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USA: Die Filibuster-Regel könnte Joe Biden alles vermiesen

Joe Biden und der Neustart: Das F-Wort, das ihm alles vermiesen kann

Joe Biden will den kompletten Neustart für die USA. Er hat knappe Mehrheiten auf seiner Seite – doch seine grossen Vorhaben könnten an einer alten Regel scheitern.
27.01.2021, 21:06
Fabian Reinbold, Washington / t-online
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FILE - In this Jan. 25, 2021, file photo, President Joe Biden answers questions from reporters in the South Court Auditorium on the White House complex, in Washington. Biden is unlikely to confront Ch ...
Joe BidenBild: keystone
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t-online

Der neue US-Präsident Joe Biden spricht täglich von Einheit, doch nur wenige Kilometer entfernt im Kongress tobt die erste Schlacht zwischen seinen Demokraten und den Republikanern. Es geht um das Impeachment Donald Trumps, das auch, aber vor allem geht es um eine alte Regel, die Biden seine umfassende Agenda ganz schnell verhageln könnte.

Der Präsident hat einen Blitzstart hingelegt: Mit Dutzenden Regierungsdekreten will er das, was er als Trumps Schadensbilanz sieht, reparieren. Der Einreisestopp für Einwanderer aus bestimmten mehrheitlich muslimischen Ländern hat er ebenso aufgehoben wie den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen.

Das ist schön und gut, doch Biden weiss: Wenn er die Vereinigten Staaten wie versprochen tatsächlich grundlegend gerechter und zukunftsfester machen oder zunächst einmal aus der schweren Corona-Krise herausführen will, kann er das nicht mit präsidialen Erlassen erreichen, sondern nur mit Gesetzen. Nur der Kongress kann die nötigen Summen bewilligen.

Mehrheit? Supermehrheit!

Bidens Demokraten haben tatsächlich eine knappe Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus, den beiden Kammern im Kongress. Doch durchregieren kann Biden noch lange nicht – weil ihm eben jene umstrittene Regel in die Quere kommt, über die in diesen Tagen so erbittert gestritten wird.

«The Hill We Climb»

Video: extern / rest/C SPAN

Es geht um den Filibuster. Mit diesem Recht zur Dauerrede können Senatoren so gut wie jede Debatte in der Kammer unendlich in die Länge ziehen – und die Abstimmung so verhindern. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren benutzten etwa Politiker aus den US-Südstaaten dieses Mittel, um Bürgerrechtsgesetze zu stoppen, die Schwarzen gleiche Rechte geben sollten. Der Südstaaten-Demokrat Strom Thurmond sprach gar einmal 24 Stunden und 18 Minuten am Stück.

Im Senat kann diese Blockadetaktik nicht durch eine einfache Mehrheit durchbrochen werden, sondern nur durch eine sogenannte «Supermehrheit» von 60 der 100 Senatoren.

Die «nukleare Option»

Praktisch heisst das: Will Biden Gesetzespakete durchbringen, reicht die hauchdünne Mehrheit der Demokraten (50-50 plus die Stimme von Kamala Harris als Vizepräsidentin bei einem Patt) in so gut wie allen Fällen nicht aus. Er braucht noch die Stimmen von zehn Republikanern. Die Opposition kann Bidens ehrgeizige Vorhaben vom Klimawandel bis zur Krankenversicherung also sehr leicht blockieren.

Highlights von Bidens Antrittsrede

Video: watson/een

Das wird schon akut beim grossen Corona-Hilfspaket, Bidens dringlichster Priorität. Um die notleidende Wirtschaft in den USA anzukurbeln, will Biden rasch 1.9 Billionen Dollar ausgeben, dabei etwa den Mindestlohn auf 15 Dollar anheben und per Helikoptergeld fast jedem Amerikaner 1400 Dollar auszahlen. Doch selbst die gemässigten republikanischen Senatoren wie Mitt Romney , auf deren Stimme Biden wohl noch am ehesten zählt, winkten öffentlich ab: Das Paket sei zu viel und zu teuer.

Deshalb will ein grosser Teil der Demokraten den Filibuster am liebsten einfach abschaffen – dafür gibt es nämlich Wege mit einfacher Mehrheit. In Washington spricht man von der «nuklearen Option» – zögen die Demokraten sie tatsächlich, wäre der Senat kaum wiederzuerkennen.

