Nun hat Madrid Ernst gemacht: Erstmals seit Inkrafttreten der spanischen Verfassung wird Artikel 155, «nukleare Option» nennt die spanische Presse den Artikel, oder eben «Atomknopf». Die Regionalregierung von Katalonien wird demnach entmachtet – als Reaktion auf die andauernden Unabhängigkeitsbestrebungen der autonomen Region im Nordosten Spaniens. Ziel der Zentralregierung in Madrid ist es nach eigenem Bekunden, die «verfassungsmässige Ordnung» in Katalonien wieder herzustellen.
Artikel 155 kann angewendet werden, wenn eine autonome Region die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt «oder so handelt, dass ihr Verhalten einen schweren Verstoss gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt». Die Zentralregierung kann dann die «erforderlichen Massnahmen» zum Schutz der Allgemeinheit ergreifen.
In der Verfassung ist nicht konkret festgelegt, wie eine Region wieder zur Räson gebracht werden soll. Über die Massnahmen entschied der spanische Senat am Freitag auf Vorschlag der Zentralregierung.
Das Ziel von Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy ist vor allem die Entmachtung der katalanischen Regionalregierung. Er will die Absetzung von Regionalpräsident Carles Puigdemont und seinen Regierungsmitgliedern.
Das katalanische Parlament soll zudem unter Vormundschaft Madrids gestellt und binnen sechs Monaten sollen Neuwahlen angesetzt werden. Auch die Regionalpolizei Mossos d'Esquadra, die Verwaltung sowie die öffentlich-rechtlichen Medien sollen der Zentralregierung unterstellt werden.
Die Oberhoheit über die Finanzen Kataloniens hatte Madrid bereits im September übernommen – in einem gescheiterten Versuch, das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober zu verhindern.
Nach einer Entmachtung der Regionalregierung übernehmen «zu diesem Zweck geschaffene Organe der Nationalregierung» die Kontrolle, im Prinzip sind dies die nationalen Ministerien. Die Kontrolle durch Madrid soll so lange erfolgen, «wie diese aussergewöhnliche Situation dauert». (dwi/sda/afp)