Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Italien für die Verschleppung des ägyptischen Imams Abu Omar durch den US-Geheimdienst CIA in Mailand mitverantwortlich gemacht. Die Regierung in Rom wurde angewiesen, dem Imam 70'000 und seiner Frau 15'000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.
Italien sei über die Verschleppung auf dem Laufenden gewesen und habe das Staatsgeheimnis missbraucht, um den Verantwortlichen Straffreiheit zu gewähren, urteilten die Strassburger Richter am Dienstag.
Damit habe die italienische Regierung gegen mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verstossen, unter anderem gegen das Folterverbot und das Recht auf Schutz des Familienlebens. Zudem hätten die Ermittlungen und der Prozess zu keiner Verurteilung geführt. Letztlich seien die Verantwortlichen nicht bestraft worden.
Auch Grundrechte der Ehefrau des Imams seien verletzt worden, heisst es in dem Urteil weiter. Sie sei mehrere Jahre von ihrem Mann getrennt und in Ungewissheit über dessen Schicksal geblieben.
Abu Omar, der mit richtigem Namen Hassan Mustafa Osama Nasr heisst und heute 53 Jahre alt ist, lebte seit 1998 in Italien, wo er im Jahr 2001 politisches Asyl erhielt. Im Februar 2013 wurde der wegen Terrorismus-Vorwürfen gesuchte Mann in Mailand auf offener Strasse von CIA-Agenten entführt und vom US-Stützpunkt Ramstein in Deutschland aus in sein Herkunftsland geflogen.
Nach Angaben seiner Anwälte wurde der Imam später in Ägypten in einem Hochsicherheitsgefängnis gefoltert. Ende 2013 wurde er in Abwesenheit in Italien wegen Terrorunterstützung zu einer Haftstrafe verurteilt.
Nach der Entführung waren zwar der ehemalige italienische Geheimdienstchef Nicolò Pollari und sein früherer Stellvertreter Marco Mancini wegen Mittäterschaft zu zehn beziehungsweise neun Jahren Haft verurteilt worden. Der italienische Kassationsgerichtshof hob die Urteile ein Jahr später jedoch auf – unter Verweis darauf, dass die Beweise in dem Fall unter das Staatsgeheimnis fielen.
Abu Omars Anwalt, Luca Bauccio, bezeichnete dieses Vorgehen bei der Anhörung vor dem Strassburger Gericht im vergangenen Juni als «Skandal». Das Staatsgeheimnis dürfe nur für Informationen gelten, die «eine Gefahr für die Sicherheit des Staates und seine Bürger» seien, sofern sie ans Licht kämen, sagte Bauccio vor dem Menschenrechtsgericht. Dies sei bei der Entführung des Imams nicht der Fall gewesen.
Wegen eines ähnlichen Falles hatte der Gerichtshof bereits Mazedonien verurteilt. Dabei ging es um die Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khalid al-Masri durch die CIA.
(sda/afp)