«Senat der verbrannten Erde»

Die Republikaner wollen das verhindern. Der Streit darüber hat den Senat in den ersten Tagen von Bidens Amtszeit weitgehend lahmgelegt. Die Republikaner wollen mit der eigentlichen Arbeit nur dann beginnen, wenn die Demokraten offiziell zusichern, den Filibuster nicht abzuschaffen. Es war ein erster Showdown zwischen dem zum Minderheitsführer abgestiegenen Republikaner Mitch McConnell und dem neuen Mehrheitsführer Chuck Schumer.

Inaugurationszirkus: So traten Bidens Vorgänger ihr Amt an

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Inaugurationszirkus: So traten Bidens Vorgänger ihr Amt an
George Washington, der erste Präsident der USA, am 4. März 1793 bei seiner Ankunft vor der Congress Hall von Philadelphia (Washington muss ja erst einmal gegründet werden), wo seine Inauguration stattfinden wird.
quelle: universal images group editorial / universal history archive
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Die Demokraten wollen sich die Drohung mit der «nuklearen Option» bewahren, um überhaupt etwas bewegen zu können. Doch sie haben nicht einmal dafür eine Mehrheit. Zwei konservative ihrer Senatoren haben bereits zu Protokoll gegeben, dass sie eine Abschaffung der Dauerrede ablehnen. Das reichte McConnell für den Moment. Doch er droht weiter: «Niemand will in einem Senat der verbrannten Erde leben.»

Obama macht Druck

Dabei hatte sich selbst Barack Obama öffentlich dafür ausgesprochen. Er hatte als Präsident seine eigenen leidlichen Erfahrungen mit dem Filibuster gemacht. Auf der Trauerfeier für den Bürgerrechtler und späteren demokratischen Abgeordneten John Lewis im Sommer warb er dafür, das Mittel abzuschaffen, unter Verweis darauf, wie es gegen Gleichstellung von Schwarzen benutzt worden sei.

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Doch dabei kann man sich durchaus die Hände verbrennen: Es waren die Demokraten, die schon 2013 – frustriert von der Blockade durch Republikaner – den Filibuster abschafften, wenn es um Personalien des Präsidenten geht. Seitdem genügen 51 statt 60 Stimmen, um etwa Richter zu ernennen.

Genau dieser Schritt ermöglichte es ab 2017 dann Trump und McConnell, die bis dahin unerreichte Anzahl von 200 Bundesrichtern zu ernennen – sie schafften den Filibuster dann auch noch ab für die Nominierung der mächtigen Supreme-Court-Richter. Das Resultat: Trump hat dauerhaft eine grosse Mehrheit konservativer Richter am wichtigen Gericht verankert.

Beim Corona-Paket werden die Demokraten zunächst zu einem anderen Verfahrenstrick greifen. Mittels der sogenannten Versöhnungsregel kann man Massnahmen, die im Einklang mit dem Haushalt stehen sollen, ebenfalls mit 51 Stimmen zur Abstimmung bringen.

Falls dann die Front der Demokraten steht, könnte dieser Kniff zum schnellen Erfolg führen – auch wenn dies der von Biden anvisierten Einheit in Washington sicherlich nicht förderlich ist.

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Joe Bidens Regierung
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Joe Bidens Regierung
Vizepräsidentin: Als Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners ist Kamala Harris gleichzeitig die erste Frau in einem der beiden mächtigsten Regierungsämter.
quelle: keystone / andrew harnik
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Highlights von Bidens Antrittsrede
Video: watson
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35 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Butzdi
27.01.2021 21:17registriert April 2016
Die Republikaner haben nun jahrelang gewütet, zerstört, Schulden angehäuft und jede erdenkliche Linie (politisch, ethisch und strafrechtlich) willentlich ignoriert. Nukleare Option und dann mal ans aufräumen. Die Republikaner haben so viel Dreck am Stecken, dass man die nie wieder in die Nähe einer Regierung kommen lassen darf.
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sowhat
28.01.2021 00:07registriert Dezember 2014
Mir will scheinen, dieses Land ist einfach nicht sachpolitisch regierbart.
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LeChef
27.01.2021 22:59registriert Januar 2016
Historisch gesehen profitieren die Demokraten häufiger von einer Blockade-Minderheit im Senat. Es wäre deshalb nur fair, wenn auch etwas ironisch, wenn sie den Filibuster gleich selbst zu Grabe tragen würden.
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