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Erdogan greift nach der absoluten Macht: Türkische Präsidentengarde wird aufgelöst

Turkish President Tayyip Erdogan attends an interview with Reuters at the Presidential Palace in Ankara, Turkey, July 21, 2016. REUTERS/Umit Bektas TPX IMAGES OF THE DAY
Räumt nach dem Putschversuch rigoros auf: Recep Tayyip Erdogan.Bild: UMIT BEKTAS/REUTERS

Erdogan greift nach der absoluten Macht: Türkische Präsidentengarde wird aufgelöst

23.07.2016, 22:1824.07.2016, 09:50
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Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei soll die Präsidentengarde aufgelöst werden. Das sagte der türkische Regierungschef Binali Yildirim am Samstagabend dem Sender A Haber. Am Freitag war mitgeteilt worden, dass Haftbefehl gegen 300 Mitglieder der Präsidentengarde erlassen wurde.

«Es wird keine Präsidentengarde mehr geben, sie hat keinen Zweck, es gibt keinen Bedarf», begründete Yildirim den Schritt. Nach Informationen des Fernsehsenders CNN-Türk wurden bereits 283 Mitglieder der Präsidentengarde festgenommen. Die Elitetruppe hat insgesamt bis zu 2500 Mitglieder.

Teile der Armee hatten vor gut einer Woche einen Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestartet, der schnell niedergeschlagen wurde.

Erdogan beschuldigt den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen und seine Anhänger, hinter dem Umsturzversuch zu stehen. Als Konsequenz verhängte Erdogan einen Ausnahmezustand, so dass er per Dekret unter Umgehung des Parlaments regieren kann.

Die türkische Führung geht immer rigoroser gegen angeblich Verdächtige vor. Das Präsidialamt teilte mit, dass Halis Hanci festgenommen worden sei. Dieser sei ein wichtiger Berater Gülens, sei zwei Tage vor dem Putschversuch in die Türkei eingereist und werde als Drahtzieher des Putschversuchs verdächtigt.

Schliessung von über 2000 Einrichtungen

Präsident Erdogan ordnete zudem nach Angaben vom Samstag die Schliessung von 2341 Einrichtungen im Land an. Zugleich verschärfte die Regierung die Ausreisekontrollen, um vor allem Staatsbedienstete an einer Flucht ins Ausland zu hindern. Rund 11'000 Reisepässe vor allem von Staatsbediensteten wurden nach offiziellen Angaben für ungültig erklärt.

An den Flughäfen müssen Staatsbedienstete nun eine Bescheinigung ihrer Behörde vorlegen, in der ausdrücklich steht, dass ihrer Ausreise nichts im Wege steht. Das gelte auch für Ehepartner und Kinder, hiess es.

Seit Donnerstag gilt in der Türkei ein 90-tägiger Ausnahmezustand. 37'500 Polizisten und zivile Angestellte wurden seither entlassen, darunter viele Mitarbeiter des Bildungsministeriums. 21'000 Lehrern wurde die Arbeitserlaubnis entzogen.

Ziel ist es nach den den Worten Erdogans, gegen Anhänger der Gülen-Bewegung vorzugehen. Erdogan macht den in den USA lebenden Gülen für den Umsturzversuch aus den Reihen der Streitkräfte verantwortlich, was dieser bestreitet. Mehr als 260 Menschen wurden getötet. Die Türkei fordert von den USA Gülens Auslieferung.

Nach Angaben türkischer Regierungsvertreter haben alle von der Schliessung betroffenen Einrichtungen – darunter Schulen sowie gemeinnützige, gewerkschaftliche und medizinische Institutionen – Verbindungen zur Gülen-Bewegung. Die türkische Führung hat angekündigt, den öffentlichen Dienst von Gülen-Anhängern zu «säubern».

Längerer Polizeigewahrsam

Zudem dehnte die Regierung die Dauer des zulässigen Polizeigewahrsams aus. Laut dem Dekret dürfen Verdächtige künftig ohne Anklage bis zu 30 Tage festgehalten werden statt wie bisher vier Tage. Seit dem gescheiterten Militärputsch vor einer Woche wurden 11'000 Menschen in Gewahrsam genommen, darunter Muhammet Sait Gülen, ein Neffe Fethullah Gülens.

Am Samstag teilte Staatsanwalt Harun Kodalak mit, 1200 nach dem Putschversuch zunächst festgenommene einfache Soldaten seien wieder freigelassen worden. Die Behörden bemühten sich, rasch zu klären, wer auf Zivilisten gefeuert habe und wer nicht, sagte Kodalak.

Bei einem Grossteil der mehr als 7400 festgenommenen Soldaten handelte es sich möglicherweise um junge Wehrpflichtige, die an dem Putschversuch beteiligt waren ohne zu wissen, worum es ging.

Erstmals seit dem gescheiterten Putsch traf Erdogan mit dem Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, zu einer Unterredung zusammen. Erdogan sagte, es habe Versäumnisse des Geheimdienstes vor dem Umsturzversuch gegeben. Fidan und Armeechef Hulusi Akar sollen aber vorerst auf ihren Posten bleiben, wie Erdogan im französischen Sender France 24 erklärte.

G20 besorgt

Die führenden Industrie- und Schwellenländer forderten von ihrem G20-Partner Türkei die Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Die G20-Finanzminister und -Notenbankchefs wollten bei ihrem Treffen im chinesischen Chengdu betonen, dass die Stabilität der Türkei wichtig sei, hiess es aus G20-Kreisen. Eine entsprechende Formulierung sollte es in der G20-Erklärung geben.

Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek hatte zuvor bei einem Symposium in Chengdu den G20-Partnern zugesichert, die demokratischen Regeln einzuhalten. (cma/sda/afp/reu/dpa)

Militärputsch in der Türkei

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Militärputsch in der Türkei
Die Türkei stellt nach dem vereitelten Militärputsch die Gefangenen zur Schau: Der Nachrichtensender CNN veröffentlichte diese Bilder von halbnackten Verhafteten, wie sie offenbar in einem Lagerraum gefesselt gehalten werden. (Quelle: CNN)
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(sda/afp/reuters)

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Firefly
23.07.2016 22:32registriert April 2016
Reif für die Zwangsjacke, der Mann.
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DerGrund
24.07.2016 00:01registriert November 2015
"EU-Politiker [...] befürchten, dass die Demokratie in Gefahr ist."

Guten Morgen, liebe EU-Politiker.
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Züzi31
24.07.2016 00:26registriert August 2015
Kommt mir irgendwie bekannt vor...
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