2013 hatte die chinesische Regierung die Abschaffung von Lagern für Zwangsarbeit angekündigt. Doch fünf Jahre später existieren sie als trauriges Erbe aus der Zeit von Mao Tsetung noch immer - und tragen zu einem grossen Teil zur Wirtschaftsleistung Chinas bei.
«Das chinesische Strafsystem beruht immer noch auf Arbeitslagern», sagt der französische Politikwissenschaftler und China-Experte Jean-Luc Domenach der Nachrichtenagentur SDA.
Domenachs Buch «China: Das vergessene Archipel» von 1992 gilt als einer der wichtigsten Forschungsbeiträge über die chinesischen Arbeitslager. Seine Untersuchung zeigt das Ausmass des wohl grössten Verwahrungssystems der Welt. Momentan arbeitet der Professor an einem weiteren Buch über das Thema.
«Heute gibt es zwischen fünf und acht Millionen Gefangene in fast tausend Arbeitslagern», sagt Domenach. Rund 750 Camps seien sogenannte «laogai» - übersetzt: Lager für die «Reform oder Umerziehung durch Arbeit» - und zwischen 100 und 200 seien «laojiao» - Lager für den «Unterricht durch Arbeit».
In «laogai» seien vor allem politische Gefangene und nach gemeinem Recht Verurteilte inhaftiert. Diese Lager wurden von Mao Tsetung gegründet und galten lange Zeit als Äquivalent zum sowjetischen Gulag. In den späten 1950er Jahren waren rund 20 Millionen Menschen in diesen «laogai» inhaftiert, wie Domenach erklärt.
In den «laojiao» sind vor allem Kleinkriminelle inhaftiert, welche Diebstähle begangen oder mit Drogen gehandelt haben. Daneben existieren spezielle Lager für Jugendliche, Drogenabhängige und Prostituierte.
Die Gefangenen werden in den Arbeitslagern in der Regel in zwei oder drei Minuten verurteilt. Sie müssen dort schwere Arbeiten verrichten, haben enorm lange Arbeitstage und erhalten dafür einen kümmerlichen Lohn. «Im Grunde handelt es sich um den Diebstahl von Arbeitskraft», sagt Domenach.
Diese billigen Arbeitskräfte werden für alles mögliche eingesetzt: den Bau von Strassen, Brücken, Wohnhäusern oder Autos, aber auch für günstige Fliessbandproduktion. Die Arbeitslager schlössen Verträge mit Unternehmen ab, sagt Domenach. Häufig sei dabei Korruption im Spiel.
Mechanische Teile, Kleider, Weihnachtsdekoration, Spielzeug, Ping-Pong-Schläger und -Bälle, Schwarztee und vieles mehr: Zahlreiche Produkte, die man in westlichen Läden kaufen kann - auch in der Schweiz -, wurden in Arbeitslagern hergestellt. Ein Markt der in die Millionen geht, wie Untersuchungen zeigen.
Im Jahr 2018 sind die Zustände in den Arbeitslagern «weniger grauenvoll» als in den 1950er Jahren, sagt Domenach. Doch sie blieben ein Horror, den es bekannt zu machen und zu verurteilten gelte. Heute gehe es der Regierung eher darum, Zwangsarbeiter wirtschaftlich auszunutzen, denn um das Verschwindenlassen politischer Gefangener, Dissidenten oder Krimineller.
Domenach bedauert derweil die Gleichgültigkeit der westlichen Regierungen gegenüber dem Thema. Nur wenige Freihandelsabkommen mit Peking erwähnten die Problematik. Auch das Abkommen der Schweiz mit China schweigt sich darüber aus.
Neben den Arbeitslagern beunruhigen den Experten die sogenannten «schwarzen Gefängnisse». Dabei geht es um Hotels, Wohnungen, Höhlen oder leerstehende Büros, welche von Provinzbeamten als illegale Gefängnisse missbraucht werden.
«Das Gesetz erlaubt es der Polizei auf lokaler und nationaler Ebene Personen für zwei Mal sechs Monate einzusperren», sagt Domenach. Betroffen seien besonders Intellektuelle und Anwälte, welche den kommunistischen Machtapparat kritisieren. Rund 20'000 bis 30'000 Menschen seien derzeit weggesperrt. (whr/sda)