil für etwas verantwortlich zu machen... Schade eigentlich...
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