In der eingeschlossenen syrischen Stadt Madaja droht Tausenden Menschen der Hungertod. Die letzte Hilfslieferung habe die von Regierungstruppen belagerte Stadt im Westen des Bürgerkriegslandes im Oktober erreicht, sagte eine Sprecherin des Welternährungsprogramms.
Lokale Medien und Aktivisten berichten über schlimme Zustände in der Stadt. Die Webseite des TV-Kanals al-Dschasira berichtete, alleine im Dezember seien in dem Ort, der etwa 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Damaskus liegt, 31 Menschen verhungert. Zunächst nicht zu verifizierende Fotos aus der Stadt zeigten völlig abgemagerte und leblose Körper.
It's been months since food aid arrived in this Syrian town, and people are starting to die from hunger.
Posted by AJ+ on Mittwoch, 6. Januar 2016
Ein Arzt in Madaja berichtete der Nachrichtenagentur DPA am Mittwoch, die Bewohner dort würden Gras essen, um ihren Hunger notdürftig zu stillen. Zudem hätten sie vor einigen Tagen begonnen, Katzen und Hunde zu schlachten. Die Angaben des Arztes konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
«Die Menschen sterben in Zeitlupe», sagte ein Sozialarbeiter aus Madaja dem Guardian.
#Syria: Syrian children in the besieged and starving town of #Madaya enjoy a nice meal of leaves. Yes! leaves!! pic.twitter.com/vqIf1Y6JAn
— Thomas van Linge (@arabthomness) January 4, 2016
Lastwagen mit Hilfsgütern zur Ernährung der Stadtbewohner stünden bereit, sagte WFP-Sprecherin Bettina Lüscher. Voraussetzung sei, dass die Konfliktparteien den Helfern Zugang gewähren.
Das Wetter erschwert die Lage zusätzlich: Madaja liegt in 1500 Metern Höhe, die Temperaturen liegen derzeit unter dem Gefrierpunkt. Inzwischen verbrennen die Menschen sogar Plastik, um sich zu wärmen. Nach Angaben von Ärzten leiden wegen des beissenden Rauchs viele Menschen an Atemproblemen. Beim Versuch, Feuerholz in umliegenden Wäldern zu sammeln, seien bereits mehrere Menschen von Scharfschützen erschossen worden.
Madaja wird von Aufständischen der Freien Syrischen Armee (FSA) kontrolliert. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wird der Ort nahe der libanesischen Grenze seit mehr als 170 Tagen von Regime-Truppen und der mit Diktator Baschar al-Assad verbündeten Schiitenmiliz Hisbollah belagert. 40'000 Menschen, darunter etwa die Hälfte Zivilisten, lebten zurzeit in der Stadt, die wegen sich dort aufhaltender Rebellen heftig bombardiert werde.
Die Menschenrechtsbeobachter sitzen in Grossbritannien, beziehen ihre Informationen jedoch aus einem dichten Netz an Informanten in Syrien. Sie gelten als gut informiert und zuverlässig.
FSA-Kämpfer in der Stadt versuchen offenbar, trotz der verheerenden Lage noch Profit zu schlagen. Nach Angaben von Augenzeugen kostet auf dem Schwarzmarkt von Madaja ein Kilogramm Milchpulver für Babys inzwischen rund 300 Franken. Der Preis für ein Kilo Weizenmehl und ein Kilo Reis soll jeweils bei mehr als 200 Franken liegen.
Belagerungen sind ein beliebtes Mittel beider Konfliktparteien im bald fünf Jahre andauernden Bürgerkrieg. Sowohl Regierungstruppen als auch Rebellen wollen damit Land unter ihre jeweilige Kontrolle bringen. Die Belagerung des mehrheitlich von Sunniten bewohnten Madajas wird von Beobachtern als Reaktion auf die Belagerung der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Dörfer Kfarja und Fua in der Provinz Idlib gesehen.
Rebellen belagern Kfarja und Fua seit mehr als einem Jahr, beide Dörfer sind ebenfalls von der Versorgung abgeschnitten. Im September verschlimmerte sich die Situation der Bewohner in der ganzen Region, als die Rebellen einen nahe gelegenen Luftwaffenstützpunkt einnahmen. Über diesen Stützpunkt hatten die Menschen Lebensmittel bezogen. (dwi/viw/sda/dpa)