Spanien erlebt in diesem Jahr eine Invasion von Touristen. In der Metropole Barcelona sowie in den Badeorten an der Mittelmeerküste und auf den Balearen trampeln sich die Feriengäste gegenseitig auf den Füssen herum. Viele Einheimischen haben diesen Ansturm mehr als satt. In Barcelona sind Aufschriften und Graffiti wie «Tourist go home» keine Seltenheit mehr.
Ein Zufall ist dieser für die Wirtschaft erfreuliche Tourismusboom nicht. Spanien gilt als sicheres Reiseland, im Gegensatz zu Destinationen wie Ägypten, Tunesien und die Türkei. Auf den ersten Blick war diese Annahme nachvollziehbar. Seit den Bombenexplosionen in vier Vorortszügen in Madrid am 11. März 2004 blieb das Land von islamistischem Terror verschont.
Mit 191 Toten ist es bis heute der blutigste Terroranschlag im Europa des 21. Jahrhunderts. Die sozialistische Regierung zog darauf die spanischen Truppen aus dem Irak ab. Damit schienen sich die Iberer vom radikalislamischen Terror «freigekauft» zu haben. Es war eine trügerische Ruhe, wie die Anschläge in Katalonien nun gezeigt haben. Spanien blieb im Visier der Dschihadisten.
Dabei ist man keineswegs untätig geblieben. Die Terrorabwehr wurde personell massiv aufgestockt. Mehr als 3000 Personen sind heute in diesem Bereich tätig. Sie haben mehr als 1000 Personen auf dem Radar, die als terrorverdächtig gelten. Gegen 259 Personen wurden laut der Zeitung «El Pais» Verfahren eingeleitet. 150 Kämpfer sollen nach Syrien gereist sein.
Allein 2015 wurden in Spanien 187 Terrorverdächtige verhaftet, die zweithöchste Zahl in Europa hinter Frankreich. Im Mai wurden in Madrid zwei Marokkaner festgenommen, die einen Anschlag mit einem Sattelschlepper nach dem Vorbild von Nizza geplant haben sollen. Ein ähnlicher Attentatsplan wurde im letzten Dezember im Norden des Landes vereitelt.
Es erstaunt daher nicht, dass für die spanischen Behörden ein neuer Anschlag nur eine Frage der Zeit war. Als gefährdet galten gemäss «El Pais» die beiden Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika. Geheimdienstberichte warnten nach dem Anschlag auf das Ariana-Grande-Konzert in Manchester auch vor möglichen Zielen in der Hauptstadt Madrid. Und in Barcelona.
Die Ermittlungsarbeit verhinderte bislang ein neues Blutbad. Spaniens Muslime gelten zudem als relativ gut integriert. Es gibt bei uns keine Ghettos wie in Frankreich, sagte ein Geheimdienst-Analyst. Ihr Bevölkerungsanteil ist mit 2,1 Prozent tiefer als in Grossbritannien, Deutschland oder Frankreich. Allerdings existieren gerade in Katalonien auch zahlreiche salafistische Gruppen.
Für Fanatiker ist Spanien auch aus historischen Gründen ein bevorzugtes Ziel. Fast die gesamte iberische Halbinsel war im Mittelalter von den «Mauren» aus Nordafrika besetzt. Zeitweise drangen sie bis ins heutige Frankreich vor, wurden aber von den Franken über die Pyrenäen zurückgedrängt. 1492 wurden sie durch die Reconquista endgültig vertrieben.
Dschihadistische Gruppen wie der «Islamische Staat» träumen ihrerseits von der Rückeroberung Spaniens. Bereits im letzten Sommer rief der «IS» zu Angriffen auf touristische Einrichtungen auf. Spanien ist somit nur bedingt ein sicheres Reiseland. Allerdings kann man sich fragen, wo es heutzutage überhaupt sicher ist.