«Ich war zehn Jahre alt und dachte, meine Schwester halte mich an den Hüften, um mich in der Menge nach dem Freitagsgebet nicht zu verlieren. Doch meine Schwester stand neben mir und die Hände auf meinen Hüften waren nicht ihre.»
Erzählungen wie diese trenden derzeit unter dem Hashtag MosqueMeToo auf dem sozialen Netzwerk Twitter. Die Mehrheit der Posts stammt aus Frankreich, England und dem Iran. Muslimische Frauen erzählen darunter von ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen während der Pilgerfahrt Haddsch und anderen religiösen Grossveranstaltungen.
Spätestens seit #MeToo dürfte allen bewusst sein, dass sexuelle Belästigung in den verschiedensten Sphären ein Problem ist. Und trotzdem: In so manchen Bereichen wird nicht darüber gesprochen. Es gibt Tabus, die noch nicht gebrochen sind. Über eines dieser Tabus setzen sich die muslimischen Frauen auf Twitter nun hinweg: sexuelle Belästigung im religiösen islamischen Umfeld.
I was 10 years old and I thought my sister was gripping my hips as not to lose me in the huge crowd after Jumaa prayer. But my sister was next to me and those turned out to not be my sister’s hands.
— K R (@NewtmasGrape) 9. Februar 2018
He didn’t move until she elbowed him away.
#MosqueMeToo
Lanciert hat den Hashtag Mona Eltahawy, US-ägyptische Journalistin und Feministin, am 6. Februar. Sie schrieb davon, wie sie als 15-Jährige in Mekka sexuell belästigt wurde und rief die User dazu auf, ihr Schweigen zu brechen. Es ist nicht das erste Mal, dass Eltahawy öffentlich darüber spricht. Sie schilderte das Erlebte bereits in einem Buch.
Reading about Zarqa’s experience at Haj was sadly familiar. Here’s how I described being sexually assaulted at Haj in my book #MosqueMeToo pic.twitter.com/BsahA4TfP7
— Mona Eltahawy (@monaeltahawy) 11. Februar 2018
Seit Eltahawys Tweet beschreiben immer mehr Muslimas ihre persönlichen, ähnlichen Erfahrungen unter dem Hashtag.
Viele zeigen sich dabei betroffen darüber, dass es trotz Verschleierung und heiligem Ort zu Übergriffen kommt.
So zum Beispiel Userin Kadra Hosh. In diesem Tweet beschreibt sie, wie sie zweimal in Medina und einmal in Mekka belästigt worden sei: «Mir wurde gesagt, ich solle nicht darauf reagieren, sonst könnte ich Ärger bekommen. Ich war verschleiert und es passierte trotzdem.»
Twice in Medina. Once in Mecca. I was told not to react and to leave it alone otherwise I'd get in trouble. I was fully covered and yet it still happened. #MosqueMeToo
— Kadra Hosh. (@K_Hoshyyy) 11. Februar 2018
Folgende Twitter-Nutzerin gibt an, während der Umrah, der kleinen Pilgerfahrt nach Mekka, belästigt worden zu sein: «Zuerst dachte ich, es sei ein Versehen, doch der Mann hörte nicht auf, mich zu begrapschen. Wenn sich Männer nicht einmal am heiligsten Ort dieser Welt beherrschen können, bezweifle ich, dass sie je aufhören werden, uns zu belästigen. Wir wollen doch nur sicher sein.»
#MosqueMeToo I was sexually harassed in Umrah during Tawaf.I thought it was accidental but he kept groping me. I mean if men can’t discipline themselves even in the HOLIEST place on earth then I’ve truly lost hope in men to ever stop harassing us. We just want to be safe.
— مادري (@SherlockCloset) 9. Februar 2018
Das überwiegende Fazit der Nutzer: Selbst der wichtigste Ort des Islams, wo die tiefste Verbundenheit mit Allah herrschen sollte, bleibt nicht frei von sexueller Belästigung.
Andere Twitterer kritisieren, dass mit solchen Aktionen auf den sozialen Medien abermals Islamophobie geschürt werde. Viele stellen auch Mona Eltahawy in Frage. Sie finden, Eltahawy wolle sich mit ihren Aussagen als Ex-Gläubige und Feministin lediglich profilieren.
Ob sich durch die Aufmerksamkeit auf den sozialen Medien etwas ändern wird, bleibt fraglich. Doch zumindest fühlen sich muslimische Frauen und Männer ermutigt, nicht mehr stillzuschweigen.
Die grosse Pilgerfahrt, der Haddsch, gehört zu den fünf Säulen des Islam und hat eine hohe Bedeutung für Gläubige: Sie wollen sich vom Alltag lösen und Allah nahekommen. Besonders an der Kaaba, einem schwarzen würfelartigem Gebäude im Zentrum der heiligen Moschee, fühlen sich viele Muslime Allah stark verbunden.
Diese Kaaba umrunden sowohl Frauen als auch Männer gemeinsam siebenmal. Dieser Vorgang wird Tawaf genannt. Immer dichter werdende Massen drängen sich dabei näher an den Würfel heran. Ein Moment des Friedens und der Innigkeit mit der eigenen Religion – doch offenbar auch der passende Zeitpunkt, um sich unbemerkt an den Pilgern zu vergreifen. Die unsittlichen Berührungen und Übergriffe sollen besonders oft hier passieren. (kün)